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Neue U-Bahnstrecke: U55: Spaß in vollen Zügen

Zehntausende feierten die Eröffnung der neuen U-Bahnstrecke, obwohl sie alles andere als sehnsüchtig erwartet worden war. Wurde aus gutem Grund gefeiert? Was denken Sie? Gefällt Ihnen die neue U-Bahn? Oder sind die Feierlichkeiten überzogen? Diskutieren Sie mit.

Am Schluss konnte es nicht schnell genug gehen: Mit einem Frühstart begann am Sonnabend der regelmäßige Betrieb auf der neuen U-Bahnlinie U 55 zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor. Um 10.55 Uhr, zehn Minuten eher, als im Fahrplan vorgesehen war, verließ der erste Zug, rappelvoll mit Fahrgästen, den Hauptbahnhof. Beim Bau der 1,8 Kilometer langen Strecke hatten sich Senat und BVG dagegen 14 Jahre Zeit gelassen. So gesehen, müsse man sich auch jetzt nicht an den Zeitplan halten, sagte U-Bahn-Chef Hans-Christian Kaiser.

Der Fahrplan galt gestern aber ohnehin nicht: „Wenn der Zug voll ist, fährt er ab“, hatte Kaiser angeordnet. Und gefüllt waren die Züge schnell. Mehrere zehntausend Berliner und auch Touristen wollten am Premierentag unbedingt dabei sein. Die geladenen Gäste, darunter der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), absolvierten ihre Premierenfahrt schon vorher.

Was aber bewegt so viele Menschen, sich in Wagen zu zwängen, in denen es kaum noch Platz gibt, wenn man sicher sein kann, dass es in den nächsten Tagen viele freie Sitze im Zug geben wird? Hier scheinen wohl die Olympischen Spiele von einst abzufärben, bei denen das Dabeisein wichtiger sein sollte als das Gewinnen. Und natürlich die Neugier auf die neuen Bahnhöfe, die von namhaften Architekten entworfen worden sind. Manche wollen vielleicht auch nur sehen, wo die 320 Millionen Euro verbuddelt worden sind, die die kurze Strecke gekostet hat – aufgebracht zum größten Teil aus der Kasse des Bundes.

Auf keinen Fall kann man behaupten, dass die Berliner die neue U-Bahnlinie sehnsüchtig erwartet hätten. Ihr verkehrlicher Nutzen wird zunächst gering sein. Die BVG rechnet mit 6400 Fahrgästen am Tag. Erst wenn die Strecke frühestens 2017 mit der U 5 am Alexanderplatz verbunden sein wird, könnten es nach den Prognosen auf dem gesamten Abschnitt vom Hauptbahnhof zum Alex täglich 150 000 Fahrgäste geben.

1984 war das anders. Auch damals feierten Zehntausende die Aufnahme des U-Bahn-Betriebs zum Rathaus Spandau. Die Havelstädter hatten aber auch über 80 Jahre auf die U-Bahn warten müssen. Und die S-Bahn nach Spandau war seit 1980 stillgelegt. So freuten sich die Spandauer besonders über den Anschluss per U-Bahn nach „Berlin“.

Am gleichen Tag hatte die BVG, die Anfang 1984 im Westteil der Stadt den Betrieb der S-Bahn von der Reichsbahn der DDR übernommen hatte, die stillgelegte Strecke von Gesundbrunnen nach Frohnau wiedereröffnet – und war dabei fast allein. Nur wenige Enthusiasten, wegen der mitgeführten obligatorischen Taschen für Prospekte und ähnliches Material manchmal auch „Stoffbeutelträger“ genannt, hatten sich früh aus dem Bett gequält, um bei der ersten Fahrt zum Betriebsbeginn dabei sein zu können. Eine Feier gab es den ganzen Tag nicht.

Beim Abschied der Reichsbahn aus West-Berlin wollten dagegen am 8. Januar noch Tausende dabei sein – wie auch beim Aus der Straßenbahn 1967 in West-Berlin. Am letzten Betriebstag der S-Bahn unter Reichsbahn-Regie waren die Züge so voll wie nie in den vorangegangen Jahren. Die Schriftstellerin Ingeborg Drewitz hielt im Bahnhof Lichterfelde Ost sogar eine Abschiedsrede.

Auch die U-Bahn-Eröffnungen nach dem Zweiten Weltkrieg im Westteil der Stadt zogen die Massen an. Die U-Bahn symbolisierte den Fortschritt im Nahverkehr und zeigte zudem, dass sich die Halbstadt wieder einem Weltstadtniveau annäherte. Im Ostteil wurde vor allem die S-Bahn ausgebaut. Eröffnungen wurden meist nur von den „Offiziellen“ gefeiert. Allerdings gab es meist auch noch keine Anwohner, weil die Gleisbauer oft schneller waren als die Häuserbauer.

Begeistert dabei waren die Berliner und Brandenburger dann aber nach der Wende, als das 1961 getrennte Netz nach und nach wieder verbunden wurde. Jeder „Lückenschluss“ der S- und der U-Bahn wurde groß gefeiert. Hier konnte man sehen, wie Ost und West zusammenwuchs. Auch die Inbetriebnahme des Hauptbahnhofs und der neu gebauten Stationen Gesundbrunnen und Südkreuz brachte im Mai 2006 die Massen an die Gleise.

Ein besonderes Ereignis war, als im Mai 1993 der erste ICE der damaligen Bundesbahn in Berlin einrollte. Weil die Arbeiten an der Elektrifizierung der Strecke nicht rechtzeitig fertig geworden waren, fuhren die Züge zunächst zum Bahnhof Lichtenberg. Der Premieren-ICE war dort von einer großen Menschenmenge erwartet worden, manche weinten vor Rührung, weil sie nun auch bei der Bahn sahen, dass das Land vereint war. Als wenige Monate später der ICE dann am Bahnhof Zoo seine Endstation hatte, waren die „Stoffbeutelträger“ bei der Premiere wieder fast alleine. Jetzt würde ein Halt der Fernzüge im Bahnhof Zoo dagegen sicher wieder die Massen anlocken – wie gestern bei der U 55.

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