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Grüne Woche: Veteran der Woche

Einst brachte er Obstler mit, jetzt ein Restaurant. Rudolf Painsi fährt seit fast vier Jahrzehnten zur Messe.

Erinnerungen verschwimmen leicht, doch eine Sache weiß Rudolf Painsi auf Anhieb: die wievielte Grüne Woche gerade stattfindet. „Das hier ist die 75., aber im Krieg fiel sie ein paar Mal aus“, sagt er. Der 68-jährige Österreicher war inzwischen bei mehr als der Hälfte aller Grünen Wochen dabei. Seit genau 38 Jahren verkauft er Produkte aus dem Alpenland auf der Messe. Rudolf Painsi ist der Veteran der Grünen Woche, die in diesem Jahr, am heutigen Donnerstag, ihren 30 000 000. Besucher empfängt.

Der Mann aus Graz steckt voller Anekdoten, die er gern genussvoll und umständlich erzählt. Nur: „Ich hab’ da ein bisschen den Zeitbegriff verloren“, sagt Painsi in singendem Österreichisch, mit Großvaterstimme.

Also serviert Painsi eine Russengeschichte, ohne genaues Datum: „Das war etwa zur Zeit des Viermächteabkommens. Da kamen betrunkene russische Soldaten auf die Messe, nach ihrem Dienst im Kriegsverbrechergefängnis Spandau, wo sie im Wechsel mit französischen, englischen und amerikanischen Soldaten Rudolf Hess bewachten.“ Bis 1987 saß der „Stellvertreter des Führers“ dort in Haft. Der Messedirektor sei fast ein bisschen in Panik geraten – bis schließlich einige Messehostessen die Soldaten ablenkten. „Und alles ging gut.“

Angefangen hat Painsi ganz klein: Nur Schinken, Bier und Obstler hatte er im ersten Jahr im Angebot. „Und heute bin ich der Größte“, sagt er. 25 Leute arbeiten für ihn, 350 Quadratmeter hat sein Stand in der Österreichhalle (15.1). Den größten Teil nimmt ein Restaurant ein, in dem lange Bierbänke zwischen hellen Holzbalken stehen. Heurigen Wein kann man hier trinken, Almdudler, Wiener Kaffee mit Sahne und „das beste Bier Österreichs“ namens Gösser. Auf der Rückseite des Restaurants brutzeln Tiroler Gröstl, Steirisches Wurzelgemüse und Schinken-Sahne-Nudeln in riesigen Pfannen. Und dann die meterlange Schinkenplatte! Die ist auch auf vielen der alten Fotos zu sehen, die Painsi auf einem Biertisch ausbreitet. Darauf etwa: Richard von Weizsäcker, der mit einer Hand ein Stück Schinken in den Mund steckt. Daneben ein viel jüngerer Painsi mit dunkelbraunen statt hellgrauen Haaren. Auf einem anderen Foto ist Karl Carstens zu sehen, auch mit Schinken, auch mit Painsi. „Ich hatte fast alle Bundespräsidenten am Stand“, sagt der stolz.

Und dann die Geschichte mit Landwirtschaftsminister Josef Ertl. „Der eröffnet immer die Grüne Woche und konnte beim Rundgang nicht nein sagen, wenn ihm jemand einen Schnaps anbot. Am Ende war er dann jedes Mal sternhagelvoll und musste sich erst mal auskurieren. Aber in der Zeitung stand am nächsten Tag, er hätte eine Muschelvergiftung.“ Der wichtigste Politiker in Painsis Leben war jedoch jemand anderes. In seinem Restaurant in Österreich bewirtete er einmal eine offizielle DDR-Delegation. Als er wieder zu Hause war, sah er sich den Stapel der eingesammelten Visitenkarten genau an und fand die Karte von „Dr. Dr. Günter Mittag“, ZK-Sekretär der SED für Wirtschaftsfragen der Planwirtschaft. „Die habe ich dann in meinen Reisepass gelegt und immer, wenn es bei der Reise durch die DDR zur Grünen Woche Probleme gab, hat dieses kleine Stück Papier alles geregelt.“ Unfreiwillige Wirtschaftshilfe sozusagen.

Heute liegt die Karte bei ihm zu Hause in Graz im Schrank. Alles ist viel ruhiger geworden für Painsi. Früher war er auf 26 Messen und Festen pro Jahr in ganz Deutschland unterwegs. „Jetzt mache ich nur noch acht. Ich bin ja eigentlich schon im Ruhestand, aber zu Hause fällt mir die Decke auf den Kopf.“ Noch mindestens zwei Mal will er aber zur Grünen Woche kommen – und so die 40 vollmachen.

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