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Berlin: Verstehen, was passiert

Fachchinesisch oder Monolog: Die Patienten klagen über die Kommunikation mit den Ärzten. Nun gibt es Projekte, die hoffen lassen – auf Visite mit jemandem, der’s besser machen will

Der Mann im Bett sagt nicht viel. Er liegt einfach da und sieht Stationsärztin Anja Petersen an. „Wie geht es Ihnen?“, will sie wissen bei ihrer Morgenvisite in der Abteilung für Innere Medizin der Park-Klinik Weißensee. „Schon besser“, antwortet der Patient knapp. Aber Anja Petersen (Name geändert) will mehr wissen. „Das geht schon in die richtige Richtung mit Ihrer Gesundheit, wenn ich sehe, wie Sie mit Ihrem Gehwagen wieder auf dem Flur herumlaufen. Und Sie sehen auch schon viel kräftiger und frischer aus.“ Keine Reaktion. Petersen setzt nach: „Ist das jetzt nur mein Eindruck oder auch Ihrer?“ Aber sie kann den Kranken nicht aus der Reserve locken.

Kein Wunder, wird Philipp Andresen später sagen. Noch steht der Psychologe im Krankenzimmer neben der Ärztin. Er beobachtet sie genau. Immer wieder notiert er etwas auf seinem Klemmbrett. Andresen ist Kommunikationstrainer und bringt seit Anfang des Jahres den Ärzten der Park-Klinik Weißensee bei, wie sie mit ihren Patienten sprechen sollen. Dazu begleitet er jeden Arzt bei einer Visite und analysiert sie hinterher mit ihm.

Eine halbe Stunde später sitzt der Psychologe mit der Ärztin zusammen und fragt, ein wenig wie im Examen, was wichtig sei bei der Visite. Herauszufinden, wie es den Patienten geht, aber auch, was sie über ihre Krankheit wissen, antwortet die Ärztin. Und sie will eine fröhliche Atmosphäre schaffen.

Und das sei ihr sehr gut gelungen, sagt Philipp Andresen. Das Positive kommt bei ihm immer zuerst. Er lobt ihre Bereitschaft, auf die speziellen Bedürfnisse ihrer Patienten einzugehen. Sie habe sie gut informiert und den Patienten signalisiert, dass ihre Probleme angekommen seien. Doch dann kommt er zum Fall des stillen Patienten: „Suggestivfragen laden den Patienten ein, etwas zurückzuhalten“, sagt er. Es komme der Eindruck an, ihm dürfe es nicht schlecht gehen. „Je mehr der Arzt versucht, zu überzeugen, desto mehr wehrt sich der Patient.“

Aber die Ärztin ist noch nicht ganz überzeugt. Sie sehe schließlich an den Blutwerten, dass es ihm tatsächlich besser gehe. „Da kann man das Gespräch doch ein bisschen anschubsen, oder?“

Sie solle den Patienten die Fortschritte durch geschickte Fragen lieber selber erkennen lassen, meint jedoch der Kommunikationstrainer. „Es ist besser, wenn er mitarbeitet und eine innere Suchbewegung zum Positiven macht.“ Die Ärztin verspricht, darüber nachzudenken. Ein anderer Rat gefällt ihr jedoch auf Anhieb: Sie soll nach dem Informationsgespräch den „Ball zum Patienten zurückspielen“ und ihn bitten, das Erklärte mit eigenen Worten noch einmal zusammenzufassen.

„Das Patientengespräch ist der zentrale Pfeiler jeder Behandlung und doch haben Ärzte die Kommunikation viel zu lange vernachlässigt“, sagt Günther Jonitz, Chirurg und Präsident der Ärztekammer Berlin. An den Universitäten stehen die Gespräche erst seit kurzem als Pflichtfach auf dem Stundenplan. Nur beim Reformstudiengang Medizin an der Charité gibt es das schon länger, „Interaktion“ wird das Fach genannt. Dort werden die Studenten mithilfe von Rollenspielen für die Arbeit am Patienten ausgebildet – die werden dabei von eigens für diese Aufgabe geschulten Schauspielern dargestellt, sagt der Internist Carsten Schwarz, der das Fach lehrt. In den „Gesprächskursen“ geht es dann hauptsächlich um das Überbringen schlechter Nachrichten.

Carsten Schwarz schult aber nicht nur seine Studenten, sondern Ärzte in ganz Deutschland in der Patientenkommunikation. „Es gibt zurzeit eine Welle des Interesses“, sagt er. Krankenhäuser lassen ihre Mitarbeiter fortbilden, in Berlin machen zum Beispiel schon das Unfallkrankenhaus Berlin, die Vivantes-Kliniken oder die Park-Klinik mit. Aber auch Hausärzte nähmen schon an Seminaren teil.

Die lange Vernachlässigung der sogenannten „sprechenden Medizin“ wiegt das neue Interesse aber noch lange nicht auf. In einer Broschüre des Robert Koch-Instituts (RKI) und des statistischen Bundesamtes erschien jetzt eine Studie, in der die kommunikativen Fähigkeiten von Ärzten in acht europäischen Ländern getestet wurden. Deutschland erreichte dabei Platz sieben. Nur polnische Ärzte sind noch unkommunikativer. Die Patientengespräche deutscher Hausärzte sind besonders kurz. Knapp acht Minuten dauern sie im Schnitt. Nicht einmal zwei Minuten davon spricht der Patient. Außerdem sind die Gespräche viel zu wenig am Patienten orientiert, dafür zu sehr von medizinischen Fachausdrücken geprägt.

Dabei seien Gespräche die einzige Möglichkeit, Patienten davon zu überzeugen, sich auf Therapien wirklich einzulassen, sagt der Ärztekammerpräsident Jonitz. Und vor allem: um gesundheitsschädliches Verhalten zu ändern. „Wenn die Kommunikation nicht funktioniert, werfen Patienten ihre Tabletten in die Toilette und brechen die Behandlung ab.“ Außerdem – und das ist eine weitere Erkenntnis der RKI-Veröffentlichung – leidet ein Drittel der Hausarztpatienten mehr unter seelischen als körperlichen Problemen, was das ärztliche Gespräch zum „wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Instrument“ macht.

Allerdings – und das hat die neue Hinwendung zum Patienten vielleicht auch bedingt – wird es in Zukunft nicht nur für den Patienten, sondern auch für den Arzt wichtig sein, wie er die Menschen behandelt, die mehr und mehr zu Kunden werden. Denn in Zeiten, in denen diese immer mehr Auswahl unter Ärzten und Kliniken haben, die wiederum aggressiv werben, wandern die Patienten auch ab – und geben ihr Geld woanders aus.

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