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Die Straße des 17. Juni ist derzeit wieder gesperrt. Das führt immer wieder zu Empörung.

© dpa

Verkehr in Berlin: Immer diese Sperrungen an der Straße des 17. Juni

Peter Hahne hat sich in einer Leserzuschrift empört, dass die Straße des 17. Juni sehr oft gesperrt ist. In der Tagesspiegel-Rubrik "Zurückgeschrieben" antwortet ihm Roland Schurig, Jurist und Senatsrat a. D.

In einem Leserbrief beschwert sich Hans-Jürgen Frey über die Sperrung der Straße des 17. Juni. Peter Hahne vom ZDF-Hauptstadtstudio pflichtet ihm bei:

"Als jemand, der mindestens zweimal am Tag den 17. Juni als Berufspendler befährt, kann ich Herrn Frey nur zustimmen. Klar, dass unseren Spaßpolitikern in ihren Nobel-Dienstkarossen das alles am Allerwertesten vorbei geht, was der Normalbürger erleidet. Zu den Dauersperrungen kommt ja noch, dass die parallelen Ausweichachsen oft durch Baustellen (wie jetzt) lahmgelegt sind. Während in den USA nach einem Event Straßen und Plätze nachts geräumt und am nächsten Morgen wieder befahrbar sind, dauert die Auf- und Abbauerei in Berlins zentraler Mitte länger als die Fete selbst. Auch das ein Skandal, müsste man den Veranstaltern dies doch zur Auflage machen. Kein einziger Mensch wird dort nachts gestört! Aber wen der Blaulicht-Limousinen-Politiker juckt das schon. Und ist die Straße mal frei, wird geblitzt, obwohl ich dort bei tausenden Fahrten noch keinen Unfall sah. Dreistes Abzocken und Schikane lösen einander ab. Das will eine Metropole sein? Lächerlich!"

Roland Schurig, Jurist und Senatsrat a. D., Dozent für Verkehrsrecht an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht, antwortet:

"Den Leserzuschriften von Hans-Jürgen Frey und Peter Hahne ist zuzustimmen. Es ist wirklich schlimm, was sich Berlins Verkehrsteilnehmer mit der Straße des 17. Juni bieten lassen müssen. Eine für die Verbindung von Ost und West wichtige Magistrale steht wegen ständiger Veranstaltungen mehr als 100 Tage im Jahr nicht zur Verfügung! Die Gründe hat Hans-Jürgen Frey zutreffend geschildert: Finanzstarke Sponsoren beteiligen sich an Veranstaltungen nur, wenn dafür die Straße des 17. Juni mit dem Brandenburger Tor wegen seines Wiedererkennungswertes für Berlin zur Verfügung steht.

Die Veranstaltungsagenturen, die an solchen Events gut verdienen, bearbeiten deshalb die Politiker, damit sie ihre Zustimmung erteilen. Nicht selten wird aber das Brandenburger Tor bei Veranstaltungen dermaßen zugebaut, dass vom Tor selbst nichts mehr zu sehen ist. Den Veranstaltern geht es also offensichtlich mehr um die weltbekannte „Location“. Ein Ausweichen auf das Olympia-Stadion, Tempelhofer Feld u. ä. wäre durchaus zumutbar, zumal dort wenigstens eine Finanzierung durch Eintrittsgelder möglich wäre. Im Übrigen handelt es sich ja auch dort um international bekannte Adressen. Straßen sind auf der Grundlage der Straßengesetze für den Verkehr gewidmet. Alle Bürger haben deshalb einen einklagbaren Rechtsanspruch auf ihre Nutzung.

Davon darf nur mit einer Sondernutzungserlaubnis und Ausnahmegenehmigung abgewichen werden, wenn besonders dringende Gründe dies erfordern und die Interessen des allgemeinen Verkehrs, für die ja die Straßen gebaut und bestimmt sind, dem nicht entgegenstehen. Keinesfalls dürfen aber massenhaft erteilte Sondernutzungserlaubnisse und Ausnahmen dazu führen, dass der Kerngehalt der straßenrechtlichen Widmung ausgehöhlt und die Straße quasi zur Veranstaltungsfläche mutiert. So hat das Bundesverwaltungsgericht einmal für die Avus die Zahl der Sportveranstaltungen auf maximal drei pro Jahr begrenzt, also nur sechs Tage im Jahr! Das was sich aber auf der Straße des 17. Juni abspielt, sprengt jeden rechtlichen Rahmen für eine noch erträgliche Veranstaltungspraxis.

Es gibt keine kommerziellen, sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen, die das rechtfertigen

Das Bezirksamt Berlin-Mitte, der Senat und die Verkehrslenkung Berlin sind dem Bürger gegenüber zu einer fehlerfreien Rechtsanwendung verpflichtet. Sinn der straßenrechtlichen Widmung ist nicht, die gesetzliche Regelung durch Sondernutzungserlaubnisse und Ausnahmen beliebig zu unterlaufen. Von einer Straßensperrung darf nur Gebrauch gemacht werden, wenn die strikte Anwendung der gesetzlichen Regelung in einem besonders gelagerten Einzelfall zu einer unbilligen, vom Gesetzgeber nicht gewollten Härte für die Betroffenen führt.

Von daher gibt es weder kommerzielle, sportliche noch kulturelle Veranstaltungen, die Sperrungen der Straße des 17. Juni rechtfertigen. Auch der Marathonlauf muss nicht zwangsläufig am Brandenburger Tor beginnen und enden. Die erteilten Sondernutzungserlaubnisse und Ausnahmen sind daher allesamt rechtswidrig. Sie beeinträchtigen nicht nur die Mobilität auf den wenigen Umgehungstraßen, sondern belasten außerdem die Bewohner mit verstärkten Lärm- und Abgasemissionen. Es stellt sich daher die Frage, was tun.

Den Verantwortlichen ist die Problematik durchaus bewusst. Wenn es aber nur wenige gibt, die sich wehren und von der Spaßgesellschaft als Miesepeter beschimpft werden, welchen Grund hätten Verantwortliche, solche Veranstaltungen zu verbieten? Aber? Politiker sind nicht dem Spaß, sondern dem Recht verpflichtet! Schließlich haben Parlamente und damit sie selbst die Gesetze gemacht. Verhaltensweisen der Politiker, wie auf der Straße des 17. Juni, gab es schon im alten Rom: „Venire contra factum proprium“ hieß es damals oder „Zuwiderhandlung gegen eigenes vorheriges Verhalten“; in jedem Fall bedeutet das eine unzulässige Rechtsanwendung. Wenn aber Politiker und Verwaltung keine Einsicht zeigen, müssen sie eben „im Namen des Volkes“ wieder auf den Pfad der Tugend gebracht werden. Wer fühlt sich berufen?

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