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Videoüberwachung

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Videoüberwachung: Der kamerataugliche Bürger

Terrorgefahr, Jugendgewalt, Vandalismus – Sicherheit ist mehr denn je gefragt. An der verstärkten Videoüberwachung stört sich darum kaum noch jemand.

Manche sieht man gleich, manche ahnt man, manche entdeckt man nur, wenn man sie sucht. Videokameras sind längst überall im öffentlichen Raum. Verwaltungsgebäude werden videoüberwacht, die Eingänge von besseren Anwaltskanzleien oder großen Wohnhäusern in Gegenden, die als unsicher gelten. In Geschäftsräumen schweben kleine Kameras filigran unter der Decke, vor den Mauern der Botschaft stehen sie auf meterhohen Masten und starren einen an. Keiner weiß, wie oft er jeden Tag gefilmt wird, wenn er in Berlin unterwegs ist. Alle sagen: Videoüberwachung dient der Sicherheit. Innensenator Ehrhart Körting sieht das so, die Mieter im Neuköllner Rollbergviertel, wo vor Jahren ein Polizist erschossen worden ist, sehen es auch so.

Im Rollbergviertel machen sie inzwischen konsequente Sicherheitspolitik. 16 Videokameras sind in Außenbereichen und in einigen Häusern installiert, zwischen 18 und zwei Uhr nachts patrouilliert ein Sicherheitsdienst. Dagmar Neidigk, Sprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, sagt, dass Vadalismusschäden um 40 Prozent zurückgegangen seien. Dass sich Mieter überwacht fühlten, hört sie kaum. Immer seltener würden die Sicherheitsleute telefonisch alarmiert: Das zeige, dass die Lage im Viertel viel besser geworden sei.

Stadt und Land ist nicht die einzige Wohnungsbaugesellschaft, die auf Videoüberwachung setzt. Auch die Degewo hat damit gute Erfahrungen gemacht. Private Streifendienste und Wachschützer patrouillieren in Wohngebieten. Ab Oktober könnten sie auch vor einer Reihe von Neuköllner Schulen stehen. Bildungsstadtrat Wolfgang Schimmang will damit vor allem der Gewalt unter Schülern entgegenwirken. Von den 70 Schulen im Bezirk haben laut Schimmang 21 Interesse an den Posten am Eingang bekundet.

Security-Firmen sichern Groß-Ereignisse wie die Fan-Meile und stehen in Megastores für elektronisches Spielzeug Posten. Keiner weiß, wie viele Videokameras in der Stadt in Betrieb, wie viele Sicherheitsleute auf Patrouille sind. In London, der Videoüberwachungsmetropole, sollen vier Millionen Kameras surren, so Jan Wehrheim, der für die Bundeszentrale für politische Bildung über Videokameras und Sicherheit geschrieben hat. Jeder Londoner werde jeden Tag durchschnittlich 300 mal gefilmt, schreibt er.

Hier in Berlin hängt es davon ab, wo man unterwegs ist. Wer sich durch Mitte bewegt, wird gerät häufiger ins Visier von Kameras als in Lichterfelde. Wer durch die Geschäfte in den Arkaden am Potsdamer Platz bummelt, wird ständig abgelichtet. Mal weist ein Schild am Geschäftseingang darauf hin – mal nicht. Außerdem sind die Männer von „Eskort“ unterwegs. In blauen Hemden mit Schulterklappen und „Security“-Aufnähern schlendern sie durch das Center, geben freundlich Auskünfte und sprechen auch mal ein „Hausverbot“ aus. Sie sind da, man weiß es, auch wenn man sie nicht sieht. Sie passen auf, dass die Regeln eingehalten und die Hausordnung beachtet wird. Weil sie das tun, wird man in den Arkaden zum Beispiel nicht angebettelt.

Die Berliner haben sich an die Videoüberwachung ebenso gewöhnt wie an die allgegenwärtigen Wachschützer. Das Gefühl dauerhafter Kontrolle scheint niemanden zu stören. „Videoüberwachung – zu Ihrer Sicherheit“, liest man beim Betreten des Kulturkaufhauses Dussmann – als liefe man sonst Gefahr, beim Krimilesen erstochen zu werden. Anderswo steht brüsk „Videoüberwachung“ am Eingang. Am Musikinstrumentenmuseum liest man: „Achtung Videoüberwachung“. Ein paar Meter weiter wird der Besucher der Staatsbibliothek wort- und buchstabenlos durch eine weiße Kamera auf blauem Grund auf die Überwachung hingewiesen. Das verstehen auch alle, die des Lesens oder der deutschen Sprache nicht kundig sind.

Wer am Finanzministerium vorbeikommt, wird angesichts der Penetranz der Kameras kaum auf die Idee kommen, per Graffito auf der Mauer eine Steuerreform anzumahnen. Unverhohlener als hier fixieren nur die klobigen Geräte an der russischen Botschaft Unter den Linden jeden, der das Gebäude passiert.

Schräg gegenüber haben Kameras alles im Blick, was sich vor den Bürogebäuden des Deutschen Bundestags abspielt. Ausgerechnet der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, musste die Bundestagsverwaltung darauf hinweisen, dass die Kameras nicht bloß den Eingangsbereich der Gebäude und die feine Fassade im Blick hatten. Auch die Tische und Stühle eines benachbarten Restaurants waren im Visier der Bundestagssicherheitstechnik. „Die Kontrolle einer Kamera ergab, dass jeder Gast im Außenbereich dieses Restaurants erkannt werden konnte“, heißt es im Bericht 2005/2006 des Bundesdatenschutzbeauftragten. Er habe veranlasst, dass die Kameras erst abends aktiviert werden.

Man muss kein prominentes Gesicht haben, um die Dauerüberwachung bedenklich zu finden. Der Bundesdatenschutzbeauftrate sagte vor kurzem in einem Interview, der Rechtsstaat drohe, sich selbst seine Grundlage zu entziehen, indem er seine Offenheit verliere.

Oder? Man gewöhnt sich daran. So lange keiner weiß, wer die Videobilder sieht, bleibt das Gefilmtwerden eine abstrakte Angelegenheit. Doch längst ist ein weiterer aufmerksamer Beobachter an edleren Hauseingängen im Einsatz, der Doorman oder Concierge. Er soll, wenn er seinen Job zur Zufriedenheit der Hausbewohner macht, über diese besser informiert sein, als mit städtischer Anonymität vereinbar ist. Das Zeitgefühl besagt: Sicherheit ist ein hohes Gut. Die Aufrechterhaltung der Ordnung bedarf technischer und personeller Unterstützung. Und die meisten Leute meinen, nichts zu verbergen zu haben.

Das war mal ganz anders. Vor gut zwanzig Jahren gab es noch eine Volksbewegung gegen die Volkszählung. Damals schien die Hälfte aller politisch bewussten West-Berliner gerade abermals George Orwells Buch „1984“ gelesen zu haben. Dass der Senat korrekte Daten haben wollte, galt vielen als dreister Übergriff eines Überwachungsstaats, dem man im ummauerten Berlin nur durch Laxheit und Unzuverlässigkeit im Meldewesen meinte entkommen zu können. Zehn Jahre später, 1997, diskutierte man in der Stadt über die Videokameras an so genannten gefährlichen Orten wie dem Breitscheidplatz – und in allen U-Bahnhöfen. Weitere knapp zehn Jahre später war es so weit: „Bitte recht freundlich – Berlins U-Bahnsteige werden jetzt rund um die Uhr videoüberwacht – zunächst aber nur auf drei Linien“, hieß es in dieser Zeitung im Februar 2006. So viel zum Tempo, mit dem sich in Berlin der Überwachungsstaat breit gemacht hat.

Seit Anlagen und Züge der Bahn in Deutschland für Terroristen interessant geworden sind, seit Flughäfen als gefährdete Orte gelten, stellt die Kameraüberwachung niemand mehr in Frage. Auch bei der BVG gilt die Video-„Aufzeichnung“ als Gewinn für die Sicherheit. Bis zum Ende dieses Jahres sollen alle U-Bahnhöfe mit Kameras ausgestattet sein, die automatisch nach 24 Stunden alle gespeicherten Bilder löschen – es sei denn, es gab „einen Vorfall“. Ganz sicher bieten die Aufzeichnung die Chance, Verbrechen schneller aufzuklären, wie man seit einigen traurigen Vorfällen weiß.

Ob die Dauerüberwachung objektiv der Sicherheit dient – darüber kann man kaum streiten. Kriminalitätsforscher sagen: Videokameras schrecken diejenigen ab, die eine Sachbeschädigung im Sinn haben – gegen Gewalt und Brutalität helfen sie nicht. Dem jungen Mann, der in einem BVG-Bus niedergestochen und getötet worden ist, nutzte die Überwachung des Fahrgastraums nichts.

Und doch steigt die Nachfrage ständig, wie Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen sagen: Immer mehr Leute wollen in immer mehr Räumen Kameras. Gleichzeitig verzeichnete der Berliner Datenschutzbeaufragte bei der Zahl der Beschwerden gegen die Überwachung des nichtöffentlichen Bereichs von 2003 bis 2006 eine Zunahme um die Hälfte. Doch es ist die Skepsis einer Minderheit. Die große Mehrheit hat nichts dagegen, zumindest in der U-Bahn videoüberwacht zu werden. Das fand das Meinungsforschungsinstitut Forsa vor kurzem heraus. Derweil weitet der Staat im Windschatten des Sicherheitsbedürfnisses seiner Bürger seinen Beobachtungsradius aus: Die Polizei sammelt laut Innensenator Körting derzeit Erfahrung mit Geräten, die Autokennzeichen erfassen. Auch das dient sicher der Sicherheit.

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