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Verlassen, verfallen, aufgegeben: Berliner Ruinen: Zehn Orte ohne Zukunft

Mehr als zwei Jahrzehnte Baufieber haben das Verlassene und Aufgegebene in Berlin fast verschwinden lassen. Eine kleine Auswahl der verbliebenen Ruinen, die Türen in längst vergangene Zeiten öffnen.

Alte Maschinenfabriken sind jetzt Loftwohnungen, verlassene Platten des Sozialismus wurden abgerissen und die Lücken mit Neubauten der Neunziger und Nuller Jahre gefüllt. Doch es gibt viele Stellen, an denen der neue Glanz brüchig wird, manchmal schon bei einem Blick über den Hof auf ein verrammeltes Haus. Ein Gang durch die Ruinen öffnet Türen in längst vergangene Zeiten - am Stadtrand, aber auch mitten im Kiez.

Unter denen, die sich auf die Suche nach diesen Plätzen begeben, sind viele Stadterkunder mit einer Kamera. Die meisten halten sich an die Regel der "Urban Explorer", nichts zu hinterlassen außer den eigenen Fußspuren, und nehmen von den Orten nur die Fotos mit. Mehr als 200 dieser Bilder sind in unserem Fotoprojekt „Berlin: Eine Stadt voller Ruinen“ zu sehen. Es ist eine Sammlung, die wohl nie enden wird. Denn die Neubauten von heute könnten schon die nächsten Ruinen sein.

Falls Sie, liebe Leserinnen und Leser, weitere Aufnahmen von verlorenen und vergessenen Orten in Berlin gemacht haben, freuen wir uns über eine E-Mail an leserbilder@tagesspiegel.de. Die Galerie finden Sie unter Adresse: www.tagesspiegel.de/ruinen

Brückenruine der alten Siemensbahn, zwischen dem ehemaligen S-Bahnhof Wernerwerk in Richtung Jungfernheide.
Brückenruine der alten Siemensbahn, zwischen dem ehemaligen S-Bahnhof Wernerwerk in Richtung Jungfernheide.

© Paul Heidemann

Siemensbahn

Eine verrostete Brücke, alte Bohlen, die im Gestrüpp verschwinden und Bahnhöfe voller Graffiti. Auf der alten Trasse von der Jungfernheide über die Bahnhöfe Wernerwerk und Siemensstadt bis nach Gartenfeld ist zuletzt 1980 ein Zug gefahren. Nur Ruinen-Touristen wagen sich heute noch auf das Stahlviadukt, das zur Bauzeit Ende der 20er Jahre hochmodern war. Werksarbeiter von Siemens kamen mit der Verbindung schneller zur Arbeit, ein halbes Jahrhundert lang. Zuletzt hatte der Arbeitsplatzabbau in der Siemensstadt und die verlängerte U-Bahnlinie U7 die Auslastung sinken lassen.

Die drei Bahnhöfe werden wohl nie wieder in Betrieb gehen. Immer wieder wandern Neugierige auf den Stahlviadukten der alten Strecke entlang durch die Wohnsiedlungen der Siemensstadt bis zum Bahnhof Gartenfeld. Dort hat sich inzwischen ein Gartencenter niedergelassen.

Wasser dringt durch offene Fenster und kaputte Dächer ein. - Foto: Wan Fung Law (CC: BY 2.0)
Wasser dringt durch offene Fenster und kaputte Dächer ein. - Foto: Wan Fung Law (CC: BY 2.0)

© Wan Fung Law

Beelitz-Heilstätten

Geisterstimmen soll man hier hören. Von verwundeten Soldaten, die in den langen Gängen nach einem Arzt schreien, wild mit den Türen schlagen. „No one gets out here alive“, hat jemand an die Wand geschrieben. Doch um das verfallene Krankenhausgelände Beelitz-Heilstätten interessant zu finden, ist kein Hang zum Übersinnlichen nötig. Eine Stunde Fahrt mit der Regionalbahn von der Berliner Innenstadt entfernt liegt die einst größte Lungenheilstätte Europas. Erich Honecker wurde hier behandelt, der Gefreite Adolf Hitler soll hier kuriert worden sein – und nun tropft das Wasser durch die Decken.

Am Ende des 19. Jahrhunderts begann die Landesversicherungsanstalt Berlin mit dem Bau der prächtigen Anlage im Beelitzer Stadtwald, um die vielen Tuberkulosekranken aus den feuchten Berliner Mietwohnungen endlich an die frische Luft zu bringen. In beiden Weltkriegen mussten lungenkranke Patienten verletzten Soldaten Platz machen. Nach 1945 zog die Rote Armee nach Beelitz-Heilstätten. Die Russen betrieben hier das größte Militärhospital außerhalb der Sowjetunion. Seit dem Ende des Riesenreichs wird vergeblich nach neuen Nutzungsmöglichkeiten gesucht. Nur die alte Männerheilstätte wurde restauriert.

In den vergangenen Jahren fiel der Name Beelitz-Heilstätten im Zusammenhang mit Kriminalfällen. Der Fotograf Michael F. soll 2008 auf dem Gelände düstere Motive mit einer jungen Frau aufgenommen haben, die später beim gemeinsamen Sado-Maso-Sex starb.

Doch wenn nicht gerade Aufnahmen für Spielfilme gemacht werden, ist es ruhig hier. In ein helles Zimmer hat jemand einen Liegestuhl gestellt. Der Blick durch die Fenster fällt auf die rankenden Bäume des Beelitzer Stadtwalds, die langsam an den Mauern Wurzeln schlagen.

Willkommen in zwei ehemaligen legendären Berliner Ausflugslokalen - der Riviera und dem Gesellschaftshaus. Beide liegen nebeneinander in der Grünauer Regattastraße, direkt am Ufer der Dahme. Über der Bühne hängt noch der langsam vermodernde Vorhang, im Saal steht ein einsamer Stuhl. - Foto: M.A.R.C. (CC BY-SA 2.0)
Willkommen in zwei ehemaligen legendären Berliner Ausflugslokalen - der Riviera und dem Gesellschaftshaus. Beide liegen nebeneinander in der Grünauer Regattastraße, direkt am Ufer der Dahme. Über der Bühne hängt noch der langsam vermodernde Vorhang, im Saal steht ein einsamer Stuhl. - Foto: M.A.R.C. (CC BY-SA 2.0)

© M.A.R.C.

Riviera und Gesellschaftshaus Grünau

Sonnenstrahlen fallen in den staubigen Saal des alten Gesellschaftshauses Grünau, durch einige offene Türen des ansonsten vernagelten Gebäudes. Auf dem Boden vermodern Schifferparkett und heruntergefallene Fensterrahmen. Ein einsamer Stuhl steht mitten im Saal und lenkt den Blick auf die Bühne, über der ein roter Vorhang vermodert. "Metropolen von Frohsinn und Entspannung" sollen die Riviera und das Gesellschaftshaus einmal gewesen sein, erzählt Ralf Rohrlach, ein Tagesspiegel-Leser. Das lässt sich leicht vorstellen, wenn man den prächtigen Stuck betrachtet, der jetzt nach und nach von der Decke prasselt, die reich verzierten Wände - und erst die Lage: Direkt an der Regattastrecke am Ufer der Dahme.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts feierten Generationen hier. Damals, als man mit Geld aus Berlin heraus nach Grünau zog und prächtige Villen baute. Auch zu DDR-Zeiten waren die Lokale noch ein beliebtes Ausflugsziel. Doch der Verfall währt nun schon länger als 20 Jahre. "Nur noch peinliches Zeugnis einer misslungenen, wohl ahnungslosen Vermarktung nach irgendwo", nennt Ralf Rohrlach den traurigen Zustand. Inzwischen hat sich eine Bürgerinitiative zur Rettung der beiden denkmalgeschützten Häuser gegründet.

Irakische Botschaft in der DDR

Trotz 20 Jahren Verfall kann man sich noch gut vorstellen, dass an diesem Schreibtisch mal jemand Briefe abgetippt hat.
Trotz 20 Jahren Verfall kann man sich noch gut vorstellen, dass an diesem Schreibtisch mal jemand Briefe abgetippt hat.

© Imago

Die ehemalige irakische Botschaft der DDR ist von der Straße aus kaum noch zu entdecken. Das Gestrüpp ist dicht geworden auf dem Gelände in der Pankower Tschaikowskistraße – es hatte reichlich Zeit, um zu wachsen. 1991 stand die Botschaft plötzlich leer. Das Personal war geflohen, nachdem Gerüchte aufkamen, wonach dort ein Sprengstofflager vorhanden sei. Dazu beigetragen haben mag auch eine Geschichte des „Spiegel“, die Mutmaßungen über RAF-Terroristen aufstellte, die hier beherbergt würden.

23 Jahre Jahre später sind die Böden übersät mit verrotteten Akten, Visaanträgen und alten Tonbändern, die Generationen von Souvenirjägern aus den Regalen gerissen haben. Gebrannt hat es auch. Eine interessante Filmkulisse.

Am Sachsendamm in Schöneberg ist schon vor vielen Jahren eine Autobahnausfahrt fertiggestellt worden.
Am Sachsendamm in Schöneberg ist schon vor vielen Jahren eine Autobahnausfahrt fertiggestellt worden.

© Birgit Kant

Eine vergessene Auffahrt in Schöneberg

Am Sachsendamm in Schöneberg wuchern Bäume und Sträucher auf einer Ausfahrt - es wirkt fast, als wäre die Ära des Autoverkehrs schon vorbei. Doch auf den Spuren nebenan rauscht der Verkehr weiter. Eigentlich sollte die Autobahn hier weiter stadteinwärts führen, doch anstatt einer Verlängerung blieb ein verwilderter Stumpf zurück. Unter dem Sachsendamm befindet sich auch eine alte Bushaltestelle. Bis in die Achtziger Jahre waren die Buslinien auf der Stadtautobahn im Stadtwesten eine Alternative zur "kommunistischen S-Bahn", die bis 1984 von der Deutschen Reichsbahn aus der DDR heraus betrieben wurde. Zurück blieben Haltestellen und Zufahrten.

Der Dino ist umgekippt, das Riesenrad steht noch. - Foto: Michael Lehmann
Der Dino ist umgekippt, das Riesenrad steht noch. - Foto: Michael Lehmann

© Michael Lehmann

Spreepark

Langsam dreht sich das rostige Riesenrad, der Wind spielt mit den leeren Gondeln und lässt Spaziergänger auf Stralau verwundert zurück. Hinter dem löchrigen Zaun des ehemaligen Spreeparks ist alles ruhig. Umgekippte Dinosaurier liegen herum, an vielen Stellen muss man schon zweimal hinschauen, um die verfallenen Gebäude, Brücken und überwucherten Spielgeräte noch zu erkennen. Bis ins Jahr 2001 hörte man das Kreischen der Achterbahn fahrenden Kinder bis weit in den Treptower Park hinein. Seitdem ist Ruhe im Plänterwald. Immer wieder gab es Pläne, die im Sande verliefen. Der Dokumentarfilm "Achterbahn" erzählt mehr über den Spreepark – und das wechselhafte Leben des ehemaligen Betreibers Norbert Witte.

Abhörstation auf dem Teufelsberg

In der Kuppel sitzen, ein Bier trinken und in die Ferne schauen. - Foto: Lindsay Eyink (CC: BY 2.0)
In der Kuppel sitzen, ein Bier trinken und in die Ferne schauen. - Foto: Lindsay Eyink (CC: BY 2.0)

© Lindsay Eyink

Der Blick von der höchsten Radarkuppel ist toll. Der Grunewald und die Ebenen Brandenburgs, auf der anderen Seite das Häusermeer Berlins. In Fetzen hängt die Verkleidung der Kuppel herab und flattert im Wind. Ein eigenartiges Geräusch. In einer anderen der fünf Kuppeln steht eine Badewanne mit roter Farbe. Bizarr, wie vieles an der ehemaligen Abhöranlage der Amerikaner. Die Wände des verfallenen Geländes sind übersät mit Graffiti und Street-Art. Die Station auf dem Teufelsberg als Berlins größte Urban-Art-Galerie – und dass, obwohl man eigentlich nur auf Führungen hineinkommt. Doch der Zaun hält die wirklich Neugierigen nicht von einem Besuch ab.

 

Verrottender Asphalt: Diese ehemalige Autobahn führte zu DDR-Zeiten nach Helmstedt. Als 1969 der neue Grenzkontrollpunkt Dreilinden fertiggestellt wurde, legte die DDR die drei Kilometer lange Trasse still. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Senden Sie uns Ihre Fotos von Berliner Ruinen an leserbilder@tagesspiegel.de.
Verrottender Asphalt: Diese ehemalige Autobahn führte zu DDR-Zeiten nach Helmstedt. Als 1969 der neue Grenzkontrollpunkt Dreilinden fertiggestellt wurde, legte die DDR die drei Kilometer lange Trasse still. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Senden Sie uns Ihre Fotos von Berliner Ruinen an leserbilder@tagesspiegel.de.

© Imago

Checkpoint Bravo

 Plötzlich steht man auf der Autobahn. Pflanzen brechen durch markierte Asphaltstücke, zwischen Bäumen und Gestrüpp sind Leitplanken und leere Fahnenstangen zu erkennen. Irgendwo soll es sogar einen Campingplatz geben - mitten auf der alten Trasse in Dreilinden am Wannsee.

Die Autobahn führte zu DDR-Zeiten nach Helmstedt. Als 1969 der neue Grenzkontrollpunkt Dreilinden fertiggestellt wurde, legte die DDR drei Kilometer Autobahn samt einer Brücke über den Teltowkanal still. Darauf befand sich der alliierte Checkpoint Bravo, wie der Übergang von den Amerikanern genannt wurde. Unser Leser Peter Rohde bedauert, dass sich heute „fast nur noch US-Veteranenverbände“ um diesen Ort kümmern. Rohde war 1961 direkt neben der alten Autobahnbrücke in NVA-Uniform in den Westen geflüchtet.

Die vier Kreuzberger Zapfsäulen. In der Muskauer Straße befindet sich diese alte Tankstelle. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Senden Sie uns Ihre Berliner Ruinen-Fotos an leserbilder@tagesspiegel.de.
Die vier Kreuzberger Zapfsäulen. In der Muskauer Straße befindet sich diese alte Tankstelle. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Senden Sie uns Ihre Berliner Ruinen-Fotos an leserbilder@tagesspiegel.de.

© Denise Schmidt /dse.photography

Eine Tankstelle im Kreuzberger Hinterhof

Wer kann sich erinnern, wann er sein Auto zuletzt an einer solchen Zapfsäule betankt hat? In einem Hof der Muskauer Straße in Kreuzberg haben diese vier Säulen Jahrzehnte überdauert. Abgerechnet wurde noch in D-Mark und Pfennig, an der Seite befindet sich eine seltsame Kurbel. Retro-Fans werden ihre Freude haben: Abgerundete Ecken, eine riesige analoge Tankuhr. Erstaunlich, dass die Säulen nicht schon längst jemand abgeschraubt hat und sie im eigenen Wohnzimmer als Schrank für die Hausbar verwendet.

 

Verlassene Wohnung im Westen Berlins: Was bleibt, ist viel Staub und ein altes Klavier. Das Notenheft ist noch aufgeschlagen. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Senden Sie Ihre Fotos von Ruinen aus Berlin und dem Umland an leserbilder@tagesspiegel.de!
Verlassene Wohnung im Westen Berlins: Was bleibt, ist viel Staub und ein altes Klavier. Das Notenheft ist noch aufgeschlagen. Liebe Leserinnen, liebe Leser: Senden Sie Ihre Fotos von Ruinen aus Berlin und dem Umland an leserbilder@tagesspiegel.de!

© Denise Schmidt /dse.photography

Verlassene Wohnung im Westen der Stadt

Ein verstaubtes Klavier, auf dem ein aufgeschlagenes Notenheft verrottet. Zeitschriften von 1960 liegen auf dem Tisch: „Eine tödliche Grippe-Welle rollt auf uns zu“, steht auf einem Titel. Wir befinden uns in einer Wohnung im Westen der Stadt, die offenbar Anfang der Sechziger Jahre verlassen wurde, ohne dass die damaligen Bewohner einen Möbelwagen haben kommen lassen. Sie ließen ihre Siebensachen dort, zogen vielleicht nach Hamburg um und zahlten brav ihre Miete weiter. Es könnte auch eine Opernwohnung gewesen sein, für vage Pläne, an drei Tagen im Jahr nach Berlin zurückzukehren. Wir wissen es nicht.

Falls Sie, liebe Leserinnen und Leser, weitere Aufnahmen von verlorenen und vergessenen Orten in Berlin gemacht haben, freuen wir uns über eine E-Mail an leserbilder@tagesspiegel.de. Die Galerie finden Sie unter Adresse: www.tagesspiegel.de/ruinen

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