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Warten auf Kundschaft. 20 Minuten Sex sind für Berliner Freier für 35 Euro zu haben. Das ist teuer – im Vergleich zum Straßenstrich.

© picture alliance / dpa

Unterwegs mit Polizisten im Rotlichtmilieu: Nachteinsatz im Bordell

Ein Labyrinth verschachtelter Zimmer, ohne Fenster, ohne Fluchtwege. Blutjunge Frauen, die aber doch älter als 18 Jahre sind. Unterwegs durchs Rotlichtmilieu im Nachteinsatz mit der Berliner Polizei.

Die Frauen raffen ihre Klamotten zusammen. Nach zwei Minuten sind sie fertig. Richtig ausgepackt hatten sie ohnehin nie. Dann stehen sie in einer ordentlichen Reihe. Ihr Hab und Gut in einem Koffer, in einer Tüte. Weit weg von der Heimat. Alle haben Berliner Wohnsitze, trotzdem wirken sie obdachlos, so verloren stehen sie da, auf der Straße, vor versiegelten Türen. Prostituierte, Nutten geschimpft, ohne Arbeitsplatz – das Bordell wurde gerade dicht gemacht von Polizisten des Abschnitts 41, Standort Schöneberg. Die Mädchen sind legal hier, sogar freiwillig, wie sie sagen. Auch der Puffbesitzer ist sauber, nur der „Puff“ selbst nicht.

Illegal ausgebaut und ohne Brandschutz. Ein paar Stunden vorher, kurz vor 20 Uhr: Eine Polizeikolonne von sieben Autos setzt sich in Bewegung, 40 Mann im Einsatz. Heute Abend werden die Beamten Objekte aus dem Rotlichtmilieu überprüfen. Etwa einmal im Monat machen sie das. Rein in das erste Bordell. Die Wände leuchten rot, eine flackernde Lichterkette ziert die Ecke. Daneben ein Poster mit Palmen, Strand und Meer.

Neben der Kommode steht eine schwarze Ledersofagarnitur. Hier sitzen die Freier und warten auf Frauen. Eine nach der anderen bietet sich an, eine wird am Ende diejenige sein, die ein wenig Geld macht. Minimum 35 Euro. Das bedeutet 20 Minuten Sex. Im Vergleich zu manchen Preisen auf dem Straßenstrich ist das viel. Heike Krause, Sprecherin des Frauentreffs Olga, sagt, dass auf der Straße manche Frauen oralen Geschlechtsverkehr schon für zehn Euro anbieten. Der Grund dafür? „Seit der EU-Osterweiterung ist es voller auf dem Straßenstrich geworden und dementsprechend auch billiger.“ Fast 70 Prozent der Frauen dort kämen mittlerweile aus Osteuropa, nur 30 Prozent seien deutsch, sagt sie.

Das Haus in Schöneberg ist bekannt, mehr als 20 Jahre alt. Anonyme Hinweise haben die Polizei hierher gebracht. Die Beamten sind auf der Suche nach einer versteckten Wendeltreppe, die illegal in ein zweites Stockwerk führen soll. Als die über 60-jährige Empfangsdame registriert, dass eine Razzia bevorsteht, wird sie nervös. Wo sind die Schlüssel? Und wo die Frauen? Acht sind da – die Hälfte der Belegschaft. Auch hier kommen die meisten aus Rumänien und Bulgarien.

Alle müssen ihre Papiere abgeben und erst einmal warten, bis die Mitarbeiterinnen vom Bauamt, die bei dieser Razzia dabei sind, das Bordell geprüft haben. Sie kontrollieren die Fluchtwege, die Brandschutzvorrichtungen und checken, ob illegal ausgebaut wurde. Von Minute zu Minute werden sie fassungsloser. „In jeder Hinsicht ist das hier eine Feuerhölle“, sagt eine von ihnen. Am schlimmsten sei der illegal ausgebaute Keller. „Dort dürfte sich eigentlich niemand aufhalten.“ Entdeckt haben sie ein Labyrinth aus Zimmern und verschachtelten Gängen. Fenster? Kein einziges. Fluchtwege? Fehlanzeige. „Springt hier ein Funke, mündet das ganz schnell in eine Katastrophe“, sagt sie.

Die vermeintliche Empfangsdame hat Schwierigkeiten, die Schlüssel für die noch verschlossenen Räume zu finden. Zu viele sind es. Für den Notfall ist das schlecht. Aber diese Sorgen muss sich fortan keiner mehr machen: Das Bordell wird verriegelt. Der Suchtrupp hat nach einer halben Stunde auch noch die illegale Treppe entdeckt. Die beginnt hinter einer Spiegelwand und führt in den zweiten Stock. Insgesamt besteht das Geschäft hier aus drei Etagen, 17 Räume auf 320 Quadratmetern – genehmigt waren knapp 150. Später wird der Chef des Einsatzes von einem Ermittlungserfolg sprechen.

Gegen 22.15 Uhr bricht die Kolonne wieder auf. Ziel ist diesmal ein Bordell, das eine sogenannte „Flatrate“ anbietet. 99 Euro zahlt der Mann, dann bekommt er Sex so viel er mag, mit so vielen Frauen wie er möchte. Ein versteckter Hinweisgeber wies die Polizei darauf hin, dass viele Frauen hier minderjährig seien. Das heißt, sie wären zu jung, um für Geld mit Männern schlafen zu dürfen. Um die ganze Nacht zu arbeiten, um allein in einem fremden Land zu sein. Die 18 Frauen sitzen in der Ecke und starren an die Wand, ihren zahlreichen Freiern gegenüber. Viele ältere Männer sind dabei, die meisten aus Asien. Die Mädchen sind blutjung und blinzeln aus Augen, die sie kaum mehr offenhalten können. Seit elf Uhr vormittags hat das Flatrate-Bordell geöffnet, sie arbeiten im Schichtdienst. Ein Polizist erzählt, in solchen Einrichtungen hätten die Prostituierten oft überhaupt keine Rechte. „Die Pässe werden ihnen abgenommen, sie dürfen weder bestimmte Freier noch sexuelle Dienstleistungen ablehnen – das ist moderner Menschenhandel.“

Wieder dauert es lange, bis die Papiere überprüft sind. Die Geschäftsführerin aus Weißrussland wird immer ruppiger – sie will weitermachen und ihre Gäste nicht verärgern. Die Pornofilme im Hintergrund laufen weiter. „Immerhin gibt’s Kino umsonst“, sagt einer der Polizisten nicht allzu laut. Dass die Frauen zu jung seien, kann an diesem Abend nicht bewiesen werden. Die Ausweise bestätigen: Alle sind älter als 18 Jahre. Nur eine muss mit, weil sie das Original nicht vorzeigen kann. Auf der Kopie lässt sich kaum etwas erkennen. Der Ausweis ist bis heute nicht aufgetaucht, ihr droht Ärger wegen der Aufenthaltsgenehmigung.

Die Polizei wird in dieser Nacht noch bis in die frühen Morgenstunden unterwegs sein. Ein „Lusthaus“ steht noch auf der Liste, auch in Schöneberg. Um drei Uhr ist Feierabend. Drei Bordelle haben die Beamten dann überprüft, drei von etwa 300 in Berlin, wie die Senatsverwaltung schätzt. Dazu kommen der Straßenstrich und die extrem schwer zu kontrollierende Haus- und Hotelprostitution. Die Frauen aus dem Flatrate-Puff arbeiten noch, als die Schicht der Polizisten beendet ist.

Wo die anderen Frauen, jene aus dem ersten Bordell, sind? Niemand weiß es. Kein einziger Koffer steht mehr vor der versiegelten Tür. Als ob nichts gewesen wäre.

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