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Auf Berlins Straßen: Es ist Frühling - der Fahrradterror beginnt

Nichts gegen die Sonne und die wärmeren Tage, aber sie haben auch ihre schlechteren Seiten, meint Helmut Schümann. Mit jedem Sonnenstrahl, bei jedem halben Grad Temperaturanstieg, wächst die Zahl der Fahrradterroristen.

Den meisten harm- und wehrlosen Fußgängern ist gewiss bewusst, dass auch der Fahrradterrorist mancherlei Anfeindungen ausgesetzt ist. Der Kollege aus dem zweiten Stock zum Beispiel, ein überzeugter Fahrradterrorist, zieht aus diesem Grund für den kommenden Sommer die Bewaffnung in Erwägung, um sich, solcherart aufgerüstet, der Attacken der Automobilterroristen zu erwehren. Im Grunde genommen will er sich ihrer nicht erwehren, er will sich an ihnen rächen. Ein niederes Motiv. Ein Motiv, das indes zeigt, dass auch in diesem Sommer keine Toleranz von niemandem zu erwarten ist. Der Autofahrer beansprucht sein Recht der Straße, der Fahrradfahrer und, in seiner teuflischsten Mutation, der Fahrradkurier, beharrt auf seinem Recht der Straße und auf seinem Recht des Trottoirs und auf seinem Recht der Fußgängerzone. Und der Fußgänger, der stille Flaneur? Was bleibt dem?

Der erschrockene Rückzug. Der panische Sprung in den Hauseingang, hinter den Felsvorsprung, wo er Schutz sucht vor den Querschlägern der Pedaleure. Der Fahrradterrorist ist aus der alternativen Fortbewegung hervorgegangen, man kann ihn phänotypisch den 68ern zuordnen. Es versteht sich von selbst, dass denen ein Fahrradweg und dessen Nutzung als spießig verpönt ist.

Fußgängerzonen sind innerhalb dieser Geisteshaltung lediglich Zentren des Konsumterrors, die es zu torpedieren gilt. Indem die Nutzer, die Fußgänger, torpediert werden, und so fußgängerfreie Fußgängerzonen geschaffen werden, sogenannte No-go-Areas. Parkwege, namentlich die des Berliner Tiergartens, sind für alle da, für alle Fahrradterroristen. Und die Einhaltung des Mainstreams verstößt gegen einen Lehrsatz der alternativen Bewegung, nach der nur der zur Quelle gelangt, der gegen den Strom schwimmt, respektive radelt. So hinterrücks angegriffen, kann sich der Flaneur nur mit einem beherzten Sprung in die Büsche retten. Dort lauert die Hinterlassenschaft des Berliner Vierbeiners, der vom Flaneur geführt wird. Vom Flaneurterroristen.

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