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Berlin: Vergewaltigung in der Ehe: "Wer den eigenen Mann anzeigt, setzt sich nicht mehr an den gemeinsamen Tisch"

Ein Happy End scheint ausgeschlossen. Unversöhnlich sitzen sich Sami und Gilek B.

Ein Happy End scheint ausgeschlossen. Unversöhnlich sitzen sich Sami und Gilek B. im Moabiter Gerichtssaal gegenüber. Nie wieder will die junge Türkin zu dem Mann zurückkehren, der jetzt vor ihr auf der Anklagebank sitzt - weil er sie hinter verschlossenen Türen schikanierte, schlug und vergewaltigte. Das jedenfalls hat Gileks Bruder der Polizei erzählt. Im Gerichtssaal erscheint die Lage aber alles andere als eindeutig, jedenfalls wenn es um den Vorwurf Vergewaltigung geht. "Es ist für uns schwierig rauszufinden, was eigentlich wahr ist", sagt die Vorsitzende Richterin Renate Möcke ein wenig ratlos.

Die Vergewaltigung in der Ehe: Nachdem der Bundestag über Jahrzehnte leidenschaftlich gestritten hatte, wurde sie vor drei Jahren in Paragraph 177 ausdrücklich unter Strafe gestellt. Zeit für eine Bilanz, die bei der Polizei allerdings eher ernüchternd ausfällt. "Das Gesetz greift kaum", sagt Elke Plathe, im Landeskriminalamt zuständig für Sexualdelikte. Die Zahl der Anzeigen bewege sich in Berlin wie auch schon vor der Änderung 1997 zwischen 60 und 70 Fällen im Jahr.

Laut Statistik hat die Polizei 678 Vergewaltigungen und besonders schwere Fälle der sexuellen Nötigung 1999 registiert. 65 Fälle, also rund zehn Prozent, gingen davon 1999 auf das Konto eines Ehemannes. 1998 kamen 61 Frauen zur Polizei, um ihren Mann anzuzeigen. Doch die Dunkelziffer gilt als hoch. Nach einer Studie für das Bundesfamilienministerium wurde die Zahl der vergewaltigten Ehefrauen zwischen 1987 und 1991 in Deutschland auf 350 000 geschätzt. Laut Plathe kommen auf eine Anzeige zwischen 20 und 40 nicht gemeldete Delikte. "Viele Frauen haben Angst vorm Täter, suchen bei sich selbst die Schuld und stehen unter dem Druck von Familie und Gesellschaft", sagt Plathe. Außerdem könne man schlecht den eigenen Ehemann anzeigen und sich anschließend wieder an den gemeinsamen Tisch setzen. In den meisten Fällen sei die Anzeige deshalb der endgültige Schlussstrich, der unter eine Ehe gezogen werde.

Die Vergewaltigung war natürlich auch vor der Änderung schon strafbar, aber wörtlich nur als gewaltsamer "außerehelicher Beischlaf". Vor der Vergewaltigung von Ehefrauen indes hatte der Gesetzgeber seit Jahrhunderten die Augen geschlossen. Vor dem Juli 1997 hätte man Sami B. im Moabiter Gerichtssaal also nur wegen Nötigung und Körperverletzung bestrafen können. Jetzt steht für ihn mehr auf dem Spiel: "Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung" heißt der Tatbestand und schützt Verheiratete und Unverheiratete in gleicher Weise. Danach wird mit "mindestens einem Jahr" bestraft, wer andere zu sexuellen Handlungen nötigt. In "minder schweren Fällen" sind es sechs Monate bis fünf Jahre. In besonders schweren Fällen: Nicht unter zwei Jahren, was eine Strafaussetzung in jedem Fall ausschließen würde.

Die Staatsanwältin wirft Sami B. vor, seine Frau im August 1999 mehrmals geschlagen, beschimpft und vergewaltigt zu haben. Der 29-Jährige schüttelt den Kopf. "Mal eine Ohrfeige, aber ich habe sie nie zum Sex gezwungen", sagt er. Vor vier Jahren hatte er Gilek in der ostanatolischen Provinz geheiratet und mit nach Berlin genommen. Erst hier in Berlin, sagt Sami B., habe diese dann "ihr wahres Gesicht" gezeigt. Im Laufe der Jahre eskalierten die Streitigkeiten. Dass seine Frau ihn nun der Vergewaltigung bezichtige, könne er sich nur aus einem Grunde erklären: "Sie will für die Türkei ihren schlechten Ruf verbessern." Als Gilek B. mit einem Kopftuch den Zeugenstand betritt, werden die Zuschauer des Saales verwiesen.

Nicht nur die Dunkelziffer der Vergewaltigungen ist groß, sondern auch die Diskrepanz zwischen angezeigten und angeklagten Übergriffen. Etwa 15 Anklagen im Jahr, in denen Ehefrauen sexuell misshandelt wurden, zählt in Moabit die Oberstaatsanwältin Monika Kienbaum. Etwa das Vierfache wird angezeigt, aber viele Frauen machen plötzlich von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. "Wenn die Frauen ihre Ehe kitten wollen, ziehen sie ihre Anzeige in der Regel wieder zurück", sagt Kienbaum. Für die Anklage ist der Fall dann gelaufen. Es sei denn, was bei diesem Delikt naturgemäß selten der Fall ist, es gibt andere Zeugen.

Wie etwa im Falle des 34-jährigen Maurers K. Seit zwei Wochen lebte er von seiner Frau getrennt, als die 30-Jährige im August 1997 noch einmal in die gemeinsame Wohnung ging. Ihre Schwester sollte, wie mit ihr vereinbart, zur Sicherheit alle halbe Stunde anrufen. Das tat sie, aber als niemand abhob, machten Schwester und Schwager sich auf, nachzusehen. Doch es war zu spät. Der betrunkene Mann vergewaltigte seine Frau gerade. Das Gericht verurteilte den Angeklagten zu drei Jahren Haft. Nicht vorbestraft, wie er war, hätte ihm ein Gericht vor Juli 1997 womöglich Bewährung eingeräumt.

Dass gewalttätige Ehemänner nur wegen Körperverletzung und Nötigung verurteilt werden konnten, stieß schon vor Jahrzehnten bei der Frauenbewegung auf Kritik. "Ein bisschen Schutz, ein bisschen schwanger und ein bisschen Frieden - das gibt es nicht", begründete die SPD-Parlamentarierin Ulla Schmidt 1997 als eine Initiatorinnen des überparteilichen Entwurfs den Vorstoß. Enttäuschung über die aktuelle Bilanz der Polizei hört man von ihr nicht. Schließlich habe niemand damit gerechnet, dass der neue Paragraph "einen Run auf die Gerichte" auslösen würde. Es sei aber wichtig, dass der Gesetzgeber endlich ein Zeichen gesetzt hat: "Die Vergewaltigung in der Ehe ist strafbar und kein Kavaliersdelikt."

Im Gerichtsalltag steht in der Regel Aussage gegen Aussage. Ob der Frau geglaubt wird, dass ihr Mann sie zum Beischlaf gezwungen hat, bleibt also der Beurteilung der Richter überlassen. Im Falle von Sami B. vermag die junge Frau das Gericht nicht zu überzeugen: Ihre Schilderung weist Lücken und Widersprüche auf. Bis zum Schluss bleibt sie dem Gericht eine zusammenhängende Darstellung der Geschehnisse schuldig. "Es ist nicht sicher, ob die Frau lediglich bei einer anfänglichen Lüge geblieben ist", sagt die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer und zieht den Vorwurf der Vergewaltigung zurück. Wegen Körperverletzung wird Sami B. zu 750 Mark Geldstrafe verurteilt.

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