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Flughafen-Schließung: Tempelhof: Die Erinnerung bleibt

In drei Tagen schließt der Flughafen. Vieles haben Berliner dort erlebt. Leser blicken zurück und sagen Adieu.

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Eine nette Erinnerung an Tempelhof ist für mich eine kurze Geschäftsreise zum London-City Airport vor einigen Jahren – damals noch mit „Eurowings“. Ich hatte mich völlig in der Abflugzeit vertan und bin ziemlich entspannt zum bereits geschlossenen Check-in-Schalter gegangen. Zum Glück bestätigte ein Telefonat des Personals mit dem Gate, dass das Flugzeug noch nicht weg ist und ich durfte dem Flieger „hinterherlaufen“. Bei der Sicherheitskontrolle wurde ich bevorzugt, bin dann weiter zum Gate und zum Flugzeug: „Guten Tag“, Tür zu und Abflug. Schon fünf Minuten nach dem Eintreffen in Tempelhof saß ich, etwas atemlos, im Flugzeug. Solch eine unkomplizierte Lösung war sicherlich nur damals und auch nur in Tempelhof möglich.

Robert Steil, Schöneberg

DIE MUTPROBE

1960 zog meine Familie in ein Haus in der Lichtenrader Straße – die erste Parallelstraße hinter der Oderstraße – auf die Neuköllner Seite des Flughafens Tempelhof. Damals war ich fünf Jahre alt. Um in die Kinderbande der Straße aufgenommen zu werden, musste man eine Mutprobe absolvieren. Sie bestand darin, sich auf dem Fußgängerweg (verlängerte Oderstraße) hinter der Lande- und Startbahn, direkt unter eine der landenden Pan American- oder British Airways- Maschinen zu stellen und angstfrei, mit offenen Augen, zu der über einen hinweg donnernden Maschine hinauf zu schauen. Nach meinem damaligen Empfinden flogen die Flugzeuge maximal zehn Meter über meinem Kopf hinweg – da konnte einem schon mulmig werden. Nachdem ich die Mutprobe mit klopfendem Herzen überstanden hatte und in die Bande aufgenommen war, verrieten mir die anderen Kinder den Trick: Man muss im Moment, in dem das Flugzeug direkt über einem ist, laut losbrüllen, dagegen anschreien sozusagen. Das hilft den infernalischen Krach zu ertragen.

Mit meiner Bande streiften wir jeden Tag auf dem Friedhof hinter der Landebahn herum, verbuddelten Schätze, spielten Verstecken und schworen uns gegenseitig Treue in Geheimbünden. Eines Tages stand ich allein am Flughafenzaun, als ein Wagen mit US-Soldaten vor mir hielt, ein farbiger Amerikaner ausstieg und auf mich zuging. Ich glaube, das war der erste „schwarze“ Mann, den ich in meinem Leben gesehen hatte. Ich schwankte zwischen Neugier und Fluchtgedanken. Er kniete sich auf der anderen Seite des Zaunes in Augenhöhe hin, sagte: „Can you buy ice cream for us?“ und zeigte auf den nahegelegenen Kiosk. Ich konnte zwar noch kein Englisch aber was „ice cream“ bedeutete, war mir sofort klar. Er schob mit einen Zehn-Mark-Schein durch den Zaun. Zaghaft ergriff ich das Geld, rannte zum Kiosk, kaufte zwei Eis für je 70 Pfennige. Dabei kam ich mir vor wie eine Agentin und blickte ängstlich umher, um zu sehen, ob mich jemand beobachtete und vielleicht sogar die Polizei holen würde. Zurück am Zaun, reichte ich dem Soldaten zunächst das Eis durch. Als ich ihm das Wechselgeld geben wollte, lachte er mich freundlich an und sagte: „It’s for you, thank you!“ Ich blickte ihn fassungslos an: So viel Trinkgeld für einen Eiskauf!!! Noch einmal lächelte er, sagte: „Bye-bye!“, stieg wieder ins Auto und fuhr davon. Ich blickte auf das Geld in meiner Hand: Das war der Gegenwert von drei Monaten Taschengeld! Ich beschloss, niemandem davon zu erzählen. Die Geschichte mit dem spendablen amerikanischen Soldaten sollte mein Geheimnis bleiben. Und als mein Bruder mit mir beim nächsten „Tag der offenen Tür“ auf den Flughafen Tempelhof ging, suchte ich den ganzen Tag nach meinem spendablen Soldaten – vergeblich. Gabriele Hartmann, Kreuzberg



PANIK IN DEN WOLKEN

Ich bin von 1961 bis 1968 Stewardess bei British European Airways gewesen – Viscounts sind wir geflogen – und hatte eines Tages auf einem Flug nach Frankfurt einen Passagier an Bord, der offensichtlich plötzlich durchdrehte. Er hatte sich die Schwimmweste hervorgeholt, sie sich umgehängt und aufgeblasen, womit er knapp zwischen die Sitzreihe passte. Er raste nach hinten zur Tür, zog den „Pressure lock“ (damit entwich die Luft aus den Gummischläuchen, die sich um die Tür herum befanden, um sie luftdicht abzuschließen) und warf ihn in die Maschine. Wir zwei Besatzungsmitglieder nahmen unsere High Heels und schlugen an der Tür auf den Mann ein, was sich als sehr schwierig entpuppte, denn wir kamen wegen der aufgeblasenen Weste kaum an ihn heran. Außerdem wussten wir auch nicht, ob diese Tür sich vielleicht plötzlich öffnen und wir alle rausfliegen würden. Mit einer Gabel haben wir dann ein Loch in die Schwimmweste gemacht, um den Mann dann mit Handkantenschlägen (das hatten wir gelernt) auf den Fußboden der Maschine zu zwingen. Zuvor hatte der Tobende, der dauernd schrie, dass er „zu Gott wollte und wir alle verdammt sein würden“, einem zur Hilfe geeilten Passagier noch die Fingerkuppe abgebissen. Mit Hilfe einiger starker Passagiere gelang es uns, seinen Kopf unter einen Sitz zu schieben. Der Captain hatte zugestimmt: Für die Landung setzten sich mehrere Leute auf den Mann, um ihn am Boden zu halten. In Frankfurt wartete eine Zwangsjacke auf ihn. Vorher sprang er aber noch über die Gangway, und die Herren mussten ihm hinterhereilen. Es war kein sehr lustiges Erlebnis. Es geschah im Jahr 1965. Karin Ritter, Tempelhof

ROLLIS REISEN

Es war in der Zeit, als die Alliierten noch exklusiv die Luftwege beflogen, z.B. nach Hamburg nur die Engländer mit British Airways, nach Frankfurt nur Pan Am. Mein Bruder Rolli war Seemann und musste sein Schiff in Hamburg erreichen. Die Maschine in Tempelhof hatte Verspätung. Käpt’n Rolli fluchte am Counter: „Das nächste mal flieg ich mit Pan American!“ Die Stewardess grinste zurück: „Wat woll'n Se denn in Frankfurt?“ Am 23. Dezember musste Rolli wieder nach Hamburg zu einer Reise: fünf Monate ins ferne Südostasien. In der großen Tempelhofer Abflughalle konnten wir zum Abschied die Tränen nicht verbergen, obwohl ein Seemann angeblich niemals weint. Dann war das Flugzeug weg mit meinem Rolli. Am frühen Heiligabend klingelte es: Wir erwarteten den Weihnachtsmann. Aber, oh Wunder: Nicht dieser sondern unser Rolli sprang die Treppe fröhlich rauf – frisch in Tempelhof gelandet. Die Reise hatte sich verschoben. Wir feierten die schönste Weihnacht. Auch das war Tempelhof. Bernd H. Gehrig, Mitte



GRUSS VON OBEN

Es war 1972 und wir befanden uns auf dem Rückflug von Klagenfurt nach Berlin-Tegel in einer Maschine des Berliner Flugringes. Es kam uns schon etwas merkwürdig vor, wie wir nach Berlin reingeflogen sind. Da kam die Durchsage des Piloten: Da unsere Maschine „Tempelhof“ heiße und auf dem Flughafen Tempelhof gerade Tag der offenen Tür der US-Airforce sei, würden wir die Besucher und Tempelhof nun kurz grüßen. Das Flugzeug flog ziemlich niedrig und wir konnten die winkenden Menschen und den Trubel auf dem Flughafen sehen. Dann startete unser Pilot wieder durch und stieg wieder auf, brachte uns sicher nach Tegel. Alle Fluggäste klatschten großen Beifall, da es ja doch etwas Besonderes ist, im Tiefflug den Flughafen Tempelhof zu überqueren. Es war ein in Erinnerung bleibendes Erlebnis für uns. Roswitha und Herbert Michallik, Wilmersdorf



TEMPELHOFER GETÖSE

Wenn ich an meine Kindheit denke, dann denke ich auch an den Flughafen Tempelhof. Noch heute habe ich das laute Motorengeräusch in den Ohren, wenn die Flugzeuge über unsere Wohnung flogen. Von 1956 bis 1965 habe ich mit meinen Eltern und drei Geschwistern in der Ringbahnstrasse 57 in Tempelhof gewohnt. Wir wurden viele Male am Tag von den Flugzeugen zum Schweigen gebracht, weil es unmöglich war bei geöffneten Fenstern oder Türen ein Wort zu wechseln. Kaum waren schalldichte Fenster eingebaut, war der große Lärm vorbei, denn Tegel war fertig gebaut.

Als Vorschülerin konnte ich im Mutterhaus vom Roten Kreuz wohnen. Da gab es mein größtes Erlebnis mit dem Flughafen Tempelhof. Die gesamten Vorschülerinnen waren von der Schwesternschaft in Bonn eingeladen worden. So flog ich 1967, als knapp 16-Jährige, zum ersten Mal mit dem Flugzeug von Tempelhof nach Bonn. Es wird mir immer in Erinnerung bleiben und mit traurigen Gedanken nehme ich Abschied von einem Stück meiner Kindheitserlebnisse. Angelika Kretlow, Tempelhof

PROMINENZ AN BORD

Es geschah vor ein paar Jahren auf einem Flug mit einer kleineren zweimotorigen Turboprop von Cirrus Airlines nach Mannheim. Die Maschine war ausgebucht, hieß es. Der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin wartete geduldig mit einem Mitarbeiter im Wartesaal und fuhr dann mit uns anderen Passagieren im Bus über das Rollfeld zur wartenden Maschine. Natürlich bekam er einen Sitz in der ersten Reihe – und der Platz neben ihm im Gang blieb frei, worüber er sich sichtlich freute, allerdings nicht lange. Denn aus unerfindlichen Gründen – die geplante Abflugzeit war längst verstrichen – machte die Besatzung keinerlei Anstalten, die Tür zu schließen. Es folgte nach einiger Zeit eine Durchsage des Kapitäns, wir müssten auf einen verspäteten Passagier warten. Der kam, standesgemäß chauffiert, in einer großen, dunklen Limousine mit Begleitfahrzeug direkt zur Gangway. Ihr entstieg Altbundeskanzler Helmut Kohl mit zwei Sicherheitsleuten, die weiter hinten im engen Flugzeug Platz nahmen. Kohl wurde von der Stewardess zum letzten freien Platz in die erste Reihe gebeten – auf den neben dem sichtlich überraschten Trittin, für den nunmehr nur noch wenig Raum am Fenster blieb. Er quittierte die unerwartete Reisebegleitung aber offensichtlich mit Humor, und auch Kohl schien gut gelaunt – über alle parteipolitischen Differenzen hinweg. Etwas später, nachdem der prominent besetzte Flieger sicher abgehoben hatte und sich bei schönstem Wetter über dem flachen Brandenburger Land befand, war in der Kabine ein Kohl-Spruch an die Adresse Trittins deutlich vernehmbar: „Da, schau ruhig genau zum Fenster ’raus und zähle die Spargelstangen, mit denen ihr Grünen die schöne Landschaft verschandelt.“ Für Unterhaltung an Bord war gesorgt. Alexander Lau, Wilmersdorf



KLEINER NEBENJOB

Wir sind als Jugendliche, im Alter zwischen 13 und 15 Jahren, in den Schulsommerferien Anfang der siebziger Jahre auf dem Flughafen Vorplatz als „Auto-Einweiser“ unterwegs gewesen und haben uns so ein paar Groschen Taschengeld verdient. Wir haben die ankommenden Autos einfach auf die freien Parkplätze aufmerksam gemacht und sie eingewiesen. Zwischendurch haben wir uns dann mal eine Pause auf der Besucher-Terrasse gegönnt und konnten den Flugbetrieb in der Hangar-Halle beobachten. Schließlich haben wir dann den ganzen Tag auf dem Flughafengelände herumgehangen und haben uns von dem verdienten Geld mit Bockwurst und Süßigkeiten die Zeit vertrieben. Letztlich haben wir dann aber Ärger mit den angestellten Gepäckträgern bekommen, weil wir natürlich auch mal den einen oder anderen Koffer in die Abfertigungshalle getragen hatten. Die eine Oma sagte dann zu mir: „Na, dann sagst du eben, du wärst mein Enkel.“ Das muss dem Kofferträger merkwürdig vorgekommen sein, denn so viele Omas kann keiner haben, zumal wir ja jeden Tag dort waren. Am Ende wurden wir von der Polizei in Zivil aufgegriffen und zur Wache mitgenommen. Man sollte uns nur ermahnen und die Eltern informieren, aber von einer Anzeige absehen. Auf der Wache, die damals noch eine Bretterbude am Tempelhofer Damm war, wurden wir dann gefragt, was wir wohl zuerst wollten: „vernommen werden oder Fußball-Weltmeisterschaft im Fernsehen gucken“. Die Antwort ließ natürlich nicht lange auf sich warten! Zu der Zeit war, wenn ich mich noch recht erinnere, die WM in Mexiko. Christian Schwach, Tempelhof

Haben Sie auch ganz besondere Erinnerungen an den Flughafen Tempelhof? Dann schreiben Sie uns Ihre Geschichte! Nutzen Sie dazu die Kommentarfunktion am Ende des Artikels.

Robert Steil[Schöneberg]

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