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Auf 18 Routen fuhren zehntausende Radfahrer am Sonntag in die Berliner City. Die ersten waren schon am späten Samstagabend gestartet - in Stettin.

© dpa

Umweltfestival und Fahrradsternfahrt: Für Muskelkraft, gegen Atomkraft

Beinahe wäre das Umweltfestival am Zaun gescheitert. Dabei geht es dort sehr entspannt zu - bis die Fahrradsternfahrt ankommt. Verkehrssenator Andreas Geisel will das Sicherheitsproblem bei Großveranstaltungen nun dauerhaft lösen.

Sonntagmittag im Herzen Berlins: Zwei schutzwestenbewehrte Polizisten informieren sich am Stand der Marienfelder Lehrimkerei über Leben und Werk der Honigbiene. Ein paar Meter weiter herzt ein patrouillierender Beamter seine Freundin, die für Busreisen wirbt. Ansonsten geht es ziemlich vegan zu auf der Straße des 17. Juni. Denn es ist Umweltfestival; das 20. seiner Art – und das erste, das wegen zuvor nicht gekannter Sicherheitsauflagen beinahe ausgefallen wäre. Höchste Zeit also, einen genaueren Blick auf diese Veranstaltung zu werfen, die zwar das lokale Ziel der traditionellen Fahrradsternfahrt markiert, aber etwas im Schatten deren stadtweiter Ausstrahlung und Auswirkung verschwand.

Während die Marienfelder Bienen suchend über den Asphalt summen, schreiten Vertreter von Polizei und Grüner Liga als Veranstalterin mit Klemmbrett die Fluchtwege ab: Die Wege in den Tiergarten sind als Notausgänge beschildert, das Sowjetische Ehrenmal als Evakuierungszone. Der straßenparallele, ohnehin vorhandene hüfthohe Zaun wurde zu den Haupteingängen am Brandenburger Tor und Yitzhak-Rabin-Straße durch übermannshohe Bauzäune mit Toren ergänzt.

Zeitweise hatten die Sicherheitsbehörden einen massiv verankerten und absolut unüberwindbaren Zaun gefordert, was das Budget der Veranstalter gesprengt hätte. Obendrein wäre eine solche Barriere hochgradig bizarr gewesen im Rücken von Ständen, an denen beispielsweise „Dinkel macht glücklich“ steht oder „Es gibt keinen Planet B“.

Wer in dieser Umgebung vorwiegend cannabisdampfende Rastas oder rauschebärtige Jesuslatschenträger erwartet, liegt allerdings völlig falsch: Es ist ein auf sehr angenehme Art normaler Querschnitt der Bevölkerung, der zwischen den Ständen entlangspaziert. Kinder schauern wohlig vor dem Riesenpinguin von Tierschützern, Familien studieren das Angebot eines Fahrradladens, Paare schmökern in den Broschüren des Verkehrsverbundes VBB, Gartenfreunde beschnuppern uckermärkische Wildrosen, und die längsten Schlangen bilden sich vor einem Stand mit Thüringer Biobratwürsten sowie einem am Spieß rotierenden Schorfheider Ochsen, der einst glücklich gewesen sein sollte und jetzt kross.

Obenauf. Am Sonntag gehörte die Stadt den Radfahrern. Ziel der Sternfahrt war das Umweltfestival am Brandenburger Tor.
Obenauf. Am Sonntag gehörte die Stadt den Radfahrern. Ziel der Sternfahrt war das Umweltfestival am Brandenburger Tor.

© dpa

„Was halten Sie von neuen Atomkraftwerken in Europa?“, schwäbelt ein Mann, der sich Passanten in den Weg wirft und für die vielfach preisgekrönten „Stromrebellen“ der Elektrizitätswerke Schönau wirbt. Für diese Frage an diesem Ort bekommt er allerdings keinen Preis. Neben ihm echauffieren sich die Genossen der „Bürgerenergie Berlin“, wie der rot-schwarze Senat das Interesse vieler Berliner an der Rekommunalisierung der Stromnetze missachte, indem er – inmitten des laufenden Vergabeverfahrens – jetzt mit Vattenfall anbandele und damit die Genossenschaft ausboote, deren mehr als 2500 Beteiligte schon gut elf Millionen Euro in petto hätten.

Senator Geisel für weniger Veranstaltungen auf dem 17. Juni

An der Bühne hinterm Brandenburger Tor steht Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), dessen Verkehrsbehörde in dem Zaunstreit kurzfristig vermittelt hatte. Gegen Ende des Jahres wolle er mit Veranstaltern und Sicherheitsbehörden über eine dauerhafte Lösung des Zaunproblems beraten. Wie die aussehen könnte, mag er vorab nicht sagen, nur so viel: Die schon diskutierte Anschaffung eines Zauns durchs Land sei zwar denkbar, aber werfe die heikle Frage auf, wer dann davon profitieren dürfe und wer nicht. Auch sollten die Festivitäten auf der Straße des 17. Juni insgesamt reduziert werden: „Nicht jede Veranstaltung muss unbedingt hier stattfinden.“

„Tram Berta“ ist eine Schöpfung der Grünen, bei der es sich um zwei Fahrräder handelt, die mit recycelten Wahlplakaten umbaut sind.
„Tram Berta“ ist eine Schöpfung der Grünen, bei der es sich um zwei Fahrräder handelt, die mit recycelten Wahlplakaten umbaut sind.

© Stefan Jacobs

"Es gibt keinen Planet B", mahnt der grüne Bär. Wer das Umweltfestival am Brandenburger Tor besucht, wusste das meist schon vorher.
"Es gibt keinen Planet B", mahnt der grüne Bär. Wer das Umweltfestival am Brandenburger Tor besucht, wusste das meist schon vorher.

© Stefan Jacobs

Beim Umweltfestival müssen sie diesen Gedanken wohl nicht als Drohung empfinden – weil hier kein lärmender Kommerz stattfindet und weil das Fest ohne die Ankunft der Sternfahrt dann doch wäre wie ein Reifen ohne Luft.

Auf der Festmeile sind Fahrräder verboten

Am frühen Nachmittag endlich fluten die radelnden Rudel das Umweltfest – nach einer Fahrt ohne große Zwischenfälle und erstmals zu Fuß, weil Fahrräder auf der Meile verboten sind. Der ADFC als Veranstalter unter dem Motto „Fahrradstadt Berlin – jetzt!“ meldet 120.000 Teilnehmer, die er anhand der Gruppen auf den 19 Routen gezählt hat. Die Polizei schätzt 35.000 – aber selbst das wären wesentlich mehr als im vergangenen Jahr, so dass die Sternfahrt ihren Spitzenplatz als größte Demo festigt.

„Wir haben auch weniger böse Anrufe bekommen als sonst“, berichtet eine Frau am Stand des ADFC. Die Akzeptanz steige, und viele Anrufer beruhigten sich, wenn sie erführen, dass die Routen für die Fahrt nur kurz gesperrt würden und nicht den ganzen Tag. So sind am Ende alle zufrieden.

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