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Unter den Linden

© David Heerde

Unter den Linden: In Behandlung

Die Straße Unter den Linden ist Berlins Prachtboulevard – wirklich? Derzeit ist sie eher Patient Spaziergänger sehen vor allem offene Wunden. Doch hinter abgehängten Fassaden findet ein Lifting statt.

Alles ist eingehaust. Die Humboldt-Brüder sitzen in zwei Bretterhäuschen, die Generäle am Opernpalais müssen im Dunkeln munkeln, Schlossbrücken-Figuren zeigen nur die Spitzen ihrer Engelsflügel. Etliche Gebäude sind mit Rüstungen umstellt und in Plastikplanen gewickelt: Die Straße Unter den Linden nutzt die touristenarme Zeit fürs eigene Make-up. Ein guter Ruf kann zählebig sein. Doch gerade jetzt offenbart der Boulevard seine Schattenseiten.

Die neue amerikanische Botschaft am alten Pariser Platz wird bald die Hüllen fallen lassen, der Innenausbau ist im Gange, Konturen der hellen Fassade werden sichtbar, wie die Pilze sind Sicherheitspoller rund um das Gebäude aus dem Boden gewachsen. Im Juli soll der Bau eingeweiht werden, da haben sich die Amis jetzt auf den 4., ihren Nationalfeiertag, festgelegt. Dann ist der Pariser Platz komplett – fast. Denn den Anfang der Linden krönt ein Ärgernis der besonderen Art: der Bauplatz der U 55. Eigentlich sollte die Kurzfassung der Kanzlerlinie zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor schon zur Fußball-WM verkehren, jetzt soll die 2004 eingerichtete Baustelle erst 2009 geräumt sein.

Hier ist ein neues Botschaftsviertel entstanden: USA, Frankreich, England, Ungarn, Russland. Und die Polen? Was ist mit dem Klotzbau aus DDR-Zeiten, in dem nur noch die Einfahrt zur Garage bemerkenswert ist, weil hier Kunstschmied Fritz Kühn 224 unterschiedliche Blätter gestaltet hat? Vor Jahren gab es einen Wettbewerb für eine neue Botschaft, seither steht das Gebäude leer und wartet auf seinen Abriss. Wie lange noch?

Als ob sie dächten, auf einen Schandfleck mehr oder weniger komme es nicht an: Am Lindenlife, "Bar, Café, Restaurant" an der Ecke Schadowstraße, seit Jahren geschlossen, gammeln acht große Kübel mit vertrockneten Pflanzen. Wieso kann die Bundestagsverwaltung es sich leisten, im Parterre eines ihrer neuen, repräsentativen Bürohäuser ein großes Restaurant-Areal unbenutzt zu lassen?

Man sollte meinen, wer sich hier niederlässt, müsse auch etwas für das Image der Linden tun, diese Adresse sei Verpflichtung. Und sie dürfe nicht ungestraft mit wilden "Werbeträgern" vollgestellt werden. Was sollen die albernen Hinweise auf einen "Fundus-Verkauf", und wieso muss neben der Opernkasse auf einem abgestellten Anhänger für Zimmer in einer "Alten Waldschänke" ("Berliner Kulturgut") in Tegel geworben werden? In einem Bezirk, der es einer neu geplanten Touristenattraktion, Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett, verbietet, Reklameschilder aufzustellen? Die großen Fotos in der neuen Passage zur Mittelstraße beweisen, dass dieser Boulevard, wie auch die Friedrichstraße nebenan, einst seinen Ruhm damit schuf, dass er das Gegenteil von steril war, nämlich lebendig, kleinteilig, überschäumend, temperamentvoll, alles andere als langweilig.

Vielleicht wird das noch. An der berühmten Kreuzung Unter den Linden/Friedrichstraße wird gleich an drei Stellen so heftig gebaut, dass man denkt, sie wollen fertig werden, bevor die nächsten Touristenschwärme hier landen. Das Haus 26–30, von dem eine Passage durch zwei Höfe zur Mittelstraße führt, ist in altem Stil erneuert. Hier gab es einst die neuesten Audi- und Mercedes-Benz-Modelle zu sehen, zurzeit werden Läden und Wohnungen ausgebaut. In einem Geschäft steht schon die historische Inneneinrichtung eines Zigarrenladens aus der Chausseestraße, in dem Bert Brecht Streichhölzer und Heiner Müller Zigarren kaufte. Auf der anderen Seite, im Westin Grand Hotel, scheint kein Stein auf dem anderen zu bleiben. Hinter den Gerüsten "wird das Haus komplett umgebaut", sagt die Direktorin Gabriele Maessen. Das gilt nicht nur für Zimmer und Suiten, sondern auch für die Lobby – natürlich bleibt die schönste Freitreppe Berlins wie sie ist, aber zum modernen Design wird es neue Teppiche geben. Dennoch geht der Hotelbetrieb in dem zwanzig Jahre alten Haus weiter, im März soll die Lobby wieder empfangsbereit sein. "Alles, was ringsum geschieht, wertet diese Ecke auf, hier kann man bald wieder vorzüglich flanieren“, sagt Gabriele Maessen, und sie meint nicht nur das Westin Grand. "Sehen Sie mal, wie schnell das da drüben geht."

An der nördlichen Ecke wächst schon der dritte Stock aus dem Boden, acht werden es insgesamt, wenn die Firma Meag für ihren Komplex mit Läden und Büros hinter der römischen Travertin-Fassade 33 000 Kubikmeter Beton verarbeitet hat. Dass die Münchner Investoren den Komplex an dieser Ur-Berliner Ecke unter dem Namen "Upper Eastside Berlin" vermarkten, findet nicht nur der Chef der Interessengemeinschaft Friedrichstraße, Reiner Boldt, "richtig doof". Er sagt: "Das ist die Victoria-Ecke, denn da stand einst das berühmte Café Victoria."

Je weiter man nach Osten kommt, desto breiter werden die Linden. Die Kommode, die juristische Fakultät der Humboldt-Uni, bekommt einen neuen Anstrich. Und die junge Frau im einzigen geöffneten Kiosk freut sich, dass bald wieder die Touristen kommen. "Wann wärmer ist", sagt sie. "Im Frühling."

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