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Digitale Evolution. In Berlins Landesregierung ist Senatorin Dilek Kolat eine der aktiveren Nutzerinnen sozialer Medien. Senatschef Klaus Wowereit hält sich noch zurück.

© picture alliance / dpa

Twitter, Facebook und Co.: Neuland in Sicht - Social Media in der Berliner Politik

Manche Berliner Politiker präsentieren sich rege auf Twitter oder Facebook. Aber die meisten Senatoren können mit den sozialen Medien noch nicht viel anfangen. Eine Bezirksbürgermeisterin ist dafür umso aktiver.

Sie verteidigt ihre umstrittene Position beim Streit um das Flüchtlingscamp am Oranienplatz und schimpft über ihr eigensinniges Handy, sie ärgert sich über das frühe Geböller vor Silvester und erfreut sich an einem Peter-Fox-Video. Wer wissen will, was die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, gerade umtreibt, kann das beim Kurznachrichtendienst Twitter in Echtzeit verfolgen. Auf ihrer Seite meldet sich die Grünen-Politikerin oft im Minutenrhythmus zu Wort, antwortet auf andere Nutzer und verbreitet auch schon mal eine Stellenausschreibung ihres Bezirksamtes. Fast 1300 „Follower“ hat sie, die über jede ihrer Äußerungen informiert werden. Im Vergleich zu prominenteren Twitterern, die Zehn- oder Hunderttausende Follower haben, ist das noch bescheiden. Dennoch gehört die 49-Jährige unter Berlins Landes- und Bezirkspolitikern zu den besonders aktiven Nutzerinnen der sozialen Medien. Sie steht für einen wachsenden Trend, der allerdings noch sehr unterschiedlich ausgeprägt ist.

Senatorin Scheeres twitterte bislang nur einmal - unter falscher Flagge

Einerseits nutzen immer mehr Berliner Amts- und Mandatsträger Foren wie Twitter oder Facebook. Andererseits tun sich viele Politiker nach wie vor sichtlich schwer mit den neuen Medien. Bei manchen wirkt es wie eine Pflichtübung, an der sie zwar formal teilnehmen, aber nicht wirklich wissen, was sie damit anfangen sollen. So hat Bildungs- und Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) ihren Twitter-Account bislang nur ein einziges Mal benutzt, um einen Bericht über einen Ortsbesuch in Heinersdorf zu verbreiten. Dass die sozialen Medien der 43-Jährigen noch ziemlich fremd sind, merkt man schon daran, dass sie sich bei Twitter nach wie vor als „jugend- und familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion“ vorstellt – eine Funktion, die sie seit ihrer Ernennung zur Senatorin Ende 2011 nicht mehr hat.

Soziale Medien sind für Politiker noch „relatives Neuland“, stellte kürzlich eine Untersuchung des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen mit Bezug auf einen von Bundeskanzlerin Angela Merkel geprägten Begriff fest. Eine Betrachtung der Aktivitäten von Berlins Landes- und Bezirkspolitikern bestätigen das. Besonders deutlich wird der Nachholbedarf bei den Senatsmitgliedern. Weder Regierungschef Klaus Wowereit noch Innensenator Frank Henkel noch die meisten anderen Senatoren sind bei Twitter zu finden, und auch das schon etwas etabliertere Facebook lassen die meisten unberührt.

Zumindest zwei Senatoren haben bei Twitter jetzt ihre ersten Schritte unternommen: Arbeits- und Integrationssenatorin Dilek Kolat und Gesundheitssenator Mario Czaja. Kolat, der bislang knapp 1000 Twitter-Nutzer folgen, äußert sich hier allerdings eher sporadisch. Gelegentlich kommentiert die 46-Jährige aktuelle Vorgänge, hält sich aber mit persönlicheren Einschätzungen zurück. Viele ihrer bislang rund 550 Einträge dokumentieren eigene Auftritte in der Öffentlichkeit, es finden sich aber auch unterhaltsam Dialoge wie einen mit dem Piraten-Abgeordneten Fabio Reinhardt (knapp 4200 Follower, knapp 26 000 Tweets), in dem es unter anderem um das Versagen von Reinhardts Armbanduhr geht. Noch aktiver präsentiert sich Kolat auf Facebook, wo ihr ebenfalls knapp 1000 Nutzer folgen.

Der Senatskanzleichef twittert über Politik, Privates und den „Tatort“

Gesundheitssenator Mario Czaja (422 Follower, 70 Einträge) nutzt Twitter bislang nur sehr sporadisch, und wenn, dann meist zur Präsentation eigener Aktivitäten, weniger zum Austausch mit anderen Nutzern – wie die meisten Politiker. Hin und wieder stellt der 38-Jährige auch mal ein selbst gemachtes Foto aus der Senatssitzung oder aus dem Abgeordnetenhaus ein, manchmal verbunden mit einem süffisanten Spruch. Wirklich aktiv ist Czaja hier aber nicht – der aktuellste Eintrag ist inzwischen einen Monat alt.

Im Vergleich zu diesen bescheidenen Aktivitäten erscheint Senatskanzlei-Chef Björn Böhning als Vorreiter der Landesregierung in Sachen soziale Medien. Der 35-Jährige meldet sich schon seit langem auf Twitter kontinuierlich und lebendig zu Wort, kommentiert aktuelle Themen und reagiert auf Bemerkungen anderer Nutzer. Knapp 20 000 Follower verfolgen das, rund 10 000 Tweets hat er bislang abgesetzt – von politischen Seitenhieben über Bemerkungen zu aktuellen Themen bis zu privaten Meldungen wie über einen Brandenburg-Ausflug oder seine Meinung zum aktuellen „Tatort“. Böhning ist in Sachen soziale Medien ein Profi. In verschiedenen Funktionen setzt er sich schon seit Jahren damit auseinander, wie sich das Internet politisch nutzen lässt, so in dem Buch „Freiheit oder Anarchie?“.

Auch Wowereit ist auf Facebook - aber nicht sehr interaktiv

Böhning kann man als Beispiel für jenen Politikertypen sehen, der in der Studie des St. Gallener Medien-Instituts als „begeisterter Nutzer“ definiert wird, da er die neuen Medien hoch motiviert nutzt und dabei offensichtlich auch noch Spaß hat. Der Studie zufolge ist dies allerdings nur bei einem von vier Politikern der Fall. Die meisten, so haben die Forscher ermittelt, nutzen die sozialen Medien weniger für Dialog und Interaktion, sondern zum Polit-Marketing. Die Selbstvermarktung steht im Vordergrund, „Politiker sind im Netz auf Senden eingestellt“, diagnostiziert die Studie.

Ein Musterbeispiel dafür ist die Facebook-Seite von Klaus Wowereit. Die nutzen der Regierende Bürgermeister und seine Mitarbeiter primär, um kurze Stellungnahmen oder Fotos von Wowereit zu veröffentlichen – von Weihnachtsgrüßen bis zu Wahlkampfbildern. Ein wirklicher Austausch mit den knapp 15 000 registrierten Facebook-„Freunden“ findet nicht statt. Ähnliches gilt für die Facebook-Seite von Justizsenator Thomas Heilmann. Im Gegensatz zu den meisten anderen Senatoren zeigt der einstige Internetunternehmer hier immerhin Präsenz, wenn auch eher zurückhaltend. Das ist vor allem eine Zeitfrage, sagt seine Sprecherin Claudia Engfeld. Daher sei der Senator auch bei Twitter gar nicht aktiv – wenn er das ernsthaft betreiben wollte, „käme er gar nicht hinterher“.

Bei den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses ist die „digitale Spaltung“, wie es die Forscher aus St. Gallen nennen, ebenfalls noch deutlich: Nur ungefähr jeder dritte Landespolitiker ist in den sozialen Medien aktiv und tauscht oft auch über Parteigrenzen hinweg Tweets und Facebook-Kommentare aus – gerade in Sitzungswochen kann man hier unter dem „Hashtag“ genannten Twitter-Stichwort „#AGH“ erleben, wie Reden im Plenum kommentiert und politische Gegner verspottet werden. Vor allem Piraten, Linke und Grüne sind hier aktiv, aber auch einzelnen Abgeordnete von SPD und CDU. Einige allerdings haben manchen Plattformen nach vorübergehenden Versuchen wieder den Rücken gekehrt. So ließ die Grünen-Abgeordnete Anja Kofbinger eine Zeit lang ihre Mitarbeiter für sich twittern – aber nur bis einen Tag vor der Bundestagswahl 2013, bei der sie in Neukölln kandidierte. Seitdem ist ihre Twitter-Seite unbenutzt. Auf Facebook hingegen ist sie weiterhin präsent.

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