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Serie Berlin 2030: Berlins Stadtverkehr im Jahr 2030

Wenn gerade kein Bus kommt, nimmt man sich eben das nächste Elektroauto – und fährt seniorengerecht entschleunigt. Wie wir in 20 Jahren leben, wohnen und arbeiten werden.

Als Kinder hatten wir eine klare Vorstellung vom Stadtverkehr der Zukunft: Morgens zischen wir mit umgeschnalltem Raketenrucksack zur Arbeit, abends fliegen wir mit dem Brennstoffzellenjet ins Restaurant. Soweit die Phantasie. Die Berliner Realität des Jahres 2010 besteht aus lauten Straßen, auf denen Autos kostbares Erdöl zu klimaschädlichem CO2 verbrennen und im vergangenen Jahr bei 342 Unfällen 40 Menschen verletzt wurden – pro Tag! Dazu kommen störanfällige S-Bahnen, verschleppte Straßenbahnplanungen und ein Fahrradverkehr, der in manchen Kiezen schneller wächst als die Infrastruktur. Wo soll das hinführen?

Zunächst einmal: zu noch viel mehr Fahrradverkehr. 48 Prozent Zuwachs in der City und sogar 68 Prozent im Gebiet außerhalb des S-Bahn-Rings stellt die Verkehrsprognose 2025 der Stadtentwicklungsverwaltung in Aussicht – sofern die Rahmenbedingungen stimmen. Die Prognos-Studie zu Berlin 2030 im Auftrag der Berliner Bank betont zudem, der öffentliche Raum müsse den Bedürfnissen der alternden Bevölkerung angepasst werden, „bis hin zur Taktung von Ampelschaltungen“.

Die Autoren der Verkehrsprognose erwarten knapp zehn Prozent mehr „Personenkilometer“ in Bussen und Bahnen, dafür aber leerere Straßen: Der Autoverkehr soll etwa in derselben Größenordnung abnehmen. Die reale Entwicklung wird sowohl von der Qualität der Öffentlichen abhängen als auch von den Rahmenbedingungen fürs Auto, also von Spritpreisen und den Fortschritten der Elektromobilität. Umweltfreundlicher müssen die neuen Autos schon 2015 werden, wenn die Abgasnorm Euro 6 in Kraft tritt. Die Umweltzone könnte dagegen nur auf Basis der bundesweiten Plakettenverordnung weiter verschärft werden.

Barbara Lenz, die beim Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt (DLR) das Institut für Verkehrsforschung leitet, erwartet, „dass die Verknüpfung der Verkehrsmittel anders funktionieren wird als heute“. Statt mit dem eigenen Auto bis in die City zu fahren, werde man künftig eher Bahn mit Mietfahrrad oder Carsharing kombinieren. Bezahlt wird über ein entsprechendes Kombi-Ticket für die Öffentlichen. Für komplett verzichtbar hält die Professorin das Auto wegen seiner Flexibilität und seines Statuswertes auch langfristig nicht, aber sie beobachtet bereits veränderte Prioritäten – hin zu kleinen und sparsamen, aber betont trendigen Autos wie dem Smart oder dem Fiat 500.

Der Siegeszug der Elektroautos wird nicht nur mehrere Jahrzehnte dauern, sondern könnte vom Problem der Ladestationen gebremst werden. Ein vom Bundeswirtschaftsministerium gefördertes Forschungsprojekt der TU unter Leitung der Verkehrsplanungsprofessorin Christin Ahrend befasst sich zurzeit mit Fragen dieser Infrastruktur. Als denkbar gelten Ladestationen im „halböffentlichen Raum“, etwa auf Supermarkt-Parkplätzen oder in Parkhäusern. Im Herbst soll ein Szenario präsentiert werden.

Andreas Knie, Geschäftsführer des Innovationszentrums Mobilität und gesellschaftlicher Wandel, entwirft ein noch konsequenteres Szenario: Über eine Kundenkarte werde man das Verkehrsmittel seiner Wahl – Bus, Bahn, Auto oder Fahrrad – buchen und am Ende der Tour einfach verlassen. Diese Mietautos werden nach Knies Überzeugung durchweg elektrisch fahren und zugleich das von der Stromwirtschaft herbeigesehnte Speichermedium für die schwankend gelieferten erneuerbaren Energien sein. Vorteile wie Busspurnutzung und freies Parken sollten die Angebote attraktiver machen, und ein klares Bekenntnis von Senat und Regierendem Bürgermeister könne die Verbreitung beschleunigen. Dass im Jahr 2030 noch jemand mautfrei mit seinem benzin- oder dieselgetriebenen Privatauto in die City fahren darf, hält Knie für völlig ausgeschlossen.

Ein bisher unterschätztes Nebenprodukt der E-Mobilität sind Fahrräder mit elektrischem Zusatzantrieb. Die sogenannten Pedelecs erweitern den Aktionsradius enorm und können perspektivisch neue Zielgruppen aufs Rad holen, etwa Senioren sowie „Anzugträger“, die nicht verschwitzt im Büro ankommen wollen.

Barbara Lenz prophezeit eine Entschleunigung des Stadtverkehrs, weil viel mehr Senioren unterwegs sein werden als heute. Hinzu komme das Lärmproblem, das durch strengere Tempolimits und die Bündelung des Autoverkehrs gelindert werden müsse. Denkbar sei auch eine „Straßenbepreisung“, vielleicht nach dem Vorbild der Niederlande, wo die Kfz-Steuer durch die Erfassung der gefahrenen Strecken per GPS-System ersetzt werden soll. So bezahlt jeder, was er fährt. Was die Sicherheit des Autoverkehrs betreffe, werde nach dem Insassenschutz durch Airbag & Co. nun der „Umgebungsschutz“ verbessert. Die ersten Automodelle mit Fußgänger-Radar und aktiv stoßdämpfenden Motorhauben sind bereits auf dem Markt.

Wer Bus und Bahn fährt, wird im Jahr 2030 selbstverständlich die Echtzeit- Fahrtroute von Tür zu Tür per Handy abrufen. Der Verkehrsverbund VBB sucht zurzeit Testkunden für ein Pilotprojekt.

Die Fahrt selbst wird nicht völlig anders sein als heutzutage – abgesehen davon, dass der Strom für die Öffentlichen dann aus erneuerbaren Quellen stammen wird. Eine neue S-Bahn-Generation ist schon um 2020 zu erwarten; die Lebensdauer liegt – wie bei der U-Bahn – bei etwa 30 Jahren. Verbesserungen wie grüne Wellen für Bus und Tram sind technisch längst machbar. Sie scheitern bisher nur am fehlenden Umsetzungswillen.

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