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Berlin: Trip ins Ungewisse

Das Rauschgift GHB, auch „Liquid Ecstasy“ genannt, wird als Partydroge immer populärer. Es versetzt einen in Trance und stimmt euphorisch – mit gefährlichen Risiken und Nebenwirkungen

Martin Andersen (Name geändert) gehörte zu den Besten. Da war nur diese Angst. Angst vor den Menschen da draußen, Angst vor Gesellschaft. Der BWL- Student, „sehr engagiert, sehr leistungsorientiert“, wie der Neurologe George Trendelenburg von der Berliner Charité sagt, litt seit seinem fünfzehnten Lebensjahr an einer sozialen Phobie. Ins Uni-Gebäude schlich er sich durch die Hintertür, mündliche Prüfungen brachten ihn an den Rand der Panikattacke.

Das alles änderte sich schlagartig, als Martin während eines Praktikums in China von einem französischen Arzt drei Buchstaben genannt bekam: GHB. GHB? Gamma-Hydroxy-Buttersäure, ein Mittel, dass sich im Handumdrehen aus Natronlauge und dem Lösungsmittel Butyrolacton zusammenmixen lässt. Und Martin mixte sich seine Angst weg.

Doch bald schon brauchte der junge Mann mehr von dem Wundermittel. Wenn er sich seinen Beruhigungstrank nicht alle zwei Stunden zubereitete, kehrte nicht nur die Angst wieder, nun quälten ihn auch Entzugserscheinungen, Schlaflosigkeit, Schweißausbrüche, Herzrasen.

Zurück in Deutschland, in Berlin, suchte der Student verzweifelt Hilfe an der Charité. Der Neurologe Trendelenburg verschrieb ihm ein anderes Medikament und verordnete eine Verhaltenstherapie. Martin hatte inzwischen herausgefunden, unter welchen exotischen Namen sein Angstlöser in der Discoszene gehandelt wird: Liquid Ecstasy, Lixuid X, Salty Water, Soap, Scoop, um nur ein paar zu nennen.

Denn GHB gilt als immer populärer werdende Partydroge. In einer Studie unter den Lesern einer britischen Musikzeitschrift gaben kürzlich 13 Prozent der im Schnitt 24 Jahre alten Befragten an, das Rauschgift schon einmal konsumiert zu haben. „Die Zahl der Nutzer steigt“, sagt Trendelenburg, der im Fachmagazin „Der Nervenarzt“ soeben einen Übersichtsartikel zum Thema veröffentlicht hat (Band 76, Seite 832).

Ärzte nutzen die narkotisierende Wirkung der Gamma-Hydroxy-Buttersäure seit 40 Jahren. GHB wird als Beruhigungsmittel und in der Anästhesie zur Kurznarkose eingesetzt. Das Medikament entspannt und stimmt zugleich euphorisch, ähnlich wie Alkohol und Morphium. Ängste und Schmerz verschwinden, man gerät in einen sinnlichen, traumähnlichen Zustand. Da lässt es sich leicht in Trance tanzen.

Allzu oft aber verwandelt sich die Trance in einen Horrortrip. In höheren Dosen und in Kombination mit Alkohol drohen drastische Nebenwirkungen, wie Übelkeit, Atemstillstand, Koma. Sogar der Tod kann die Folge sein. „Es war zwar der Hammer, als ich nicht mehr wusste, wo oben und unten war und ich wie blöde gerockt hab’“, berichtet ein 18-Jähriger aus Leipzig auf der Internet-Seite www.suchtzentrum.de über seinen Trip mit GHB. „Aber als ich dann den nächsten Morgen auf der Intensivstation munter geworden bin, dachte ich: nie wieder!!!“

GHB ist eine Substanz, die auch natürlich im Gehirn vorkommt. Sie entsteht aus dem Botenstoff GABA (Gamma- Amino-Buttersäure), der die Aktivität von Nervenzellen hemmt. GHB bremst die Wirkung von GABA und hemmt somit den Hemmer, wie Forscher im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ spekulieren (Band 352, Seite 2721). Das Resultat ist – unter anderem – eine Enthemmung von Hirnbereichen, deren Erregung mit guten Gefühlen einhergeht.

Außerhalb der Klinik entdeckten zuerst Bodybuilder das Mittel, nachdem japanische Forscher Ende der 70er Jahre Hinweise darauf gefunden hatten, dass GHB Wachstumshormone freisetzt und so die Muskelbildung auf Trab bringt. „Der Effekt konnte jedoch nie bestätigt werden“, sagt Trendelenburg.

Das stand der Verbreitung der Droge nicht im Wege. In den 90er Jahren kam es zu einem zusätzlichen Kick, als das Gerücht kursierte, der Schauspieler River Phoenix sei an einer GHB-Überdosis gestorben. „Die Zahl der in den USA in Rettungsstellen mit GHB in Verbindung gebrachten Patienten stieg im Zeitraum von vier Jahren auf das Zwanzigfache“, berichtet Trendelenburg.

Seit 2002 unterliegt das Medikament in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz. Dennoch, schwierig ist es nicht, an das Rauschmittel ranzukommen. Einige Klicks im Internet, schon stößt man auf „GHB-Kits“, Anleitungen zum Mixen des Mittelchens, dessen beide Ingredienzien billig und überall zu haben sind.

In letzter Zeit ist die Gefährlichkeit der Droge einmal mehr unterstrichen worden – in Zusammenhang mit Vergewaltigungen: Das Rauschgift wird verwendet, um Frauen sexuell gefügig zu machen („date rape drug“). Da GHB eine wasserlösliche, farb- und geruchlose Substanz ist und nur leicht salzig schmeckt, lässt sie sich unbemerkt einem Getränk beimischen. Hinzu kommt, dass die Chemikalie das Gedächtnis verblassen lässt, unter Umständen kann sich das Opfer nicht mehr genau an das Geschehen erinnern. Vergangenes Jahr erst wurde der Erbe der ehemaligen US-Kosmetikfirma Max Factor, Andrew Luster, zu 124 Jahren Haft verurteilt, nachdem er drei Frauen mit GHB betäubt und vergewaltigt hatte.

Schutz bietet da, wie es scheint, nur Prävention. Schon werden in den USA kreditkartengroße Teststreifen angeboten, die sich in Sekundenschnelle verfärben, sobald man sie in ein GHB-verseuchtes Getränk hält (www.drinkspikedetector.com). Wie die Karten funktionieren, verrät das Unternehmen nicht.

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