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Berlin: Ursula Behrend (Geb. 1916)

„Die Menschen wollen was sehen, und das ist wichtig.“

Durch den Beratungsraum des Berliner Verlages Kunst und Bild erstreckt sich ein langer Tisch, an dessen Stirnseite ein Stuhl, steht, der eher schon ein kleiner Thron ist. An seiner Rückenlehne prunkt eine golden bemalte Inkasonne. Georg W. Lutz, Inhaber des Kunstpostkartenverlags und Nachfolger von Ursula Behrend, hat den Stuhl für sie angeschafft. Wann ihr danach war, sollte sie darauf sitzen und an der Arbeit des Verlages noch teilnehmen. Seine Geschichte reicht bis ins Jahr 1926 zurück. Seit 1933 hat Ursula Behrend daran mitgeschrieben.

Angefangen hat es damit, dass sie als Lehrling bei der damaligen Presse- Photo GmbH, die vor allem die Ullstein-Verlage belieferte, Nummern in die gläsernen Negative ritzen musste. Die Finger hat sie sich beim „Plattenkratzen“ blutig geschunden, aber beklagt hat sie sich nie. Das lag ihr nicht. Flink im Kopfrechnen, mit dem Mundwerk immer vorneweg und überhaupt stets da, wo es zuzupacken galt, war sie bald die rechte Hand des Chefs Adolf Seiler. Als der 1941 zur Wehrmacht einberufen wurde, vertraute er der erst 25-Jährigen seine Firma mit zwanzig Angestellten an. Mit der Herstellung von Postkarten und Pressefotos hat sie sie durch den Krieg gebracht, bis das Haus an der Wilhelmstraße bei einem Bombenangriff im Februar 1945 in Schutt und Asche gelegt wurde.

Mit bloßen Händen wühlte Ursula Behrend in den Trümmern nach Resten des einst größten europäischen Archivs an Fotos und Negativen. Etwa ein Fünftel davon konnte sie retten. Das war die Grundlage für die „Defot-Werkstätten“, die Adolf Seiler seit 1947 wiederum mit Ursula Behrends Hilfe zu einer erfolgreichen Firma machte: Postkarten, Werbebroschüren, Leporellos, Fotos für die Landesbildstelle. Ihre simple, doch treffende Einsicht: „Die Menschen wollen was sehen, und das ist wichtig.“

Um die ganze Arbeit bewältigen zu können, gründete Adolf Seiler im Jahr 1952 den Verlag Kunst und Bild, zuständig allein für die Aufträge aus West-Berlin. Ursula Behrend wurde Teilhaberin und Geschäftsführerin – und fühlte sich fortan für beide Firmen verantwortlich.

Bilder von allem, was die Stadt zu bieten hatte: Kennedy-Besuch, Europa-Center, Grüne Woche, Modenschauen. Obwohl nur ein Bruchteil der Postkarten für den West-Berliner Markt hergestellt wurde, stammten in den sechziger Jahren die allermeisten der hier verkauften Karten aus ihrem Verlag.

Während Seiler das Geschäft vom Büro aus führte, wirbelte die zierliche Ursula Behrend zwischen den Arbeitsplätzen hin und her, kontrollierte, griff ein, war am liebsten überall zugleich. Im ewigen Zeitdruck flogen auch mal die Fetzen. Die Chefin konnte austeilen – und einstecken konnte sie auch.

Unvergessen sind die Weihnachtsfeste von Defot und Kunst und Bild. Dort sorgte Ursula Behrend, die ihre kurze Ehe mit einem Wink abtat, für familiäre Stimmung. Für die Angestellten kaufte sie die Geschenke im KaDeWe.

Die Geschäfte liefen glänzend. Treue Kunden waren bis zuletzt der Berliner Zoo und die Gedächtniskirche. Schwierig wurden die Zeiten aber ab 1985, nach Seilers Tod. Noch fünf Jahre führte Ursula Behrend die beiden Firmen ohne ihn, ehe sie sich eingestehen musste, dass es über ihre Kräfte ging. Sie verkaufte.

Und sie blieb. Eines der letzten Fotos von Ursula Behrend zeigt sie auf ihrem Stuhl im Verlag Kunst und Bild. Die Strahlen der Inkasonne umrahmen ihr noch immer üppiges Haar. Sie lächelt, sie ist zufrieden. Petra Boden

Petra Boden

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