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Berlin: „Videoüberwachung fördert Wegsehen“

Im Streit um Kamerakontrollen bei der BVG wurde Berlins Datenschutzbeauftragter viel gescholten Dennoch kämpft Alexander Dix weiter für den Schutz der Privatsphäre und die Informationsfreiheit

Herr Dix, wie viele Kundenkarten und sonstige Chipkarten mit persönlichen Informationen tragen Sie in Ihrer Brieftasche?

Ich habe eine Kundenkarte, die habe ich mir zugelegt, nachdem ich mich davon überzeugt habe, dass meine Daten nicht zweckentfremdet werden. Außerdem habe ich zwei Kreditkarten und eine EC-Karte.

Wie kann sich ein Normalverbraucher gegen Missbrauch der Daten auf diesen Karten schützen?

Genau dafür gibt es uns als Aufsichtsbehörde für den Datenschutz. An uns kann sich jeder wenden. Wir haben das Recht, Unternehmen zu überprüfen und in extremen Fällen die Datenverarbeitung zu untersagen.

Zu welchem Missbrauch beim Umgang mit Chipkarten und privaten Daten kommt es in Berlin?

Es gibt immer wieder Beschwerden. Viele Bürger fragen an, auf was sie achten müssen. Wir sagen dann: Jeder Kunde sollte sich das Kleingedruckte ansehen, und nicht besinnungslos unterschreiben, weil es etwas gratis gibt.

Wann sind in Berlin zum letzten Mal persönliche Daten von Bürgern missbraucht worden, und von wem?

Der Datenschutz ist nicht erst dann verletzt, wenn Missbrauch betrieben wurde. Sondern es ist auch die Frage, was als Zweck der Datensammlung angegeben wurde und ob die Behörden sich an diesen Zweck halten. Wie problematisch das sein kann, hat sich gerade bei der Autobahn-Maut gezeigt.

Können Sie konkrete Missbrauchsfälle nennen?

Ein größeres Thema beschäftigt uns seit einigen Jahren: Die Vermieterfragebögen. Viele Vermieter fragen Bewerber nach Staatsangehörigkeit, Einkommen oder dem Arbeitgeber, bevor sie überhaupt eine Wohnung bekommen. Aber das sind Informationen, die laut Bundesdatenschutzgesetz gar nicht erhoben werden dürfen.

Kommen wir zu einem aktuellen Streitthema: Was haben Sie gegen die Aufbewahrung von Daten aus Videokameras der BVG, die der Sicherheit der Fahrgäste dienen soll? Ist es in Berlin jemals zu einem Missbrauch von Videoaufzeichnungen gekommen?

Nein, bisher nicht. Aber damit können wir uns nicht zufrieden geben. In Großbritannien sind Videomitschnitte aus solchen Kameras im Privatfernsehen gezeigt worden. Deswegen muss man auch in die Zukunft schauen, welche Gefahren drohen.

Für die BVG und den Innensenator sind Sie der Blockierer, der einen besseren Schutz der Bürger im Nahverkehr verhindert?

Das stimmt nicht. Wir sind nicht diejenigen, die für die Sicherheit im Nahverkehr verantwortlich sind. Die Verantwortung dafür und auch für die Datenverarbeitung liegt bei der BVG. Wir beraten nur und können Gesetzesverstöße beanstanden. Die BVG kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen, sondern muss die Initiative übernehmen. Wie auch bei jenem Pilotprojekt, dem ich vergangenes Jahr zugestimmt habe, bei dem in den U-Bahnen Videoaufnahmen länger aufgezeichnet werden. Aber was den Mord im Bus im Dezember angeht, bin ich der festen Überzeugung, der wäre auch durch eine Videoaufzeichnung nicht verhindert worden.

Aber die Fahndung nach dem Täter wäre vielleicht einfacher gewesen.

Auch das bezweifle ich. Der Täter hatte eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Die Phantomzeichnung, mit deren Hilfe der Mann ergriffen wurde, konnte man nur anfertigen, weil die Freundin des Opfers dem Täter ins Gesicht schauen konnte. Kameraaufzeichnungen wären hier sinnlos gewesen.

Dennoch gibt es auch andere Fälle, in denen Straftäter anhand von Kameraaufzeichnungen identifiziert werden konnten.

Das will ich ja auch nicht ausschließen. Aber man muss auch beachten, dass eine flächendeckende Einführung von Videoüberwachung die Unkultur des Wegsehens fördern würde. Das heißt, die Leute würden sich darauf verlassen: Die BVG hat das alles auf Film, da muss ich mich um meinen Nachbarn nicht mehr kümmern. Aber so ein technisches System führt ja nicht dazu, dass in Sekundenschnelle eingegriffen wird, sondern kann höchstens einen Strafanspruch durchsetzen.

Wäre es nicht Ihre Aufgabe als Datenschutzbeauftragter zu sagen: Welche rechtlich zulässigen Maßnahmen können helfen, das Leben der Menschen sicherer zu machen, statt immer nur eine verschärfte Überwachung zu verhindern?

Ich kenne keinen Fall, in dem der Datenschutz die Strafverfolgung verhindert hat. Deswegen habe ich kein Verständnis für diesen Pauschalvorwurf, Datenschutz sei Täterschutz. Die Erfordernisse der Strafverfolgung sind mit dem Datenschutz vereinbar. Auch haben wir nie gesagt, dass der Datenschutz in jedem Fall Vorrang haben muss.

Innensenator Ehrhart Körting hat nach dem Mord in dem Bus zusammen mit der BVG über Ihren Kopf hinweg durchgesetzt, dass die Videoaufnahmen in Bussen länger gespeichert werden. Hat Körtings Vorpreschen Sie verärgert?

Ich war erstaunt, weil ich den Eindruck hatte, Herr Körting wolle meine Arbeit übernehmen. Er hat mir aber jetzt versichert, dass er das nicht vorhat.

Sie sind seit sechs Jahren auch Schiedsstelle für die Anwendung des Informationsfreiheitsgesetzes im Land Berlin. Was bringt das den Bürgern?

Es gibt den Bürgern mehr Möglichkeit, Einfluss auf das Gemeinwesen zu nehmen. Bis zur Einführung des Gesetzes konnte sich die Verwaltung auf den Stand stellen: Wenn der Bürger Informationen haben will, muss er sein Interesse darlegen, dann denken wir darüber nach, was wir herausgeben. Jetzt ist es so, dass die Verwaltung es gegenüber dem Bürger begründen muss, wenn sie die Herausgabe von Informationen verweigert.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Zum Beispiel wollte ein Journalist nachträgliche Einsicht in Klaus Wowereits dienstlichen Kalender haben. Das wurde zwar verweigert, und der Fall ist noch vor dem Oberverwaltungsgericht anhängig. Das zeigt aber, dass der Staat nun ganz grundsätzlich transparent ist und besonders begründen muss, wenn das nicht der Fall sein soll. Seit Jahresbeginn gibt es endlich auch ein Bundes-Informationsfreiheitsgesetz, das für Bundesbehörden gilt.

Das Gespräch führten Klaus Kurpjuweit und Lars von Törne

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