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Berlin: Trara mit Blaskapelle

Karl Friedrich Schinkels Neue Wache gilt als eines der bedeutendsten Bauwerke des deutschen Klassizismus In einer neuen Monografie schildert der Historiker Laurenz Demps ihre Geschichte

Also, gegen den Stechschritt, wie ihn die Soldaten der Wehrmacht im Jahre 1940 bei der Wachablösung an der Neuen Wache aufs steinerne Parkett knallten, war die Gangart der Nationalen Volksarmee 30 Jahre später wesentlich gelockerter. Niemand hatte da mehr die Absicht, seine Stiefelspitze, wie bei den Nazis trainiert, artistisch bis über das Koppel zu schwingen. Dafür gab es mehr Trara, einen großen Wachaufzug mit Blaskapelle, Tambourmajor, Radioübertragung und unzählige Fotografen. Besonders beliebt war dieses Zeremoniell am „Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus“ übrigens bei den Abgesandten der westalliierten Streitkräfte, die bei dieser Gelegenheit jeden Schritt ihrer uniformierten Ost-Kollegen kritisch verfolgten.

Die Neue Wache Unter den Linden war zwischen 1816 und 1818 nach Karl Friedrich Schinkels ebenso schlichtem wie genialem Entwurf für die Wache des Königs und als Gedenkstätte für die Opfer der Befreiungskriege gebaut worden. Der erste Große Wachaufzug fand am 18. September 1818 zum Besuch des russischen Zaren Alexander statt. Das Gebäude gilt als eines der Hauptwerke des deutschen Klassizismus. Seit 1993 ist es zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland. Im Inneren hatte man eine vergrößerte Version von Käthe Kollwitz’ Skulptur „Mutter mit totem Sohn“ aufgestellt.

Die Neue Wache war auf den meisten Stichen, Ölgemälden und Fotografien der Mittelpunkt militärischer Darbietungen. Das lag auch am Standort am Rande der Paradestrecke zwischen Zeughaus und Opernplatz – die „Linden“ waren durch die Jahrhunderte ein idealer Ort für Umzüge vieler Art. Nichts Geringeres als die deutsche Geschichte marschierte an dem Sandstein-Portikus mit den sechs Säulen vorbei.

Der Historiker Laurenz Demps zeigt uns nun mit seinem reich bebilderten Buch „vom königlichen Wachhaus zur Zentralen Gedenkstätte“ in acht Kapiteln die ganze Vielfalt an Geschehnissen und manchmal auch sehr irritierenden Begebenheiten, die sich um diesen Bau, seinen Standort und die ihm vom jeweiligen Herrschaftssystem zugewiesene Bedeutung ranken. Und am Ende wird gerade die jüngste Geschichte ab 1945 spannend erzählt und mit neuen Erkenntnissen bereichert:

Im Februar 1949 gibt die FDJ Berlin eine Erklärung ab, in der sie die sofortige Entfernung der Ruine des ehemaligen Ehrenmals Unter den Linden fordert. Hier werde nur der Heldentod glorifiziert, außerdem wäre ohne Neue Wache der Blick zum Haus der Kultur der Sowjetunion, dem heutigen Palais am Festungsgraben, nicht mehr verstellt.

Der Schriftsteller Gerhard Holtz-Baumert hat 1985 beschrieben, wie es dann ganz anders kam. Der sowjetische Kulturoffizier Alexander Dymschitz bestellte den radikalen Jugendfreund zu sich in die Kommandantur und fragte ihn, ob er Schinkel kenne, Karl Friedrich Schinkel? Nein, kannte er nicht. Dymschitz: Dieser Schinkel hat die Neue Wache errichtet! Egal, sprach die FDJ und zählte all die Leute vom Kaiser über Hindenburg bis zu Goebbels und Göring auf, die vor der Wache ihr Unwesen getrieben hätten. „Weiß der Genosse Stalin, welche Auffassungen du hast, dass dir ein gewisser Schinkel wichtiger ist als die Aktion der Freien Deutschen Jugend?“ Darauf Dymschitz: „Ich denke daran, dass man gerade die Neue Wache retten müsste, um daraus ein Monument gegen den Krieg zu machen. Man muss es umfunktionieren!“ Noch immer war die FDJ nicht überzeugt. Da blickte der Sowjetmensch ganz ernst und sagte: „Nun gut, Jugendgenosse, dann muss ich eben befehlen. Ich befehle, die Neue Wache wird nicht gesprengt, und ihre Trümmer werden nicht von der Berliner FDJ beseitigt. Haben Sie verstanden?“ Die Neue Wache war gerettet.

— Laurenz Demps: Die Neue Wache. Vom königlichen Wachhaus zur Zentralen Gedenkstätte. Verlag für Berlin-Brandenburg, 160 Seiten, 24,90 Euro

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