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Berlin: Verwirrung um Pockenimpfstoff

Einsatz gegen Viren nur bei konkreter Gefahr

Die für einen möglichen terroristischen Angriff bereitgehaltenen Impfstoffe gegen Pocken sind voll wirksam. Dies versicherten gestern Experten der Gesundheitsverwaltung und des Bundesamtes für Sera und Impfstoffe (Paul-Ehrlich-Institut, PEI). Sie widersprachen damit in Berlin kursierenden Gerüchten und Befürchtungen, dass die Impfstoffe eine abgelaufene Haltbarkeitsdauer hätten. Auch beim Tagesspiegel riefen besorgte Berliner an, die dies von ihrem Arzt gehört hatten.

„Diese Ärzte hätten ihren Patienten lieber sagen sollen, dass es keinen prophylaktischen Pockenschutz gibt oder geben wird“, hieß es beim Paul-Ehrlich-Institut im hessischen Langen: „Kein Arzt kommt in Deutschland derzeit an den Impfstoff heran.“ Die von der Bundesregierung beschafften sechs Millionen Dosen – die für 24 Millionen Menschen reichen – sind allein für den Notfall eines terroristischen Angriffs mit Pockenviren bestimmt. Gegen eine vorbeugende Impfung sprechen die massiven, vielfältigen und nach Alter völlig unterschiedlichen Nebenwirkungen. „Die möglichen Nebenwirkungen einzeln zu nennen, würde einen Roman füllen“, sagte eine Expertin. „Die gehen bis zum Tod“, sagte der PEI-Präsident Johannes Löwer gestern dem Tagesspiegel.

Hintergrund der Gerüchte ist, dass die Zulassung des Impfstoffs abgelaufen ist. Die alte Zulassung war 1991 abgelaufen, weil die Krankheit 1980 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für ausgerottet erklärt wurde. Die im November 2001 von der Industrie gekauften sechs Millionen Dosen sind deshalb 20 Jahre alt. „Sie sind aber genauso wirksam wie vor 20 Jahren“, versichert PEI-Präsident Löwer. Wieso beim PEI noch kein Antrag auf erneute Zulassung des Mittels gestellt wurde, konnte er nicht sagen. In Berlin hieß es, dass die Nebenwirkungen zu stark seien. „Der gelagerte Impfstoff genügt nicht mehr modernen Ansprüchen“, bestätigte auch Professor Löwer. Ein neuer Stoff mit geringeren Nebenwirkungen stehe aber erst in mehreren Jahren zur Verfügung. Pocken sind eine hochgradig ansteckende Infektionskrankheit, verursacht durch Viren. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sah die Bundesregierung eine Bedrohung durch Terroristen, die theoretisch an Pockenerreger gelangt sein könnten. Angeblich glauben Geheimdienste, dass Staaten wie Nordkorea und der Irak im Besitz von Pockenviren sind. Offiziell bestätigt ist nur, dass die USA und Russland den Virus noch in Hochsicherheitslaboren aufbewahren.

Die in Deutschland an geheimen Orten gelagerten Impfstoffe würden „erst im alleräußersten Notfall“ aus den gesicherten Lagern geholt. „Wir impfen nur bei einer konkreten auf Berlin bezogenen Gefahr“, hieß es bei der Senatsgesundheitsverwaltung. Nach dem Seuchenalarmplan müssten die 3,4 Millionen Berliner innerhalb von vier Tagen geimpft werden. Denn vier Tage habe man Zeit, um nach einem Viruskontakt einen Menschen schützen zu können. Um ganz Berlin zu schützen, müssten 3000 Ärzte vier Tage lang täglich jeweils 300 bis 400 Menschen impfen, sagte Roswitha Steinbrenner von der Gesundheitsverwaltung – also im Minutentakt. Die Ärzte sind noch nicht benannt, „die müssten wir rekrutieren“. „Jeder Arzt kann impfen“, sagte Steinbrenner. Ob der Stoff auch in Berlin gelagert werde, wisse man nicht.

Informationen der Weltgesundheitsbehörde im Internet unter: www.who.int/emc/diseases/smallpox/

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