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Utopisches Berlin: An der Tempelhofer Küste

Der Kartograph Carlos Borrell und der Autor Stephan Moskophidis haben einen ungewöhnlichen Stadtplan gezeichnet. Er zeigt ein durchweg erfrischendes Berlin - als eine Stadt am Meeresstrand.

Für Kurt Tucholsky sah der Traum des Berliners von der idealen Wohnlage folgendermaßen aus: „Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, / vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße.“

Genau 85 Jahre ist es her, dass er dieses Ideal beschrieb – um nichts sind wir ihm nähergekommen. Zwar hat Berlin in Köpenick ein Klein-Venedig aufzuweisen, aber es grenzt nicht an die Adria, sondern nur an den Müggelsee. Auch die Ostseestraße in Prenzlauer Berg führt keineswegs an die Küste, und statt des Schwarzen Meeres haben wir den Weißen See.

Aber man wird ja mal träumen dürfen von Ebbe und Flut am Berliner Strand, gerade in den Zeiten des Klimawandels, der abschmelzenden Gletscher und des steigenden Meeresspiegels. Und wenn schon, dann bitte konsequent. Etwa so wie auf dem Stadtplan, den der 47-jährige Kartograph Carlos Borrell aus Friedrichshain und der 40-jährige Autor Stephan Moskophidis aus Kreuzberg vorgelegt haben: „Berlin am Meer“, im Maßstab 1:18 500. In einer „lauschigen Berliner Sommernacht“ soll die Idee dazu entstanden sein, die, so will es die von den beiden ersonnene Legende, einen bereits im 18. Jahrhundert unterlaufenen kartografischen Fehler endlich korrigiert. Berlin war demnach schon immer eine Stadt am Meer.

Deren Küstenverlauf setzten die beiden Kartenkundler etwa auf der Linie Rathaus Schöneberg, Platz der Luftbrücke, Hasenheide an. Darunter: das Meer – oder doch dessen Vorstufe, die „Berliner Bucht“, für die Schifffahrt gesichert durch Leuchttürme und eine alte Festung, die „Rixburg“. Schönebergs Rote Insel verdient ihren Namen, von Wellen umschlossen, nun zu Recht, auch wurde manche Straße in ihrem Verlauf den neuen Gegebenheiten angepasst und in maritimer Manier umgetauft, heißt nun Kolumbuspromenade. Auch der Treptower Park ist von Wasser umschlossen, als Teil der Flussmündung der Spree, die sich in die Berliner Bucht ergießt, folglich ihre Fließrichtung geändert hat.

Ja, man muss schon ein wenig umdenken und von lieb gewordenen Stadtbefindlichkeiten Abschied nehmen angesichts dieses „fantastischen Stadtplans“, wie seine Urheber ihn nennen. Für die Bewohner des abgesoffenen Berliner Südens mag das schmerzlich sein, aber es hat auch Vorteile. So erspart es uns die sonst über Jahre sich hinschleppende Diskussion über die Zukunft des Tempelhofer Feldes. In „Berlin am Meer“ ist es ein riesiges Hafenbecken, mit den Abfertigungshallen als Passagierterminal des Zentralen Fährhafens Berlin-Tempelhof. Von dort starten die Schiffe Richtung Hamburg, Helsinki, Mumbai. So ähnlich, wie man sich das für den Luftverkehr von Schönefeld aus mal erträumt hatte. Den BER gibt es laut Borell/Moskophidis übrigens auch nicht mehr: Südlich von Berlin schwappt jetzt das Meer.
„Berlin am Meer – ein fantastischer Stadtplan“ (Carlos Borrell/Stephan Moskophidis) Carlos Borrell Verlag, Berlin. 3,95 Euro. www.berlin-am-meer.eu

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