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Probleme, Probleme, Probleme: S-Bahnchef Buchner: Der zügige Herr

Wenn er denkt, er kenne alle Probleme, taucht ein neues auf. Peter Buchner ist seit zwei Jahren Chef der Berliner S-Bahn, die Tag für Tag Millionen Menschen im Stich lässt. Ein Porträt.

Es dämmert noch, als sich Peter Buchner und Frank Henkel am Mittwochmorgen auf dem Bahnhof Wannsee treffen. Es wird ein guter Tag für Buchner werden. Ein frostfreier Tag, auch nicht zu warm und vor allem trocken. S-Bahn-Wetter, wie es die Züge gut vertragen. Peter Buchner ist der Chef der S-Bahn, deren Zustand der größte Aufreger in Berlin ist. Deshalb ist auch Henkel zum Werkstattbesuch gekommen. Er kandidiert für die CDU als Regierender Bürgermeister bei den nächsten Wahlen und will das Chaos begreifen, mit dem die S-Bahn die Berliner seit fast zwei Jahren plagt – täglich sind 1,3 Millionen Fahrgäste betroffen – und voraussichtlich auch in den nächsten Jahren plagen wird. Dabei ist die S-Bahn für viele Berliner symbolisch so wertvoll ist wie der Fernsehturm. Wobei man Letzteren entbehren könnte.

Buchner sei eine „arme Sau“ hatte am Montag davor ein Boulevardzeitungsreporter festgestellt, als Medienleute im Berliner Abgeordnetenhaus auf dessen Auftritt und den von Rüdiger Grube, Deutsche-Bahn-Chef und damit Buchners oberster Vorgesetzter, warteten. Und hinzugefügt: „Der Buchner hat den größten Scheißjob in Berlin.“ Fünf Tage davor hatte dieselbe Zeitung Buchner neben Grube und Klaus Wowereit als Fotomontage mit heruntergelassenen Hosen gezeigt. Und davor hatte das Stadtmagazin „Tip“ ihn zum zweitpeinlichsten Berliner des Jahres 2010 gekürt, hinter dem Chef der Treberhilfe und vor Thilo Sarrazin. Wie verträgt das jemand, dessen bedeutendster öffentlicher Auftritt bis 2009 die Präsentation eines fahrradfreundlichen Doppelstockwagens war?

Über viele Weichen schaukelt der Zug, in den Buchner und Henkel inzwischen eingestiegen sind, aus dem Bahnhof und bremst hart vor dem Werkstatttor. Henkel taumelt kurz. Er fährt sonst Auto. Als die beiden mit dem Werkstattleiter zwischen aufgebockten Zügen durch die Halle laufen, erkundigt sich Henkel nach dem Krankenstand bei den S-Bahnern. Um Weihnachten, als der Schnee die Züge in Massen dahinraffte, sei er hoch gewesen, sagt der Werkstattleiter. Aber auf einen Rundruf hin hätten sich 16 Leute freiwillig zum Dienst gemeldet. Deshalb seien heute fast doppelt so viele Züge im Einsatz wie vor einer Woche, fügt Buchner hinzu.

Außerdem hat es nicht mehr geschneit. Buchner zeigt das grobmaschige Gitter unter dem Wagenboden, hinter dem die Elektronik sitzt. „Wenn Sie in Ihren PC bis oben hin Schnee stopfen, macht er nimmer mit“, erklärt er in bayerischem Dialekt. „Aber wenn wir alles abdichten und die Motoren den Hitzetod sterben, ist auch nix g’wonnen.“

Die Mortalitätsrate der S-Bahn-Komponenten ist im Winter riesig. Warum die S-Bahn diese Konstruktion beim einst von ihr selbst gepriesenen Hersteller abgenommen und freiwillig auf Gewährleistungsansprüche verzichtet hat, konnte oder wollte Grube nicht erklären. Und Buchner muss nicht: Als Geschäftsführer ist er nur für die Zeit seit dem 2. Juli 2009 zuständig. An jenem Tag wurde die alte Chefriege in den Tiefen des DB-Konzerns versenkt, weil sie nach dem Bruch eines Rades angekündigte Kontrollen unterlassen hatte.

Buchner war zu jener Zeit für den Regionalverkehr zwischen Lausitz und Ostsee zuständig. Zuvor hatte er die zum DB-Konzern gehörende Usedomer Bäderbahn gemanagt. Die bei Bahnfans beliebten Landschaftsmotive auf deren Tickets waren seine Idee. Genau wie die mit einer Mischung aus Streckenplan und Landschaftsmotiven unterlegten Tischplatten in den Regionalzügen zwischen Rostock und Rügen. Was einem halt einfallen kann, wenn man nie im Leben ein Auto besaß und neben dem Betriebswirtschaftsstudium erst als Schlafwagenschaffner und dann als Bistro-Steward im Interregio gejobbt hat.

Als Buchner zum Kriseneinsatz bei der S-Bahn gerufen wurde, war er 42. Der Kletterurlaub, zu dem er zwei Monate danach fuhr, dauerte einen Tag. Dann musste er zurück nach Berlin, wo die nächste Mine hochgegangen war: Wegen nicht gewarteter Bremsen hatte das Eisenbahn-Bundesamt den Großteil der Flotte aus dem Verkehr gezogen. Bemerkt wurde das Problem, als in der Werkstatt an einem Fahrzeug vier kaputte Bremsen festgestellt wurden. Experten, die daraufhin die Wartungsdokumentation durchforsten wollten, fanden nur Zettelwirtschaft vor. Buchners nächste Aufgabe bestand also in der Einführung eines Computersystems. Und auf den Bahnsteigen standen fluchend die Menschen.

Später kam heraus, dass Züge mit nicht zugelassenen Rädern unterwegs waren, vor zehn Jahren angekündigte Materialprüfungen nie stattgefunden hatten, die Achsen einer älteren Zugbaureihe teils zu dick und teils zu dünn waren und bei den neueren Zügen im Winter der Streusand für die Bremsen festfriert. „Dieser Schlendrian muss ihm an die Nieren gehen“, sagt einer von Buchners bayerischen Bekannten aus früheren Jahren am Telefon. „Er ist ja kein Technokrat, sondern ein Idealist. Und diese Einstellung verliert man nicht.“ Höchstens verliere man die Illusionen.

Buchner ist gerade mit Henkel unter einen Zug gekrochen und zeigt ihm die Sandröhrchen. Sie sind aus Gummi, also schlecht beheizbar. „Außerdem braucht es eine Lichtschranke, um zu prüfen, ob auch was rauskommt.“ Ein passendes Bauteil sei bisher nicht zu bekommen, geschweige denn amtlich zugelassen. Nebenan tastet ein Werkstattmensch ein Rad mit dem Ultraschallgerät ab. „Das ist so, wie wenn Sie mit einem kleinen Pinsel eine Wand streichen“, sagt Buchner.

„Für eine Achse brauche ich eineinviertel Stunden“, ruft der Kollege aus dem Graben zu Buchner und Henkel hoch. Buchner sagt, zu Weihnachten hätten die Wagen wegen der vielen Prüfvorgaben nur noch zwei Tage zwischen zwei Werkstattterminen eingesetzt werden dürfen. „Wenn dann noch die Kupplungen zusammengefroren sind, kriegen sie die gesunden nicht von den kranken ab.“ Deshalb wurden vier Strecken stillgelegt. Immer, wenn Buchner dachte, er kenne jetzt alle Probleme, tauchte ein neues auf.

Die Kundenvertreter und der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg achten bei ihrer Kritik an der Bahn stets darauf, dass sie Buchner nicht treffen. Denn den Fahrgastlobbyisten ist es beinahe unheimlich, wie ernst Buchner sie nimmt. Mails beantworte er persönlich und schnell, zu Fachdiskussionen bringe er immer den jeweils zuständigen Abteilungsleiter mit. Der Deutsche Bahnkundenverband zeichnete Buchner im Herbst mit einem Preis für hervorragenden Kundendialog aus. Es war ein bisschen wie mit dem Friedensnobelpreis für Barack Obama. Nur dass der Hindukusch des Bahnkonzerns im eigenen Land liegt.

Im Herzen ist Buchner selbst Fahrgast. Als junger Teilzeitschaffner gründete er in Bayern den Kundenverband „Pro Bahn“ mit. Der dortige Landeschef Matthias Wiegner erinnert sich, wie sie nach den Vereinstreffen meist noch in die nächste Wirtschaft gegangen sind. „Der Peter Buchner war keiner, der sich in die Ecke gesetzt und Mineralwasser getrunken hat.“

Der über die Fahrgastzeitschrift rekrutierte Kundenbeirat hat festgestellt, dass Buchner Mängel vom Kaliber eines kaputten Fahrscheinstemplers am Nordbahnhof sofort beheben lässt. Ein Mitarbeiter hat ihn eigenhändig Fahrpläne für den Ersatzverkehr aufhängen sehen, weil er die Kunden nicht dumm dastehen lassen wollte. Wenn man Buchner nach den Phantomzügen fragt, die angezeigt werden und dann nie kommen, weiß er für die einzelnen Strecken, wo die notwendigen Datenkabel schon liegen und wo sie wann verlegt werden sollen.

Stefan Kohte vom Verkehrsclub VCD erinnert sich, wie Buchner auf einem Treffen vor Weihnachten einen „Winterfahrplan“ auf Basis von Tempo 60 ins Gespräch brachte. Dazu muss man wissen, dass die S-Bahn bis Oktober Tempo 80 fuhr, vor einem Unfall am Südkreuz 2006 Tempo 100 und vor dem Krieg teilweise 120. Buchner ahnte, was Tempo 60 im Jahr 2011 fürs Image bedeutet. Aber die Kundenvertreter fanden einen stabilen Schleichfahrplan besser als einen ambitionierten, bei dem die Züge mal im Pulk kommen und dann eine Stunde gar nicht. Am 24. Januar kommt der Winterfahrplan.

Die Frage ist nur, wann es wieder Frühling wird. Im Parlament erklärte Bahnchef Grube sinngemäß, dass man mit der aktuellen Flotte auf keinen grünen Zweig mehr komme. Für den weiteren Lagebericht gab er Buchner das Wort und den Hinweis: „Seien sie da durchaus kritisch, Sie müssen hier nicht auf den Konzern Rücksicht nehmen.“ Dem Konzern hat Buchner beispielsweise die 69 eingefrorenen Weichen beim ersten Schneefall zu verdanken. Und die mehr als 100 ausgefallenen Signale an einem anderen Tag. Für beides ist die Konzerntochter DB Netz zuständig, die neuerdings dreistellige Millionengewinne an die Zentrale abführt und ihr Abrechnungssystem dem Zustand der S-Bahn angepasst hat: Sie kassiert jetzt auch Abstellgebühren für die lahmgelegten Züge. Buchner sagte im Parlament: „Der Druck der Öffentlichkeit wird von uns eins zu eins weitergegeben.“ Zuvor hatte Grube erklärt, dass Schnee in Weichen bei Druck zu Eis gepresst wird. Dann gehe gar nichts mehr. Zwischen Grube und Buchner saß der DB-Konzernvorstand für Personenverkehr, Ulrich Homburg. „Herr Humbug“, wie ein Abgeordneter versehentlich sagte. Den Spitznamen hatte sich Homburg durch frühere Auftritte im Parlament erarbeitet. Der Versprecher dürfte für Grube interessant gewesen sein.

Ein altgedienter S-Bahner sagt, Buchner sei hoch angesehen. „Wir wissen doch, dass sich von heute auf morgen nicht reparieren lässt, was hier sieben Jahre lang in Grund und Boden gewirtschaftet worden ist.“

Buchner und Henkel steigen in einen Zug, der vom Werkstatttor als S1 nach Oranienburg startet. Buchner sagt, sein Arbeitstag beginne gewöhnlich um 6 Uhr 30 mit einer Telefonkonferenz zur Lage. Abends beeile er sich, damit er seinen kleinen Sohn noch ins Bett bringen könne. Danach arbeite er zu Hause die Mails ab.

Er wirkt fröhlich – und sagt, sein Befinden hänge unmittelbar mit der Zahl der verfügbaren Züge zusammen. Und an dem Zeitungstitel mit der runtergelassenen Hose habe ihn nicht das Motiv geärgert, sondern die Botschaft. Weil doch schon so viel angeleiert worden sei.

Spitzenkandidat Henkel nennt Buchner „hoch kompetent“. Dann ruckt der Zug wieder heftig. Buchner ist der Einzige, der nicht schwankt.

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