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Berlin: Verteidiger des Glaubens

Sektenbeauftragter Thomas Gandow hört auf – ohne Nachfolger in der evangelischen Landeskirche

Im Februar 1978 war Berlin geschockt: Zwei junge Menschen verbrannten sich vor der Gedächtniskirche. Erika R. und Helmut K. waren Anhänger der Gurubewegung „Arnanda Marga“ und wollten gegen die Inhaftierung ihres Anführers in Indien protestieren. Auch die evangelische Kirche reagierte auf den Flammentod: Noch im selben Jahr schuf die Landessynode die Stelle eines Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen. Thomas Gandow, damals junger Pfarrer, wurde ausersehen, sich schwerpunktmäßig mit Kulten, Psychogruppen und Esoterikern zu beschäftigen und seine Kirche gegen Lehren zu verteidigen, die dem christlichen Glauben widersprechen.

33 Jahre später freut sich Thomas Gandow auf das Wochenende. Das Büro im ersten Stock des Gemeindehauses der Zehlendorfer Gemeinde „Zur Heimat“ ist schon aufgeräumt, denn der weißhaarige Theologe mit dem stoppeligen Vollbart geht am Sonnabend in Pension. Mit einem Fest im Garten des Gemeindehauses soll er verabschiedet werden, „anschließend kümmere ich mich um meine Schafe“, sagt er. Vor einigen Jahren ist er ins Brandenburger Land gezogen, in das alte Pfarrhaus eines Flämingdorfes. Zusammen mit seiner Frau Ute setzte er sich für die Restaurierung und Wiederbelebung der alten Dorfkirche ein. Natur und Landschaft boten Entspannung: Schließlich führte Gandow oft lange Seelsorgegespräche mit verzweifelten Eltern, die ihre Kinder an einen fernöstlichen Guru oder Scientology verloren hatten. Die Beratung von Aussteigern gehörte ebenso zu seinem Alltag wie das profilierte öffentliche Auftreten als Experte in Zeitungsinterviews und Talkshows. Und einmal war sogar Gandows Leben in Gefahr, als ein Scientology-Mitglied versuchte, den verhassten Gegner von der Autobahn zu drängen.

Aber auch zahllose Gottesdienste und Vorträge gehörten zum Dienst des Pfarrers. Und die stille Freude, wenn es wieder einmal gelang, die Vermietung kirchlicher Räume an Esoteriker zu stoppen, oder die Ansiedlung eines Sektenzentrums in Brandenburg zu verhindern. „Die Sekten sind nicht weniger geworden“, bilanziert Gandow. „Sie sind auch nicht weniger gefährlich geworden.“

Der Pfarrer ist stolz darauf, dass Scientology „in Berlin nie richtig Fuß fassen konnte“. Auch die Eröffnung einer neuen Bundeszentrale habe ihnen nicht viel gebracht. Mit der Aufklärung dürfe man trotzdem nicht nachlassen, mahnt er. Nicht zuletzt der Fall eines brandenburgischen Bürgermeisters, der öffentlich für Scientology geworben habe, zeige, dass immer wieder Menschen auf die Organisation hereinfielen.

Doch wie es mit Gandows Stelle weitergeht, ist noch nicht entschieden. Die evangelische Landeskirche denke über eine „Neukonzeption“ der Sekten- und Weltanschauungsarbeit nach, sagt ihr Pressesprecher Volker Jasztrembski. Vor einiger Zeit hatte die Landessynode darüber diskutiert, die Zahl der landeskirchlichen Beauftragten zu reduzieren – auch die Position des Sektenbeauftragten stand damals zur Debatte. „Jetzt ist meine Stelle aber eine von der Synode eingerichtete Pfarrstelle, die nicht gestrichen ist“, sagt Gandow. „Sie sollte zügig wieder besetzt werden.“ Denn in der Sektenarbeit gehe es immer auch um Kontakte und Erfahrungen – und bis ein Nachfolger in die Ergebnisse von 33 Jahren Sekten- und Weltanschauungsarbeit eingearbeitet sei, werde wohl einige Zeit vergehen. Benjamin Lassiwe

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