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Hat gut Lachen: Sahin Ay (r.) ist Gastwirt in der Zossener Straße und unterstützt das Autoverbot vor seinem Café „Smyrna Kuruyemis“.

© Lea Diehl

Verkehr in Berlin-Kreuzberg: Anwohner sehen Fußgängerzone in der Zossener Straße kritisch

Im Berliner Bergmannkiez soll es eine neue Fußgängerzone geben. Doch die Vorstellung gefällt nicht jedem.

Mit Fußgängerzonen kennt Lutz Stolze sich aus. Und hat dafür nur ein Wort übrig: langweilig. „Fußgängerzonen heißt Innenstadtsterben“, sagt er. Stolze kommt aus Oldenburg: der Stadt mit der ältesten flächendeckenden Fußgängerzone Deutschlands. Heute führt er die Buchhandlung „Kommedia“ in der Zossener Straße im Bergmannkiez.

Um den Verkehr zu beruhigen, hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am vergangenen Mittwoch beschlossen die Zossener Straße zwischen Gneisenau- und Bergmannstraße zur Fußgängerzone zu machen. Eingebracht wurde der Vorschlag von den Grünen.

„Wir sind doch nicht auf dem Land. Das soll doch knallen hier in Kreuzberg“, kommentiert der Buchhändler den Beschluss. Dass Reglementierungen Kiezen nicht guttäten, zeige die umstrittene Umgestaltung zur Tempo-20-Zone in der Schöneberger Maaßenstraße. 2015 wurde dort Berlins erste „Begegnungszone“ eingerichtet.

„Der Maaßenstraße ist alle Poesie verloren gegangen“, sagt er. Die Umgestaltung nennt Stolze „eine Infantilisierung des Raumes“. Jetzt hat er Angst, dass den Kreuzbergern das Gleiche blüht.

Jahrelange Debatte

Die Diskussionen um die Verkehrsregelung in dem Kiez laufen schon lange. Seit zehn Jahren wird über eine Sperrung der Zossener Straße debattiert. Eine „Begegnungszone“ in der Bergmannstraße ist in Planung. Das Projekt sei nicht nur umweltfreundlich, sondern könne auch die Lebensqualität im Kiez steigern, sagt Grünenpolitikerin Antje Kapek über die jetzt beschlossene Fußgängerzone. Sie ist Vorsitzende der Grünenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und in dem Kiez aufgewachsen.

Buchhändler Lutz Stolze hält nicht viel vom künftigen Auto-Bann.
Buchhändler Lutz Stolze hält nicht viel vom künftigen Auto-Bann.

© Lea Diehl

Während sich die BVV einig ist, gehen Meinungen von Anwohnern und Gewerbetreibenden auseinander. Wolfgang Lampen, der das Musiklokal „MarktWirtschaft“ auf dem Marheinekeplatz führt, ist unschlüssig. „Zwei Herzen schlagen in meiner Brust“, lautet sein bisheriges Urteil zu der geplanten Fußgängerzone.

Auch er sagt: „Die Leute sind an den Lärm gewöhnt.“ Auch, wenn er es nicht schlecht fände, wenn Autos verdrängt würden, sei der Lärm nicht unbedingt schlecht: Wäre der Straßenlärm nicht, könnten Anwohner auf die Idee kommen, sich über den Jazz zu beschweren, der abends aus den Fenstern der „MarktWirtschaft“ dringt, sagt er schelmisch.

Nervtötender Lärm

Andere stört der Verkehr hingegen schon lange. Der 77-jährige Angelo Mo, der in einem italienischen Café in der Markthalle an der Ecke zur Bergmannstraße sitzt und hier wie so oft Cappuccino trinkt, sagt: Gäbe es hier eine Fußgängerzone, „müssten ältere Menschen wie ich nicht mehr nach rechts und links schauen, ob sie ein Auto oder ein Motorbike mitreißt“.

Jascha Kappelmeyer findet den Lärm schlicht und einfach „nervtötend“. Er sitzt auf einem Klappstuhl vor dem Schokoladengeschäft „Doçura“ und isst sein morgendliches Müsli. Vor seiner Nase reihen sich wartende Autos. Dahinter: ein nicht abbrechender Verkehrsstrom.

Und auch Sahin Ay würde seine Gäste in dem türkischen Café „Smyrna Kuruyemis“ auf der gegenüberliegenden Straßenseite lieber ohne quietschende Autoreifen bedienen. „Bei den Rasern hier ist eine Fußgängerzone keine schlechte Idee“, meint der 25-Jährige deshalb. Aber viele Fragen sind noch offen. „Wieso denn ausgerechnet hier? Sollen sie ihre Fußgängerzone doch woanders machen“, sagt Silke Pfeifer, die in dem Kiez als Sozialarbeiterin arbeitet.

Sie fragt sich, wo die ganzen Autos hin sollen. Während sie einen roten Bollerwagen mit vier Kleinkindern durch die Zossener Straße schiebt, erklärt sie, dass die Straße eine wichtige Verkehrsader sei.

Ein Experiment

Viele benutzten die Straße als Schleichweg, um den viel befahrenen Mehringdamm zu umgehen, meint sie und prophezeit: „Auf dem Mehringdamm gibt das eine Katastrophe.“ Auch für Gewerbetreibende sind die Folgen der Fußgängerzone unsicher. Zum Beispiel für Selcuk Avci, der in der Straße den Schuhladen „Luchs“ führt und erst heute von der geplanten Fußgängerzone erfahren hat. Er habe zwar Hoffnung, dass mehr Laufkundschaft kommt, verweist aber darauf, dass Gewerbetreibenden in der verkehrsberuhigten Maaßenstraße Verluste verzeichnen könnten. Beliefert werden können Gewerbetreiber übrigens trotzdem: Ebenso wie Fahrräder und BVG-Busse soll der Lieferverkehr künftig durchkommen.

Dass sich die Fußgängerzone erst bewähren muss, gestehen auch Politiker ein. Schließlich sind Fußgängerzonen – von der Wilmersdorfer Straße oder der Altstadt Spandau einmal abgesehen – für viele Berliner Neuland: „Da ich gebürtige Berlinerin bin, kenne ich mich mit Fußgängerzonen auch nicht so gut aus“, sagt Grünenpolitikerin Kapek.

Aber warum nicht mal etwas Neues probieren? „Experimentieren“ hält sie für „richtig“. Und auch FDP-Politiker Michael Heihsel von der BVV Friedrichshain-Kreuzberg sagt hoffnungsvoll, dass die geplante Fußgängerzone ein „Pilotprojekt für ähnliche Fälle“ sein könne. Wie das Ganze ausgeht, weiß aber auch er nicht: „Wenn das auf negatives Feedback stößt, erwarte ich, dass das Ganze gekippt wird“, sagt er.

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