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Verspätete Flughafeneröffnung: Fehler im System: Der Problem-BER ist zurück

Im unwahrscheinlichen Fall eines Druckabfalls soll man an Bord eines Flugzeugs vor allem eines tun: Ruhe bewahren. Aber gilt das auch bei einer Großbaustelle? In Schönefeld droht ein Fiasko – und die Verantwortlichen ringen nach Luft.

Es ist für einen Politiker an manchen Tagen besonders bitter, das aussprechen zu müssen, was ohnehin jeder weiß. Am Dienstagmittag fällt diese Aufgabe Matthias Platzeck zu, dem brandenburgischen Ministerpräsidenten. „Die Eröffnungsfeier wird selbstverständlich nicht stattfinden.“ Er macht eine Pause. „Dafür gibt es derzeit keinen Anlass.“

In der Party-Hauptstadt Berlin fällt die Party aus. Für 30 000 Menschen war sie gedacht. Das ist dann also die Botschaft. Die Eröffnungsfeier für den neuen Großflughafen Willy Brandt, die in drei Wochen ein neues Kapitel in der Berliner Verkehrsgeschichte hätte einleiten sollen, sie wird es nicht geben, weil es die Eröffnung selbst erst mal nicht gibt. Um mehrere Wochen muss die verschoben werden. Wie viele, ist unklar

Es ist der Fall, den alle fürchten, der schlimmste. Denn alle, wie sie da sitzen in der Airport World in Schönefeld, auf dem Podium dieser eilig einberufenen Pressekonferenz, Matthias Platzeck, Klaus Wowereit, Rainer Schwarz, sie erleben gerade etwas, vor dem bei jedem Abflug einer Passagiermaschine gewarnt wird. Man kann ihn beinahe spüren, den plötzlichen Druckabfall in der Kabine.

„Im unwahrscheinlichen Fall eines Druckabfalls“, sagen die Stewardessen und raten auf die Sauerstoffmasken zurückzugreifen, und dann rette jeder zuerst sich selbst.

Matthias Platzeck, Klaus Wowereit, Rainer Schwarz, sie sitzen hier vor der versammelten Presse, weil sie, so Schwarz, „gestern Abend die Erkenntnis gewonnen haben“, dass der Flughafen nicht wie versprochen am Sonntag, den 3. Juni, eröffnet werden kann. Das wäre jetzt der Moment, in dem sich eine gewisse Lynchstimmung breitmachen könnte. Und Wowereit scheint das auch zu erwarten. „Am besten wär’s“, sagt er, „wenn man gleich irgend jemanden hängen würde oder so.“

Schwarz wird sich später entschuldigen. Er ist als Geschäftsführer auch verantwortlich. Platzeck wird „stocksauer“ sein und Wowereit stoisch auf die Erfolge verweisen. Wie weit diese beiden als Chefs des Aufsichtsrats ebenfalls verantwortlich sind, das wollen sie nicht so recht zeigen unter ihren Sauerstoffmasken aus aufmunternden Worten.

Sie sind dabei, sich selbst zu retten. Schon immer sei der Plan „ambitioniert“ gewesen. „Manpower“, „Baubeschleunigung“ – alles ist da. Aber es gebe Bereiche, „die entziehen sich einer Beschleunigung“, wehrt Wowereit die Verantwortung ab. Auch mit Geld sei nichts mehr zu machen.

Sehen Sie in der Bildergalerie: So soll der neue Flughafen aussehen

Mehrere Nachfragen können kaum herausbekommen, was an der Entrauchungsanlage denn da genau das Problem ist. Schwarz sagt, sie hätten „bei den Brandschutzmaßnahmen nicht den Reifegrad erreicht, der eine Abnahme erlauben würde“. Aber was ist der Reifegrad einer Entrauchungsanlage? 

– Also wurde zu langsam gebaut?

„So kann man das nicht sagen.“

Aber wie man es anders sagen könnte, darin versucht Wowereits sich mit einem merkwürdigen Satz. Sie hätten auch Verantwortung gegenüber den Leuten, die man jetzt nicht zwingen könne, ihre Unterschrift unter Abnahmen zu setzen. In Wirklichkeit ist die Flughafengesellschaft so weit von einer Abnahme entfernt, dass sie die nicht mal beantragen kann. Die vielen Komponenten haben zu einem zentralen Steuerungsproblem des Brandschutzsystems geführt. Das zu beheben, kann noch Wochen dauern.

Konsterniert, entrüstet, überrumpelt

Zur Dramatik dieser Nachricht passt das Drama des Tages. Noch am Morgen hatte das Drehbuch der Regierungen von Brandenburg und Berlin einen ganz anderen Ablauf vorgesehen. Die Senatoren aus der Bundeshauptstadt haben sich früh nach Potsdam begeben zur ersten gemeinsamen Kabinettssitzung nach der Bildung der großen Koalition. Ein Gruppenfoto soll gemacht werden, im „Brandenburg-Saal“ stehen vor allem die Baufortschritte in Schönefeld auf der Tagesordnung. Laut Drehbuch das Musterbeispiel der Kooperation beider Regierungen. Doch die vorbereiteten Pressemitteilungen sind Makulatur.

Das zeigt sich sehr schnell, nachdem Flughafenchef Rainer Schwarz als Erster zu reden begonnen hat. Ursprünglich war für seinen Vortrag eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Nun ist er sofort wieder fertig, „nach fünf Minuten“, ehe er ins Kreuzverhör genommen wird. Er hat auch nicht viel zu sagen: außer dass der Eröffnungstermin abgeblasen werden muss. Nach einer Stunde ist alles vorbei, da sind die Berliner Gäste bereits wieder auf dem Rückweg.

Sehen Sie hier einige Impressionen des Berliner Scheiterns:

Wutausbrüche blieben aus, berichten Teilnehmer später. Zwar waren Wowereit und Platzeck am Vorabend vorab informiert worden, hatte Brandenburgs Regierungschef am Morgen seine Kabinettskollegen bereits informiert. Dennoch war in der Sitzung mit Händen zu greifen, wie konsterniert, entrüstet, überrumpelt alle waren. „Bei Kindern gibt es das Wort baff: Vielleicht ist es das“, sagt einer, der dabei war. „Fatalistisch“ nennt ein anderer die Stimmung, was ja nur ein weiteres Wort für katastrophenergeben ist. Die Brandenburger, die Wowereit nicht so oft persönlich erleben, sind überrascht: „Da war eigentlich nur Galgenhumor“, sagt einer. Aber da seien auch die „geballten Fäuste unter dem Tisch“ zu spüren gewesen, das in fast jeder Frage erkennbare Unverständnis über das Management, das sehenden Auges auf diesen Punkt zugesteuert sei.

Der Mann im Zentrum dieser Affäre gibt sich einsilbig an diesem Tag. Rainer Schwarz ist ein erfahrener Flughafenmann. In München war er tätig. Danach in Düsseldorf. Dort hat er das defizitäre Unternehmen in die Schwarzzahlenzone geführt. In Berlin erhofft man sich von dem 55-Jährigen dasselbe. Erst im Herbst ist sein Vertrag verlängert worden. Doch dass es nun von Regierungsseite über ihn heißt, man könne „nicht in der Schlussrunde die Pferde wechseln“, verdeutlicht nur die Not, in der sich alle gleichermaßen befinden. Instinkt hatte Schwarz nicht bewiesen, als er erst kürzlich noch laut über Erweiterungsbauten nachgedacht hatte, ja, diese sogar für unabdingbar hielt. Und das in einer Situation, in der noch Klagen gegen die Inbetriebnahme laufen und es schwerwiegende Einwände gegen das Lärmschutzkonzept gibt. Es ist die Methode Schwarz, sehr fordernd zu werden, wenn etwas nicht stimmt.

Sehen Sie hier in einer Bildergalerie, wie der neue Großflughafen entsteht:

Schon einmal hatte Schwarz mit dem Eröffnungstermin gepokert. Der war auf den 30. Oktober 2011 festgelegt worden. Eineinhalb Jahre vorher kamen Zweifel auf. Der harte Winter hatte sich weit ins Frühjahr 2010 erstreckt und die Bauarbeiten verzögert. Wenige Tage vor dem für den 7. Mai 2010 geplanten Richtfest für den BBI-Terminal dementierte die Geschäftsführung der Flughafengesellschaft jedweden Verzug noch wütend. Bei einem Interview im Tagesspiegel fauchte Schwarz, wie es möglich sei, eine solche Falschmeldung zu verbreiten.

Das am 7. Mai 2010 im Tagesspiegel abgedruckte Gespräch begann so:

– Wann öffnet der neue Airport Berlin Brandenburg seine Pforten für den Luftverkehr?

– „Nach wie vor – wie wir das ja immer wieder gebetsmühlenartig wiederholen – am 30. Oktober des nächsten Jahres.“

– Und der Termin steht?

– „Ja, er steht.“

Wenige Wochen später gab der Flughafen bekannt, dass der ursprüngliche Eröffnungstermin nicht zu halten sei.

Déjà-vu-Erlebnis für Klaus Wowereit

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit dürfte ein Déjà-vu-Erlebnis gehabt haben, als er am Montagabend zwischen 18 und 19 Uhr einen Anruf von Rainer Schwarz erhielt. Da wusste er, dass er am folgenden Tag nicht, wie geplant nach Paris fliegen würde, sondern mal wieder erklären müsse, warum sich Berlin so schwertut mit seinem größten Infrastruktur- und Imageprojekt. In der vergangenen Woche noch, so heißt es aus Wowereits Umfeld, hätten die Flughafenverantwortlichen noch dezidiert versichert: „Das kriegen wir hin.“

Dieselbe Zuversicht verbreitete Ende April auch Flughafensprecher Ralf Kunkel. Gerade erst hätten Tests mit der Entrauchungsanlage im Terminal stattgefunden. Kunkel war begeistert. Wie mühelos der Qualm abgesaugt worden war. Er berichtete, dass, von Kleinigkeiten abgesehen, alles hervorragend funktioniert habe. Immerhin sei simuliert worden, dass die gesamten Schnaps- und Tabakvorräte eines großen Einzelhändlers in Brand geraten. Sehr viel schlimmer könne es bei einem echten Feuer nicht kommen.

Sehen Sie in den Bildern: Probelauf am neuen Flughafen

Doch es ist wie so oft bei komplizierten Vorgängen. Man muss aufs Nebenbeigesagte besonders achten. Denn es sind wohl „die Kleinigkeiten“, die der Flughafengesellschaft zum großen Problem werden. Und es hat Vorboten, Vorwarnungen gegeben.

Am Freitag vor 14 Tagen fand sich der Aufsichtsrat des Flughafens in Schönefeld ein, schon da ging es lange um die Probleme bei den Brandschutz- und Rauchgasanlagen. Gleichwohl versicherte Schwarz am Rande, dass der Eröffnungstermin nicht gefährdet sei, dass es sich um ganz normale Probleme bei einem 2,5-Milliarden-Euro-Projekt handeln würde. Aussagen, auf die sich wohl mancher verließ, auch Matthias Platzeck, der nun zerknirscht von der „bösen Überraschung“ spricht, „die so kurz vorher nicht passieren darf“.

Einer schwieg an jenem Freitag: Klaus Wowereit, der die Sitzung des Aufsichtsrats als Letzter verließ. Die anderen hatten sich hinlänglich geäußert, Zuversicht verbreitet. Nur er nicht. Kein Kommentar, sagte er und verschwand. Ahnte er, dem man gute Instinkte nachsagt, da schon etwas?

In Bildern: Menschen, die am neuen Flughafen arbeiten

Wowereit hatte seine Erfahrungen mit Schwarz gemacht. Vor einem Jahr war auch er nicht über die Probleme auf der BBI-Baustelle unterrichtet worden, die zur erstmaligen Verschiebung der Eröffnung geführt hatten. Er wehrte die Öffentlichkeit trotzdem mit betonierter Miene ab, um sich, überrumpelt wie er war, Zeit für einen eigenen Überblick zu verschaffen. Konsequenzen zog er nicht.

Erste Anzeichen für den Verzug gab es dieses Mal am 21. April. Ein Unternehmer, der am Flughafenbau engagiert ist, sagte gegenüber dem Tagesspiegel: „Brandschutz ist ein echtes Thema, die werden damit nicht rechtzeitig fertig.“ Es gebe Szenarien für eine Verschiebung um einen, drei oder sogar sechs Monate. Von der Flughafengesellschaft wurde das auf Nachfrage dementiert.

Entweder wusste Klaus Wowereit davon nichts oder er hielt es für nicht so wichtig, als er kurz darauf in einem Seitenflügel zum Hauptterminal auf ein kleines Podest stieg, um die eigens aus London angereiste Chefin der Billigfluggesellschaft Easyjet zu begrüßen. Carol McCall war gekommen, um das vergrößerte Angebot ihrer Airline für den Standort BER vorzustellen. Erstmals hat Easyjet sogar einen Flieger mit Flughafenlogo lackiert. Der neue Airbus A320 mit den Buchstaben BER und dem Konterfei Willy Brandts stand hinter Wowereit und McCall auf dem noch leeren Vorfeld.

Wowereit präsentierte sich als Hausherr und sagte, hier sehe man, dass die Entscheidung, keine eigenen Terminals für Billigflieger zu bauen, richtig war. Nun gibt es auch für Easyjet Warteräume mit großen Fensterfronten, gesprenkelten Steinböden, anthrazitfarbenen Kunststoffsitzen, die unter dem Körpergewicht geschmeidig nachgeben. „Sie sehen, so edel kann Low-Cost sein“, sagte Wowereit damals.

Es mag eine Anspielung auf seine eigene Stadt gewesen sein, mit deren Armut er kokettiert. In der Pointe ging seine Bemerkung beinahe unter, dass noch viel zu tun sei, da dürfe man sich nicht durcheinanderbringen lassen. „Erinnern Sie sich an Ihre eigene Baustelle zu Hause“, sagt Wowereit. „Es kann nicht alles perfekt sein am 3. Juni. Also etwas Nachsicht bitte.“

Niemand erwartete einen perfekten Flughafen. Aber zumindest einen, von dem man abfliegen kann. Nun ist er zum Symbol der Berliner Durchwurstelei geworden. Und Matthias Platzeck hat noch eine bittere Pille. Die Party, wenn sie denn endlich stattfindet, wird kleiner. Was dafür der Anlass ist, behält er am Tag der Peinlichkeiten für sich.

Auf der Pressekonferenz am Dienstag geht das Wort an den Geschäftsführer Rainer Schwarz. Jemand will wissen:

– Wäre es nicht an der Zeit, personelle Konsequenzen zu ziehen, Herr Schwarz?

– „Zu früh.“

– Und was ist mit Ihnen?

– „Wie bitte?“

– Mit Ihrer Person?

Aber da ist nichts zu machen. Schwarz ist bereit, „genauso intensiv“ weiterzuarbeiten wie bisher.

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