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Die S-Bahn lässt ihre Kunden erneut in der Kälte stehen.

© dapd

Pro und Contra: Nulltarif bei der S-Bahn, bis das Chaos beendet ist?

Die S-Bahn bietet rudimentäre Leistungen bei vollem Fahrpreis. Nun kommt ein radikaler Vorschlag: Nulltarif, bis das Chaos beendet ist. Pro und Contra - diskutieren Sie mit!

Das Thema Entschädigung: Der Stand der Dinge

Die S-Bahn lässt ihre Fahrgäste weiter lange warten – auf einen Zug oder auf eine Entschädigung. Fahrgäste fordern bereits, dass die S-Bahn jetzt zum Nulltarif fahren müsse, bis sie wieder den Normalbetrieb anbietet. Schließlich habe sie ihr Angebot drastisch reduziert und innerhalb des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) jetzt im neuen Jahr sogar die Preise erhöht.

Wo es keine Leistung gibt, dürfe man auch kein Geld verlangen, argumentieren Befürworter des Nulltarifs. Dieses Prinzip müsse auch für die S-Bahn gelten. Wer jetzt erheblich mehr Zeit braucht, um sein Ziel zu erreichen, solle dafür nicht auch noch bezahlen müssen. Derzeit kann sich eine Fahrt mit der S-Bahn gewaltig verlängern, vor allem, wenn man auch umsteigen muss. Da die Bahnen auf den meisten Linien nur noch alle 20 Minuten fahren und sich dabei häufig auch noch verspäten, stimmen meist die Anschlüsse nicht mehr. Weil Linien eingestellt oder verkürzt worden sind, überlagern sie sich auch seltener. Die Folge: Wo sich einmal fünf Linien bündelten, deren Züge in dichtem Abstand fuhren, sind heute noch zwei Linien in Betrieb – mit einem langen Abstand der Fahrten. Ein Beispiel ist der Bahnhof Adlershof. Die einst dort haltenden S 45 und S 85 sind seit eineinhalb Jahren eingestellt, die S 8 ist derzeit verkürzt und kommt nicht mehr bis Adlershof. Übrig bleiben nur S 46 und S 9.

Doch auch dieses stark reduzierte Angebot rechtfertige es nicht, einen Nulltarif zu fordern, sagen die Gegner. Der Betrieb sei ja – noch – nicht komplett eingestellt. Wären Fahrten gratis, würde wahrscheinlich der Andrang in den wenigen noch fahrenden Zügen so groß werden, dass diese überfüllt würden, befürchten Christfried Tschepe vom Fahrgastverband Igeb und der Verkehrsexperte der CDU, Oliver Friederici. Beide halten, wie auch die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen, Claudia Hämmerling, generell nichts vom Nulltarif. Eine Leistung, die nichts koste, werde als wertlos empfunden.

Statt Fahrten zum Nulltarif für alle Fahrgäste anzubieten, sollte die S-Bahn schleunigst eine weitere Entschädigungsrunde wie zuletzt mit Freifahrten für Stammkunden und der Aufwertung des Einzelfahrscheins zur Tageskarte an Wochenenden beschließen, die nicht erst wieder im nächsten Winter umgesetzt werde, fordert Tschepe. Und Hämmerling will, dass die S-Bahn gezielt die Fahrgäste entschädigt, die wegen der Zugausfälle zum Beispiel wichtige Termine verpasst haben.

Über weitere „Entschuldigungsleistungen“ haben die S-Bahn und der Bahnkonzern noch nicht nachgedacht. Man konzentriere sich derzeit darauf, den Betrieb wieder voll zum Fahren zu bringen, sagte ein Sprecher auf Nachfrage. Bisher hat die S-Bahn für Entschädigungen nach eigenen Angaben 105 Millionen Euro ausgegeben. Klaus Kurpjuweit

Pro Nulltarif

Es reicht. Das Versagen der S-Bahn hat Ausmaße angenommen, die nicht mehr hinzunehmen sind, auch nicht gegen „Entschuldigungen“ wie der Rückerstattung von einer Monatskarte oder auch zweien. Jetzt hilft nur noch eines, dieses Unternehmen unter Druck zu setzen: Freie Fahrt für alle, bis alle Züge wieder rollen. Das würde auch die Fahrscheinkontrollen überflüssig machen, das Einzige, was in diesem Unternehmen noch zu funktionieren scheint. Die eingesparten Mitarbeiter könnten sehr gut Weichen enteisen oder Waggons reinigen.

Seit knapp zwei Jahren blamiert sich die S-Bahn. Und es kommen immer wieder nur Versprechungen. Man habe sich prima auf den Winter vorbereitet, tönten die Manager, wenige Wochen, bevor das diesjährige Winterchaos losging. Noch schlimmer als diese Bahn agiert jedoch die SPD-geführte Verkehrsverwaltung. Alle paar Wochen lässt Senatorin Ingeborg Junge-Reyer ausrichten, dass das mit der S-Bahn ganz doll schlimm und unangenehm sei. Konsequenzen? Keine. Der Polizeipräsident hat schon vor vielen Jahren erkannt, dass gegen Intensivtäter ein „dududu“ nicht funktioniert.

Wieso wird der Vertrag nicht gekündigt? Wieso verschleudert dieser Senat Millionen? Entweder die Zahlungen werden komplett gestoppt oder es wird ein Nulltarif für verbliebene Fahrgäste verfügt. Dies ist nun die einzige Sprache, die dieses Unternehmen noch versteht. Jörn Hasselmann

Contra Nulltarif

Alle ärgern sich über die S-Bahn, richtig. Die Kunden haben auch jedes Recht dazu. Aber jetzt einen Nulltarif zu fordern, ist nicht nur unsympathisch trotzig, sondern auch völlig kontraproduktiv. Das Unternehmen trägt nur eine Teilschuld an dem ganzen Chaos. Da bestellt die Bahn neue Züge und muss mit der teuer bezahlten innovativen Technik nun tagtäglich in die Werkstatt. Zudem bekommt die Bahn schon jetzt als Strafe rund 50 Millionen Euro weniger Zuschüsse vom Senat, was sich zusätzlich schmerzhaft bemerkbar macht. Die Fahrer tun derweil, was sie können, sie bringen ihre Passagiere teilweise mit flotten Sprüchen in Schwung – und diese Leute im Führerstand müssen bezahlt werden. Wenn die S-Bahn ihre Fahrgäste nun tatsächlich längere Zeit gratis einsteigen ließe, fehlten Einnahmen für die Instandhaltung, für Strom, für die Infrastruktur.

Ein Nulltarif ist zu kurzsichtig. Er würde einigen Fahrgästen kurzfristig ein innerlich befriedigendes Gefühl vermitteln. Aber nur bis zum nächsten Winter: Wenn dann noch weniger Züge mit noch mehr Wartungsmängeln von noch weniger Fahrern über die Gleise mit noch mehr defekten Weichen gesteuert würden. Der eine Freifahrttag zur Entschädigung reicht als Geste völlig aus. Wir alle sollten in diesen Zeiten mehr Geduld aufbringen und Verständnis – und wir müssen uns mit der Erkenntnis arrangieren, dass Technik eben fehlbar und die Natur unberechenbar ist. Annette Kögel

Und was meinen Sie zum Thema Entschädigung für das S-Bahn-Chaos? Soll es einen Nulltarif geben? Diskutieren Sie mit! Nutzen Sie dazu bitte die einfach zu bedienende Kommentarfunktion etwas weiter unten auf dieser Seite.

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