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Berlin: Unerwartete Genüsse aus der Dose

Mauerblümchen im Fischregal: Unsere Testrunde verkostete Makrelenkonserven aus dem Berliner Handel

Ist die Gravitation ein klar zu lokalisierendes Element des Genusses? Etwa wie ein Gewürz? Zumindest zutrauen würde man es einigen Protagonisten der modernistischen Küche ja fast, dass sie es fertig bringen, sogar Grundtatsachen des Kosmos‘ als Zutaten auf der Karte anzuführen. Doch worum geht es hier überhaupt?

Vielleicht lässt sich die Frage so beantworten: Wenn von Fleischlieferanten die Rede ist, wird selten vom grundlegenden Unterschied zwischen Landtieren und Wasserbewohnern gesprochen. Zum Wesen der kulinarischen Evolution gehört aber, dass das Verständnis für Produkte sich in ähnlicher Weise vertieft wie die Zubereitungsformen an Vielfalt gewinnen. Darum sollte man sich immer einmal wieder ins Gedächtnis rufen, dass Fische der Schwerkraft in ganz anderer Weise unterliegen als Landtiere. Das hat zur Folge hat, dass ihr Fleisch lockerer und luftiger aufgebaut ist. Das erkennt man schon daran, dass Fische sich gut mit der Gabel zerteilen lassen. Nicht nur hinsichtlich der Struktur hat das Auswirkungen, sondern auch für die Entwicklung von Geschmack.

Der Auftrieb im Wasser sorgt dafür, dass das Fett keine Schwarte bildet, sondern sich im Muskelgewebe gleichmäßig verteilt. Deshalb ist das Filet als ganzes ein ausgezeichneter Transporteur von Aroma. Das wiederum lässt sich an üblicherweise kurz gebratener Rohware weniger genau festmachen als an konservierten Fischen.

Die monatliche Tafelrunde begab sich diesmal auf Expedition. Auf zweierlei Expedition, um genau zu sein. Zum einen verließ sie ihr angestammtes Revier und reiste auf die Insel Rügen; zum andern gelangte sie mit dem Test von Dosenmakrelen in unsicheres Gewässer. Dass es kein seichtes wurde, hat vor allem damit zu tun, dass die nicht eben gut beleumundete Dose bloß einen Jahrtausende alten Konservierungsbrauch fortsetzt. Seit die Verwandlung von Fischen in Dauerware nicht mehr mit Hilfe von Amphoren, Strömen von Öl sowie Wachsversiegelung mühselig erzielt werden muss, ist die Angelegenheit immerhin hygienischer und zuverlässiger geworden.

Im Restaurant des Hotels Fürst Jaromar am Südostzipfel der Insel empfingen Hoteleigner Lutz Stenschke und Küchenchef Mathias Weinhauer neben den Berliner Gästen auch der Freudenstädter Ralf Haug, der in Binz die Küche des Sternerestaurants Nixe verantwortet. Sozusagen ein Heimspiel hatten die Makrelenfilets in Tomaten-Creme von „Rügen Fisch“. Vermeintlich. Denn abgesehen von der Tatsache, dass man eine Dose am Sassnitzer Sitz der Firma für rund einen halben Euro bekommt, ist das Fanggebiet weitab von der Ostsee gelegen. So dürfte der Insel also nicht das ausgekochte Fleisch anzulasten sein, sondern in Hummerorange speckig glänzende Tomatensauce, die in ihrer leimigen Art stellvertretend steht für ein heruntergekommenes Massenprodukt.

Dagegen wirkten die in Sonnenblumenöl eingelegten Filets von „Dreimaster Fischfeinkost“, die Netto handelt, als würde ein Vorhang weggezogen. Öl und Salz halten sich im Hintergrund, so dass das ein bisschen klein gezupfte Fleisch ein verhaltenes Aroma entfalten kann. Die würzige Ware von „Pan do Mar“ aus dem Biofachhandel ohne Haut und Gräten „aus nachhaltigem Wildfang 2009“ ist ebenfalls salzarm und wenig mit Säure behandelt, leidet aber unter einem früh geernteten Olivenöl, das sich vor allem mit seinen Bitternoten in den Vordergrund drängt.

Das dem Thunfisch ähnliche, aber nicht ganz so prägnante Aroma des barschartigen Schwarmfischs wird noch mehr beeinträchtigt von Weinmarinade und Würztunken. Das feste Fleisch der Maqueraux en filets marinés au Sancerre von „Le Pointe de Penmarc’h“ aus der Bretagne, die in der Weinhandlung Garlipp angeboten werden, kann der starken Säure des Weißweins kaum standhalten. Etwas vorteilhafter zwar setzen sich die in Muscadet ertränkten Filets des Maqueraux aux Aromates von „Connétable“ in Szene, die aus den Galeries Lafayette stammten.

Trotzdem hinterlassen sie – wie Weinhauer meinte – ein ambivalentes Gefühl: Zunächst wirken sie sauer und stechend, dann auf einmal wendet sich das Blatt und ein kräftiger Geschmack entfaltet sich. Die saftige Konsistenz wird nun vom Apfelton des Muskatellers unterstrichen. Davon unbeeindruckt brachte Lutz Stenschke die Mehrheitsmeinung der Runde zum Ausdruck, als er darauf hinwies, dass Aroma und saure Lake weder bei der Makrele noch beim Thun grundsätzlich in keinem glücklichen Verhältnis stehen. Connétables Filets à la Moutarde wären darum besser ungeöffnet geblieben. Denn die viel zu senfige Sauce beraubt den Fisch seines Charakters. Immerhin aber vermochte Ralf Haug hier etwas „halbwegs Eigenständiges“ zu erkennen.

Der Nixen-Kapitän kann sich ohnehin diesen uneleganten Fisch nicht in seiner Küche vorstellen und sieht in ihm nur im häuslichen Salat gut aufgehoben – oder jetzt als Katerfrühstück. Einen ungewöhnlichen Anlass, mit dem Fasten zu beginnen, boten die „Smily Fish Satay Fried Mackarels“ aus dem Asiasupermarkt. Zu Makrelenmus in brennendem Chili gesellt sich karamellisierte Erdnuss, Kokosmilch und Soyasauce. Diese eher psychedelische Erfahrung brachte den schlichten Fisch wieder in den Fokus zurück.

Bereits der Anblick der wie eben füsiliert dicht nebeneinander liegenden Filets unter einem Lack aus kalt gepresstem Sonnenblumenöl vermittelte Zutrauen in ein Produkt von „Fontaine“, das auch bei Harrods in London im Schaufenster liegen könnte. Dort allerdings würde sich das Bioprodukt allein schon wegen der linkisch-biederen Packungsgestaltung exotisch ausnehmen. Obwohl viel Öl im Spiel ist, wurde das dichte Fleisch nicht davon durchtränkt, so dass ein Aroma zum Ausdruck kommt, dessen Vorzug in einem bruchlosen Übergang zum Kalbfleisch besteht. Mathias Weinhauer sogar sah ein naturwüchsiges Vitello tonnato vor sich.

Überhaupt – und das ist eine Erkenntnis, die auch und gerade mit dem Testsieger zu tun hat – erzielt man mit einer guten Makrele eine entschieden feinere Fettfischpaste zum Kalbs-Roastbeef als mit dem üblichen Dosenthun. Die im KaDeWe erworbenen Filetti di Sgombro all’olio di oliva 30% von „Callipo Buoni Prodotti dal Mare“ verwiesen Fontaine auf den zweiten Platz. Sie begannen mit einem klaren wie schönen Fischeindruck (der sich schon im Anblick ankündigte), der auch vom kräftigen Öl nicht eingeengt war. Hinzu traten vollmundige Noten, die etwas an Geflügel erinnerten. Ungeahnte Züge von Eleganz wies ein Abgang auf, der die enorme Distanz zur Seriendose deutlich machte.

Eine sinnvolle Variation stellt das Rivette Chèvrefin de Maquerau von „Le Comptoir De L’Ile de groix“ gerade für den Einsatz am Frühstückstisch dar. Das im Feinkostgeschäft Goldhahn und Sampson am Helmholtzplatz erhältliche Tiegelchen ergänzt das Eiweiß aus dem Meer mit dem von der Wiese kongenial. Dafür wurden Ziegenfrischkäse und Makrele gemeinsam durch den Wolf gelassen. Selbst in dieser Konfektionierung ist noch gut zu spüren, dass die in der Dauerware statt gefundene Reifung und Verdichtung quasi einen eigenen Aggregatzustand zwischen Fisch und Fleisch bildet.

Asia Mekong Alex, Mitte, Henriette Herz Platz 1

Goldhahn & Sampson, Prenzlauer Berg, Dunckerstr. 9

Weinhandlung Garlipp, Mitte, Große Hamburger Str. 1

Gastgeber: Fürst Jaromar, Hauptstraße 1, Thiessow/Rügen, Tel. 038308/34-5

Restaurant Nixe, Strandpromenade 10, Binz/Rügen, Tel. (038393) 666200

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