zum Hauptinhalt

Berlin: Vergebliche Bitten

Salam Hamade und ihren Kindern droht die Abschiebung. Auch der Erzbischof konnte nicht helfen

Von Sandra Dassler

„Ich habe einen Pass beantragt, weil ich arbeiten wollte“, sagt die junge Frau. „Und jetzt wollen sie mich deshalb abschieben. Das finde ich richtig gemein.“ Kindlicher Trotz schwingt in ihrer Stimme mit. Er passt zu diesem Gesicht, dem auch das streng gebundene Kopftuch nichts von seiner Mädchenhaftigkeit nehmen kann.

Salam Hamade sitzt auf ihrem weißen Plastikstuhl in einem Neuköllner Hinterhof, den fleißige Hände vor einigen Jahren in einen hübschen Garten verwandelt haben. Über den Rasen rund um einen blühenden Rosenstrauch flitzen dunkle Schöpfe mit bunten Schleifen. Sie gehören Nehan und Neriman, den Zwillingstöchtern der 22-jährigen Palästinenserin.

Alle haben sich mit ihrem Fall befasst: die Mitarbeiter der Ausländerbehörde, die Richter, die Mitglieder der Härtefallkommission, der Innensenator. Und alle haben gegen sie entschieden. Morgen sollten die drei in den Libanon abgeschoben werden – ausgerechnet am vierten Geburtstag der Zwillinge.

In ihrer Angst hat Salam an den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses geschrieben, der am gestrigen Freitag die Abschiebung in nahezu letzter Minute vorerst verhinderte. Auf seine Bitte hin verlängerte die Ausländerbehörde die „Grenzübertrittsbescheinigung“ für Salam und ihre Töchter um acht Wochen. Nehan und Neriman werden morgen ihren Geburtstag feiern können – mit den Großeltern, den Tanten, Onkeln, Cousinen. Alle Verwandten Salams leben in Deutschland. Niemand von ihnen ist momentan von Abschiebung bedroht, mancher nur, weil er keinen Pass hat – im Gegensatz zu Salam.

Die war erst neun, als ihre Familie 1990 nach Berlin kam. Ungern erinnert sie sich an das Leben im libanesischen Flüchtlingslager. „Ich hatte acht Geschwister“, erzählt sie, „wir lebten in einem kleinen Raum, meine Eltern bekamen keine Arbeit– das Übliche für palästinensische Flüchtlinge. In Berlin war alles anders. Es gab keine Raketenangriffe, die Schule machte mir Spaß, ich war glücklich. Und ich wollte sehr gern Lehrerin werden.“

Aber wie allen Kindern abgelehnter und in Deutschland nur geduldeter Asylbewerber stand Salam kein Ausbildungs- oder Studienplatz zu. So blieb sie nach dem Hauptschulabschluss zu Hause, bis sie – gerade 16-jährig – von den Eltern nach islamischem Recht verheiratet wurde. Nach deutschem Recht aber gilt sie als unverheiratet und allein erziehend. Deshalb sollen ihre Töchter Nehan und Neriman mit abgeschoben werden. Salams Mann, ebenfalls palästinensischer Flüchtling ohne gültigen Pass, kümmert sich nur selten um seine Familie. „Er wird nicht mit uns gehen“, sagt Salam Hamade. „Und ich kenne niemanden im Libanon. Uns bliebe wahrscheinlich nur das Flüchtlingslager. Davor habe ich Angst.“

Der Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky hat bereits im April dieses Jahres in einem persönlichen Bittschreiben an Innensenator Ehrhart Körting darauf verwiesen, dass Salam Hamade in Libanon weder Verwandte noch Freunde hat – und demzufolge keine Existenzgrundlage. In vergleichbaren Fällen, schrieb der Kardinal, hätten Frauen nur die Möglichkeit, sich zu prostituieren, wenn sie ihre Kinder nach der Rückkehr in ihre Heimat durchbringen wollten.

„Aber meine Heimat ist doch hier“, sagt die junge Frau, die nicht versteht, warum ihr im Gegensatz zu ihren Eltern und Geschwistern die Duldung in Deutschland verweigert wird: „Man hat mir gesagt, das liegt daran, dass ich einen Pass habe.“

Ironie des Schicksals: Im Zuge der „Altfallregelung“ für Asylbewerber mit langjährigem Aufenthalt im Jahr 1999 hatte die Ausländerbehörde Frau Hamade aufgefordert, sich einen Pass zu beschaffen. Da die junge Frau arbeiten wollte und sogar ein Jobangebot als Verkäuferin hatte, folgte sie der Aufforderung. Doch ihr Antrag auf eine Aufenthaltsbefugnis und eine entsprechende Arbeitserlaubnis wurden abgelehnt. Von der libanesischen Botschaft erhielt sie aber ein „Document de voyage“, eine Art Pass-Ersatz.

Genau das wurde ihr jetzt zum Verhängnis. In seinem Antwortschreiben an Kardinal Sterzinsky bedauerte Innensenator Körting, dass „eine für Frau Hamade günstige Entscheidung rechtlich nicht möglich ist“ und verwies darauf, „dass auch eine Einzelfallentscheidung nach § 30 Abs. 3 oder 4 des Ausländergesetzes nicht möglich ist, da bei Frau Hamade kein Abschiebungshindernis mehr vorliegt, sie hat einen gültigen Pass.“

„Rechtlich mag das alles stimmen“, sagt Bernd Szczepanski, „aber unmenschlich ist es trotzdem.“ Szczepanski wohnt Tür an Tür mit Salam Hamade und schätzt die junge Frau sehr. Im Haus, erzählt er, habe das Sozialamt einige Wohnungen angemietet, in denen ausländische Familien leben – Bosnier, Afrikaner, Araber. Viele sind mit Kindern hier, die durch Kriegserlebnisse oder Flucht traumatisiert und verhaltensgestört sind. „Frau Hamade hat es geschafft, einen Zugang zu diesen Kindern zu finden“, sagt Szczepanski, „sie hat ihnen Geschichten erzählt, deutsche Worte beigebracht und ihnen Essen gegeben – obwohl auch sie von Sozialhilfe lebt.“

Auch Bernd Szczepanski hat an Ehrhart Körting geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Nachdem selbst die Anwältin von Salam Hamade meint, dass fast alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, ruhen Szczepanskis letzte Hoffnungen auf dem Petitionsausschuss und einem möglichen Appell an den Innensenator, den Fall noch einmal zu überdenken. Wenn auch dies wieder abgelehnt wird, bleibt der jungen Frau nach Ansicht ihres engagierten Nachbarns als letzte Zuflucht nur noch das Kirchenasyl.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false