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© Caro/Muhs

Treptow-Köpenick: Wahlduell zwischen Herz und Verstand

Der eine will sein Mandat verteidigen, der andere mit unangenehmen Wahrheiten punkten: In Treptow-Köpenick treffen der Linke Gregor Gysi und SPD-Mann Kajo Wasserhövel aufeinander. 2005 lag die Linke vorn.

Ob das eine gute Idee war von jemandem, der ein solches Duell gewinnen will? Sich mit dem Bundesverkehrsminister ausgerechnet vor den bis in die letzte Ritze versifften S-Bahnhof Schöneweide zu stellen, an dem neuerdings nicht mehr sechs Linien fahren, sondern nur noch zwei halbe? Kajo Wasserhövel versucht es. Während direkt neben ihm die sechsspurige B 96a tost und Wahlhelfer der Linken Flyer gegen die Bahnprivatisierung verteilen, fragt Wasserhövel seinen Parteifreund Wolfgang Tiefensee nach der Vollendung der sozialen Einheit und danach, was von den Versprechungen eines Gregor Gysi zu halten sei.

Womit der Gegner genannt ist: 2005 hat Gysi der SPD das in Treptow-Köpenick seit 1990 abonnierte Direktmandat abgejagt. Dass es namentlich Gysis Erfolg war, zeigen die gut 40 Prozent der Erststimmen, die er damals gegen Siegfried Scheffler holte, der nur auf 33 Prozent kam. Bei den Zweitstimmen dagegen lag die SPD mit 37 zu 28 Prozent vor den Linken. Jetzt will der SPD-Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfmanager Wasserhövel die Wunderwaffe Gysi entschärfen. Der SPD-Stratege rechnet sich echte Chancen aus: „Ich mache ja nicht einfach Blindflug“, sagte er kürzlich.

Nachdem Tiefensee die Lebensleistung der Ostdeutschen gewürdigt hat, ergreift Wasserhövel das Mikrofon. Die Versprechungen von Gysi & Co. würden 220 Milliarden Euro pro Jahr kosten, was durch keine Millionärssteuer zu finanzieren wäre. Und er warnt vor Luftschlössern, die Gysi den Menschen verkaufe. Abzüglich der lokalen SPD-Prominenz hören etwa acht Menschen zu. Zwei von ihnen tragen Bierflaschen zum Jogginganzug. Schöneweide ist ein schwieriger Kiez. Wenigstens sind die Nazis nicht da, die sich 200 Meter von hier gern zum Saufen treffen und auf dem Heimweg gelegentlich die Scheiben von Gysis Wahlkreisbüro auf der anderen Straßenseite einschmeißen.

Eine Rollstuhlfahrerin lässt sich das Mikro geben und schreit hinein: Dass sie dank Hartz IV ihre Ersparnisse fürs Alter liquidieren musste und jetzt mit 42 Jahren für 1,21 Euro pro Stunde in einer Behindertenwerkstatt arbeite. Und dass niemand wagen solle, über Gysi herzuziehen. Wasserhövel bietet an, den Fall zu prüfen. Er spricht von der Notwendigkeit unpopulärer Entscheidungen und davon, dass die Regierung ohne SPD-Beteiligung die Sozialleistungen noch weiter gekürzt hätte. Wie ein Sieger sieht er dabei nicht aus.

Dabei hat Wasserhövel am Tag zuvor Schützenhilfe bekommen: Am Mittwoch erschien das Köpenicker Lokalblättchen mit einer leeren Seite. Ganz oben stand „Anzeige“ und die Zeile: „Hier sehen Sie die Leistungen von Gregor Gysi in seinem Wahlkreis Treptow-Köpenick.“ Dann nichts. Und ganz unten: „Im Interesse eines fairen Wahlkampfs haben wir auf jegliche Polemik verzichtet.“ Als Urheberin ist eine Anwältin genannt, die für Nachfragen nicht erreichbar war. In Gysis online nachzulesender Erfolgsbilanz dagegen sind mehr als 40 Bürgersprechstunden erwähnt, deren Spektrum vom BBI-Fluglärm, „Explosionen am Strommast in Johannisthal“ bis zur Verklinkerung des S-Bahnhofs Friedrichshagen reichte.

Einige Tage zuvor erscheint Gysi leibhaftig. Die Gegner der geplanten Autobahnverlängerung haben die Direktkandidaten zur Diskussion geladen. Gysi befindet die avisierten 420 Millionen Euro für zu teuer, um ein Verkehrsproblem von Neukölln nach Treptow zu verlagern. Und weil er sich auf grünem Terrain befindet, gibt er auch der Öko-Partei noch eins mit: Ein Krieg wie der Nato-Einsatz in Ex-Jugoslawien sei ja wohl die größtmögliche Umweltzerstörung. Wasserhövel geißelt den Schwenk als „unfair“ und sagt in die Buh-Rufe des Publikums hinein, dass er die Stadtautobahn unbedingt verlängern wolle, spricht von „Netto-Entlastung“ der Anwohner und von Notwendigkeiten für die Wirtschaft im Berliner Südosten. Dem SPD-Mann geht Wahrheit vor Beifall. Noch mehr Ablehnung erfährt nur CDU-Kandidat Niels Korte, der mit dem Slogan wirbt: „Für das Berlin, das früher aufsteht“.

Am Ende wird Wasserhövel von der Kandidatin der Marxistisch-Leninistischen Partei belagert. Neben ihm nimmt Gysi Huldigungen aus dem Publikum entgegen. Es ist ein Duell zwischen Herz und Verstand, das in Treptow-Köpenick ausgetragen wird.

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