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Sind so schwarze Füße. Von Schuhen hält Johannes Kathol nicht sehr viel. Foto: dpa

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Berlin: Unten ohne

Barfußlaufen ist ein Stück Freiheit in der Stadt – finden immer mehr Leute

Von Maris Hubschmid

Thorsten Niebel aus Friedrichsfelde gibt den Menschen zu denken. „Provokation? Oder echter Freigeist?“, fragt sich Mittzwanziger Stefan Berg auf dem Weg in sein Grafikstudio. „Ob der Mann arm ist?“, überlegt Benno aus Lichtenberg, bald neun Jahre alt. Und „was dem seine Mutter dazu sagt“, würde Rentnerin Waltraud Schmid gerne wissen. Niebel hätte kein Problem damit, Antworten zu geben, aber die anderen haben ein Problem damit, ihn anzusprechen. Wenn er am Alexanderplatz aussteigt, verständigen sie sich stillschweigend darauf, dass der Kerl eine Schraube locker hat, oder wahrscheinlicher: Künstler ist, in Berlin gibt es schließlich Exzentriker zuhauf.

Niebel ist Barfußgänger. Während der Otto-Normal-Berliner bei zwei Grad Außentemperatur im April die Winterstiefel rausholt, betritt Niebel die Bahn ohne Strümpf’ und ohne Schuh’. Zwölf Stationen fährt er täglich zum Job, zuerst mit der Linie U5, dann weiter mit der S-Bahn. Niebel arbeitet in einem Copyshop. „Seit zwei Jahren jetzt. Dort hat man kein Problem mit meinem Auftreten“. Sein Outfit ist leger, aber gepflegt. Die braunen Haare hat er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. „Ich habe keine Lust, mich anstandshalber einsperren zu lassen“, sagt der 31-Jährige. „Freiheit fängt im Kopf an – oder eben bei den Füßen.“ So allein sei er mit dieser Auffassung ja auch gar nicht mehr, meint Niebel. Tatsächlich sieht man immer häufiger Leute unten ohne durch das Stadtbild laufen. Eine Barfuß-Bewegung also? Schön wär's, findet Johannes Kathol aus Falkensee. 2005 hat er die Internetplattform „gobib.de“ gegründet, auf der er über „das Mehr an Gesundheit und Lebensfreude auf freien Füßen“ informiert und zu geführten Barfußwanderungen durch Brandenburg einlädt. Er sei schon immer gern barfuß gelaufen, sagt der 47-Jährige, erst mit zunehmendem Alter jedoch habe er sich barfuß in die Öffentlichkeit getraut. Dass das nicht jedermanns Sache ist, wisse er wohl. Deshalb wolle er auch nicht missionieren, sondern lediglich ein Bewusstsein dafür wecken, dass es (sich) auch ohne Schuhe geht, mitunter: besser.

Kathols Website listet alles auf, was es im Internet rund um das Thema Barfußlaufen zu finden gibt. Dissertationen zum Beispiel, die Wahrheit über Fußpilz, Fotos einer barfußlaufenden Heidi Klum. Auch den Punkt „Diskriminierung“ hat Kathol eingerichtet. „Ich bin kein Psychiatrie-Dauergast“, sagt er, „doch manche scheinen das zu glauben.“ Der Bundestag verbietet schuhlosen Besuchern den Eintritt, aus dem Alten Museum hat man Kathol einst hinausgeworfen, Begründung: Das Salz im Fußschweiß schade dem Marmor. Darüber kann Kathol nur den Kopf schütteln. Auch, was an nackten Füßen respektlos sein soll, versteht er nicht, wo andere bauchfrei und in Flip-Flops durch die Gedächtniskirche spazieren. „Das ist doch nicht konsequent“, ärgert er sich, und streng genommen seien das einzig Unnormale ja die Schuhe. „Die Füße, wie wir sie kennen, sind bereits seit Millionen Jahren fertig“, gibt er zu bedenken.

Orthopäden bekräftigen seit langem, dass gelegentliches Barfußlaufen die Muskulatur stärke und die Bewegungsabläufe beim Gehen verbessere. Oftmals ist ungeeignetes Schuhwerk die Ursache für Fuß- und Gelenkprobleme. Das glaube er gern, sagt Fahrgast Stefan Berg. Wie Niebel ganzjährig barfuß unterwegs zu sein, könne er sich trotzdem nicht vorstellen. Irgendwie unästhetisch, eine Frage des Stils sei das. „Ich denke an Splitter, Scherben, Hundekot“, sagt Benno stirnrunzelnd. Frau Schmid ist entsetzt.

Kein Problem, winkt Kathol ab. Man bewege sich automatisch aufmerksamer auf nackten Sohlen. Wenn andere ihm und seinen Kameraden mangelnde Hygiene vorwerfen, entgegnen sie, der Dreck auf dem Boden sei nichts anderes als der Staub in der Luft, wieso also sollten sie nicht auf dem gehen, was sie tagtäglich einatmen? „Die meisten sind gar nicht bereit, uns zuzuhören“, sagt Kathol und seufzt. „Mehr Toleranz wäre wünschenswert.“

Im Übrigen, fügt er hinzu, sei er der Idee des Barfußlaufens ja nicht sklavisch unterworfen. „Ich fühle mich stärker verwurzelt in der Welt, wenn ich barfuß gehe, aber ich lehne Schuhe nicht prinzipiell ab.“ Vor ein paar Wochen ist sein Sohn zur Erstkommunion gegangen, da trug der Papa Schuhe, zur Feier des Tages. Der Kleine hatte darauf bestanden. Maris Hubschmid

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