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Berlin: Triumphfahrt durch die Hauptstadt

Von Lothar Heinke Irgendwann letzte Woche, als der Fernsehstation der Stoff zum aktuellen Staatsgast ausgegangen war, kam der Rückblick auf 1963, bei dem einem noch immer ein Schauer über den Rücken läuft: Der junge, charismatische John F. Kennedy zwischen den vor Begeisterung hingerissenen West-Berlinern, im offenen Auto stehend mit einem staatsmännischen Willy Brandt und dem etwas steifen Konrad Adenauer.

Von Lothar Heinke

Irgendwann letzte Woche, als der Fernsehstation der Stoff zum aktuellen Staatsgast ausgegangen war, kam der Rückblick auf 1963, bei dem einem noch immer ein Schauer über den Rücken läuft: Der junge, charismatische John F. Kennedy zwischen den vor Begeisterung hingerissenen West-Berlinern, im offenen Auto stehend mit einem staatsmännischen Willy Brandt und dem etwas steifen Konrad Adenauer. Historisch die Rede des sichtlich bewegten Präsidenten („Ich bin ein Berliner“), von historischem Ausmaß aber auch die innere Freude und Hoffnung, die die Leute auf die Straßen brachten und vors Schöneberger Rathaus. Diese Geschichte ist, wir haben es gerade erlebt, unwiederholbar. Sie ist Teil unserer Erinnerung. Wir da drüben haben damals vor dem Fernsehapparat gesessen, irgendwie traurig , dass wir nicht dabei sein konnten. Und voller Scham über die dümmlich-arrogante Idee der Ulbricht-Kumpanei, das Brandenburger Tor mit roten Fahnen zu verhängen, um dem Klassenfeind die Grenzen seiner Macht aufzuzeigen, wie es offiziell hieß. Die Wahrheit war, dass keine kleine reine Sozialistenseele beim Anblick Kennedys da vor dem Tore Schaden nehmen sollte. Menschenaufläufe, und dann noch in dieser Gegend, mussten, auch um den Preis der eigenen Lächerlichkeit, vermieden werden.

Viel später, in den siebziger und achtziger Jahren, als die Generation Trabant über das realsozialistische Leben zu lästern begann, strömten die Jugendfreunde in Scharen Unter die Linden, wenn „drüben“, am Platz der Republik vor dem Reichstag, etwas los war. Man wollte nur etwas mithören von Pink Floyd oder Michael Jackson, aber die Volkspolizei war dagegen. Als junge Leute auf dem Dach ihres Hauses in der damaligen Hermann-Matern-Straße, die heute Luisenstraße heißt, eine Konzert-Party feiern und ihren Wein samt Radio-Ton der Direktübertragung von Udo Lindenberg und Nina Hagen genießen wollten, räumte die Staatsmacht das Dach: Antisozialistische Cliquenbildung. Ich wollte mir mal aus der Nähe, so weit es ging, André Hellers „Feuerzauber“ angucken – ging nicht, war abgesperrt. „Können Sie mir den Grund der Absperrung nennen?“ „Ein Feuerwehreinsatz“. Hätte man sich auch denken können.

Aber wir in der DDR hatten schließlich auch unsere offiziellen Höhepunkte beim Jubeln und Jubilieren. Der Verkehr in der Innenstadt lag dann, wie letzte Woche, darnieder, aber nicht so trostlos-steril unter einem Polizeischleier in Sicherheitsblase, sondern mit Publikum, Papp-Porträts des Gastes und unzähligen Bannerträgern und Fähnchenschwenkern. Das „ND“ und die Nachrichtenagentur ADN einigten sich meistens auf 500000 Werktätige am Straßenrand. Betriebe stellten ihre Schreib- und sonstigen Maschinen ab, fröhlich eilten die Massen durchs Werktor und kamen sobald nicht wieder, obwohl die Kneipen an der Protokollstrecke vom Flughafen Schönefeld bis zur Ossietzkystraße am Schloss Niederschönhausen die strenge Auflage hatten, bis zur Durchfahrt des hohen Gastes keinen Alkohol auszuschenken oder ganz geschlossen zu bleiben. Ich erinnere mich noch, als Leonid Breshnew aus Paris in die DDR kam und in einer Wolke aus Kognac und Parfüm zum Küssen mit Bruder Honecker auf den harten Boden der DDR schwebte. Nachdem die beiden den Tschaika bestiegen hatten, begann „die Triumphfahrt durch die Hauptstadt der DDR“. Die Massen winkten, die mit FDJ-Hemden getarnten oder an Henkeltäschchen erkennbaren Stasi-Menschen passten auf, und die Chefs waren froh, wenn dieses Winke-Winke ein Ende hatte. Sie wussten ja, wie man Massen mobilisiert. Dabei gab es durchaus Prominente, denen herzlich gern zugejubelt wurde – Fidel Castro, Indira Gandhi, Sigmund Jähn und Michael Gorbatschow zum Beispiel. Gerade beim Hoffnungsträger vermied man, die üblichen Aussteige-Punkte bekannt zu geben, aber mit Sicherheit hatte das nichts zu tun. Im Gegenteil.

Alles nur noch Erinnerung. Sechsstellige Spalierbildungen wird es bei uns kaum wieder geben, höchstens „eine Gasse bildende Doppelreihe von Personen zum Empfang hochgestellter Persönlichkeiten“, wie der Duden so ein Spalierchen beschreibt. Oder „Holzgitter an einer Mauer zum Befestigen von Kletterpflanzen“ . . .

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