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Berlin: Viel Vergnügen, Genossen!

Wenn das Volk lacht, macht es keine Revolution, sagte ein DDR-Funktionär, wenn sich jemand über kritische Nummern beschwerte. Das Volk lachte sich kaputt. Mit dem 133. Programm feiert die „Distel“ in der nächsten Woche 60 Jahre Kabarett.

Die meinen das wirklich ernst, diese Lustbolzen und Spaßvögel der „Distel“ im Admiralspalast am Bahnhof Friedrichstraße: „Mit 60 hat man noch Träume“ bekennen sie in ihrem Jubiläumsprogramm, das am 2. Oktober Premiere hat. „Endlich Visionen!“ ist der Titel. Die Politik sei ideenlos und Merkel knochentrocken pragmatisch. Deshalb blickt das Kabarett-Theater mutig und optimistisch 60 Jahre voraus: Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Mal gucken, wo wir in 60 Jahren stehen, sitzen, liegen oder fliegen. Das kann ja heiter werden. Oder auch nicht. Wenn die Distel auf die Stunde genau 60 Jahre nach ihrer Geburt am 2. Oktober 1953 spökenkiekerisch tätig wird und als Wahrsagerin verrückt spielt, liegen sechs aufregende Jahrzehnte hinter ihr. Die Distelfinken haben in dieser Zeit mehr erlebt als jene Kollegen in den Staatstheatern ringsum, die immerzu edle Texte zwischen Arturo Ui, Kabale und Liebe und Faust zu sprechen und zu spielen hatten. Zum Beispiel: Brecht sagt im Galilei „Groß ist nicht alles, was ein großer Mann tut“. Der Mime spricht das textgetreu jeden Abend, aber was könnte ein Kabarettist daraus machen! Er deklamiert und improvisiert, er extemporiert und zieht die großen Männer auf seine Weise durch den Kakao. Kabarett braucht die Freiheit der Worte, kluge Ohren und das Lachen der Zuhörer.

Die Distelleute haben 37 von 60 Jahren, also mehr als die Hälfte ihres Lebens, unter seltsamen Verhältnissen gespielt, gedacht, gestachelt und gelitten. Vorsicht, frisch gebohnert! Im Sozialismus war ein Kabarettprogramm für die da oben die reinste Angstnummer. Spott konnten die schon gar nicht ertragen, auf den Arm genommen werden durfte nur der böse Klassenfeind, und beim Lachen über sich selbst hörte bei den Funktionären der Spaß auf, bei den Kabarettisten (und beim Publikum) fing er da erst richtig an. So schaukelte man sich im Lustschiff an der Weidendammer Brücke durch harte und weiche Zeiten.

Schon die Geburt war komisch: Die Berliner Rias-Hörer lachten sich halb tot über den Professor Kwatschni, olle Pollowetzer und die beiden Damen mitten auf dem Kurfürstendamm. Günter Neumanns „Insulaner“ waren quasi die Erzeuger der Distel. Der (Ost-)Magistrat schrieb 1953 in den Vertrag für den ersten Distel-Direktor Erich Brehm, er möge „die Mittel der Satire im Kampf um die Einheit Deutschlands und einen dauerhaften Frieden wirksam werden lassen“. Na, viel Vergnügen, Genossen. Das erste von inzwischen 133 Programmen beruhigte dann auch gleich die Gemüter. Es hieß tröstlich: „Hurra, Humor ist eingeplant.“ Wenn das Volk lacht, macht es keine Revolution, antwortete ein Funktionär jenen Genossen, die sich über innenpolitisch kritische Nummern beschwerten. „Das Kabarett war politisch gewollt, aber nur nach der Methode: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“, sagt Edgar Harter, der seit 1975 bei der Distel spielt. „Hier konnte der Zuschauer seinen Frust über Unzulänglichkeiten des Alltags und des Systems weglachen. Unsere gesellschaftliche Funktion war offenbar, Druck aus dem Kessel zu nehmen.“

Größere Probleme mit der Schere im Kopf hatten die Autoren. Der kürzlich verstorbene Peter Ensikat meinte einmal: „Der erste Zensor saß immer neben mir an der Schreibmaschine und sagte, noch bevor der kritische Gedanke auf dem Papier war: Das kriegst du doch sowieso nicht durch.“ Wo waren da die Grenzen? Walter Ulbricht sah sich im September 1964 ein Programm an, klatschte lange, trank im Presseclub im 1. Stock noch ein Bier und sagte zu seiner Frau: „Komm, Lotte, wir gehen. Auf die kann man sich verlassen.“ Bei so einem Lob hätten sie eigentlich den Laden zumachen können, aber es kam noch schlimmer: Nationalpreis im Oktober 1961. Und auf dem berüchtigten 11. Plenum des SED-Zentralkomitees („Kahlschlag-Plenum“) sagt der Staats- und Parteichef über die Distel: „Sie dürfen doch nicht denken, dass wir uns weiter als Partei- und Arbeiterfunktionäre von jedem beliebigen Schreiber anspucken lassen. In Moskau gibts ja auch kein Kabarett.“ Und Oberbürgermeister Friedrich Ebert sekundierte: „Distel ist Unkraut und muss ausgerissen werden. Das ist Schizophrenie. Wir geben denen das Geld und die kritisieren uns dafür.“

So etwas bleibt nicht ohne Wirkung. Der Kabarettfreund fragte sich: Musste die Distel zu Kreuze kriechen und 1976 schreiben, dass „wir Biermann seit Jahren hinter uns gelassen haben“? Musste sie in Wandlitz vor dem Politbüro auftreten? Oder in einem Programm verkünden: „Der beste Rock für den Frieden ist immer noch der Waffenrock der NVA?“ Immerhin übte das Humor-Kollektiv auch Selbstkritik: „Unsere satirischen Pfeile sind gerade mal so scharf wie ein Tässchen Mitropa-Soljanka.“

Je mehr die DDR wirtschaftlich in Bedrängnis geriet, desto tiefer wurde der Born der Ideen für die Texter, das Rumoren im Volk bot immer neuen Stoff. Aber wie weit durften sie gehen? Bei jedem neuen Programm dackelte der Dramaturg zur SED-Bezirksleitung und zum Magistrat. Schließlich mussten auch die Texte durch klassenkampfgestählte Genossen von Partei und Magistrat genehmigt werden. Dabei wollte sich niemand den Mund verbrennen. Die Texter rauften sich die Haare. Und die Schauspieler nuschelten bei der Abnahme manche Passage weg, oder sie übererfüllten ihr Soll an ideologischer Reinheit, um ein paar kritische Nummern durchzubringen. Ein ewiges Katz- und Mausspiel um „positive Satire“ und das „parteiliche Lachen“. Dennoch oder deshalb blieben Distel-Karten monatelang im Voraus ausverkauft, und Komiker wie Gerd E. Schäfer, Lutz Stückrath oder Heinz Draehn waren Stars. Einer erinnert sich, wie eine Frau in der ersten Reihe mit einem Lachkrampf vom Sessel fiel. Die Feuerwehr brachte sie zur Unfallstation: „Welch ein Erfolg!“ In einer Veranstaltungsreihe ließ Edgar Kühlow vom Publikum einen neuen Text für die DDR-Nationalhymne kreieren, und was kam dabei heraus? Der ganze Saal sang „Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht, meine Oma, die hat keene, Zahngold gibts für Ostgeld nicht.“

Am 11. November 1988 sitzen die Zensoren in der Hauptprobe des Distel-Programms „Keine Mündigkeit vorschützen“. Einziger Kommentar: „Ihr habt uns mächtig angeschissen!“ Stunden später klingelt das Telefon: „Dies darf nicht aufgeführt werden.“ 400 Karten sind für die Generalprobe verkauft. „Sollen wir einen Volksaufstand von 400 enttäuschten Gästen in Kauf nehmen, hier, nahe der Grenze?“ fragen die Kabarettisten und dürfen ihre Nummern wenigstens einmal spielen. Die Karikaturistin Barbara Henniger hatte das Programmheft illustriert. „Es war der helle Wahnsinn“, erinnert sie sich, „am Ende gab es Standing Ovations, so toll hatten die Texte den Nerv der Zeit und der Zeitgenossen getroffen.“

Dann kommt die Wende, und trotz der Lobeshymnen von Egon Bahr, Dieter Hildebrandt und Günter Gaus fürs Brettl bleiben die Stammgäste weg. Die Sorgenfalten des Ostens kann kein Kabarettist glätten, die Distel wird abgewickelt, „der Existenzkampf, der früher mit der Zensur ausgetragen wurde, fand ab sofort an der Abendkasse statt“, sagte Peter Ensikat, der Intendant wurde, nachdem seine Vorgängerin als IM enttarnt worden war. Inzwischen trifft sich auf den roten Distel-Sesseln Ost und West, jeder kriegt sein Fett weg, vor allem die Regierung gleich nebenan. „Wir sind das größte Kabaretthaus Deutschlands“, sagt der künstlerische Leiter Martin Maier-Bode, „und Stoff gibt es genug. Die Arbeit ist nicht mehr so brisant wie einst, aber dafür leben wir in einem freien Land, in dem man alles sagen kann. Und das macht uns großen Spaß.“

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