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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Kolumne "Mein Berlin": Verkürzte Wehrpflicht

In Deutschland wird die Wehrpflicht abgeschafft - in der Türkei zieht der Staat seine Männer auch noch mit 40 Jahren ein. Hatice Akyün ist in Gedanken bei ihrem Cousin Murat, der gerade seinen Dienst in Burdur ableistet.

Mein Cousin Murat ist seit Freitag beim Türkischen Militär. Das ist zunächst einmal nicht ungewöhnlich. Wäre da nicht der Umstand, dass er beim Joggen nach zehn Minuten schlapp macht, die Rückenblockade beim Osteopathen lösen lässt, das rechte Knie bei Wetterumschwung heftig zieht und er bald seinen 40. Geburtstag feiert.

Bei seinem körperlichen Zustand würde es in Deutschland nicht einmal zum Zivildienst im Natur- und Artenschutzbereich reichen. Das hat er nun davon, dass er den deutschen Pass schon vor dem Jahr 2000 beantragt hat. Die doppelte Staatsbürgerschaft bescherte ihm nun all inclusive – allerdings nicht in Antalya, sondern in der Türkischen Armee. Für 7668 Euro hat sich Murat vom 15-monatigen Pflichtdienst freigekauft. Dafür darf er jetzt 21 Tage lang Rambo spielen. Natürlich ohne scharfe Munition, aber mit einem Kompass, der immer nach Osten zeigt.

Murat wird wie alle Kurzzeit-Soldaten mit MigraHigru seinen Dienst in Burdur ableisten, einer Kleinstadt im Südwesten der Türkei. Vier Mal im Jahr, Januar, April, Juli und Oktober, zieht der Türkische Staat ein: Eine Ansammlung von gesetzten, ergrauten Männern mit den ersten körperlichen Gebrechen. Den Termin seiner Rekrutierung konnte Murat selbst bestimmen. Er entschied sich für den milden April, weil ihm die Türkei im Juli zu heiß, im Januar zu kalt und im Oktober zu verregnet ist. Um die 10 000 Türken kommen so aus aller Welt zusammen. Das macht 50 bis 70 Millionen Euro Nebeneinkünfte für die Türkei. Die devisenbringende Beschäftigungsmaßnahme ist eher eine Burnoutpräventionskur als eine militärische Grundausbildung.

Es ist zu vermuten, dass mein Cousin nicht einmal in die Nähe eines Leopard-Panzers kommen wird. Mit ein wenig Glück hängt eine Dartscheibe im Aufenthaltsraum der Kaserne, wo er und seine Kameraden ein wenig zielen üben dürfen. Ob die Notration aus Dönerteller in der Büchse besteht, der Gebetsteppich in Tarnfarbe gemustert ist oder an seinem Jeep ein Fuchsschwanz hängt, wurde von ihm noch nicht überliefert.

Um das Heimweh nach Deutschland zu bekämpfen, könnte Murat jedoch einen Tagesausflug in eine „echte“ Kaserne unternehmen, in der bestimmt noch altes Gerät aus deutschen Waffenschmieden herumsteht.

Jahrelang hat mein Cousin übrigens alle möglichen Tricks angewandt, um der Einberufung zu entgehen. Nun sind alle legalen Mittel ausgeschöpft, und er wird sich als studierter Familienvater, der die Türkei nur aus Urlaubsreisen kennt, von einem 22-jährigen Vorgesetzten durch den Schlamm schubsen lassen.

Ein Freund, der seinen Dienst schon hinter sich hat, machte Murat kurz vor seiner Abreise noch ein wenig Mut. Er erzählte ihm frohgemut, dass es in Burdur erlaubt sei, mit dem Handy zu telefonieren, Essen aus Restaurants zu bestellen und die freien Wochenenden im Luxushotel in Antalya zu verbringen. Nur eines dürfe Murat aber unter keinen Umständen: Die Türkische Nationalhymne falsch singen.

Warum nur hat Deutschland den Wehrdienst ganz abgeschafft und lernt nicht von den Türken? Man hätte den Dienst einfach auf 15 Monate festsetzen sollen. Und wer nicht zur Bundeswehr will, kauft sich für 7668 Euro einfach frei. Mit den Einnahmen käme eine prächtige Armee zusammen. Hiermit bewerbe ich mich für den Posten des Bundesverteidigungsministers. Rühren!

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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