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S-Bahn

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S-Bahn-Chaos: Mehdorns langer Schatten

Der Senat verzichtete seit Jahren auf Wettbewerb im Nahverkehr, eine Fusion mit der BVG oder niedrigere Jahreszuschüsse – ganz im Sinne des Ex-Bahnchefs.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Viele Versäumnisse pflastern den Weg zu den chaotischen Verhältnissen bei der S-Bahn. Schon Ende 2000 hatte der CDU/SPD-Senat überlegt, einen Teil des S-Bahnnetzes öffentlich auszuschreiben. Anlass dafür war der Verkehrsvertrag mit dem bundeseigenen Unternehmen, der ein Jahr später auslief. Auch eine Fusion mit den landeseigenen Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) wurde in Erwägung gezogen. Im Juli 2001 unterschrieben der frischgebackene Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn sogar eine Absichtserklärung, diesen seit 1998 diskutierten Plan weiter zu verfolgen. Daraus wurde – nichts.

Der rot-grüne Senat hatte sich davon geringere Kosten für das Land Berlin in dreistelliger Millionenhöhe erhofft, und bessere Verkehrsleistungen im Sinne der Kunden. Denn schon damals gab es Streit zwischen S-Bahn und Senat über ausfallende und unpünktliche Züge. Rückzahlungsforderungen erkannte die Bahn aber nicht an, klagte später dagegen – und sprach ungern über den jährlich erzielten Bilanzgewinn, der mit Hilfe hoher Landeszuschüsse erzielt und an den Mutterkonzern Deutsche Bahn überwiesen wurde. Aber die Pläne für eine Teilprivatisierung oder Fusion verschwanden in den Schubladen des Senats. Auch als das Verkehrsunternehmen Connex im Januar 2003 der nunmehr rot-roten Landesregierung anbot, die Ringbahn zu übernehmen, wurde dies nach pflichtschuldiger Prüfung abgelehnt.

Zu diesem Zeitpunkt herrschte zwischen S-Bahn und Senat schon ein rechtloser Zustand, weil der alte Verkehrsvertrag Ende 2001 ausgelaufen war. Alle stritten sich an allen Fronten, auch senatsintern. Verkehrssenator Peter Strieder (SPD) wollte einen neuen S-Bahnvertrag mit langer Laufzeit. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) plädierte für einen Einjahresvertrag. Immerhin wollten beide den Zuschuss von jährlich 234 Millionen Euro um 45 Millionen Euro kürzen. Daraufhin drohte Mehdorn, die Bahn-Hauptzentrale aus Berlin nach Hamburg zu verlegen, Strecken zu streichen und notfalls den gesamten Verkehr zum Fahrplanwechsel im Dezember 2003 stillzulegen.

Das zeigte Wirkung. In einem Spitzengespräch einigten sich Wowereit und Mehdorn kurzfristig auf „wesentliche Punkte“ eines neuen Verkehrsvertrags bis 2017 – unter Verzicht auf ein offenes Vergabeverfahren, das Wettbewerber hätte ins Spiel bringen können. Die lange Vertragslaufzeit, gegen die die EU-Kommission zeitweilig intervenierte, begründete die Bahn mit der notwendigen Investitionssicherheit. Immerhin enthält der Vertrag eine Klausel, nach der ein Drittel der Leistungen (Nord-Süd-Strecken im Tunnel) ab 2013 ausgeschrieben werden kann. Die Forderung des Senats, Eigentümer der S-Bahnflotte zu werden, damit neue Betreiber nicht unbedingt neue Wagen mitbringen müssen, wurde nicht erfüllt. Und die jährlichen Zuschüsse wurden nicht gekürzt.

Am 26. März 2004 paraphierten Strieder, Bahnvorstand Ulrich Homburg und S-Bahngeschäftsführer Günter Ruppert das langjährige Abkommen. Strieder trat kurz darauf im Zuge der Tempodrom-Affäre zurück und so setzte, nach Zustimmung durch alle Gremien, die neue Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) ihre Unterschrift unter den S-Bahnvertrag. Seitdem fuhr die Bahntochter, wie vorher auch, dank der Landeszuschüsse jedes Jahr zwei- bis dreistellige Millionengewinne ein. Erst im Katastrophenjahr 2009 wird sie, wie Bahn-Vorstand Homburg andeutete, voraussichtlich rote Zahlen schreiben.

Jetzt, da die Berliner S-Bahn nur noch auf Schmalspur fährt, fordert die Opposition die Kündigung des Vertrags. Die Koalition stellt Nachverhandlungen in Aussicht. Eine ordentliche Kündigung vor 2017 ist, wie der Tagesspiegel berichtete, vertraglich ausgeschlossen. Grundsätzlich möglich wäre eine außerordentliche Kündigung.

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