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Berlin: Viele Ostbegriffe verschwinden - Das "Kollektiv" hat sich ins "Team" verabschiedet

Das erste Missverständnis zwischen Ost und West könnte es bereits heute morgen geben. Die zweitägige Konferenz "Vom Wendedeutsch zum Gesamtdeutsch" in der Humboldt-Universität soll um viertel Zehn beginnen.

Das erste Missverständnis zwischen Ost und West könnte es bereits heute morgen geben. Die zweitägige Konferenz "Vom Wendedeutsch zum Gesamtdeutsch" in der Humboldt-Universität soll um viertel Zehn beginnen. Einige in "West-Deutschland" sozialisierte Besucher werden vielleicht zu spät kommen, wenn ihnen nicht gesagt wird, dass sie um Viertel nach Neun eintreffen sollen. Der Wortschatz der ehemaligen DDR und dessen Überreste stehen im Mittelpunkt des Kongresses. Veranstalterin Ruth Reiher verspricht spannende Diskussionsrunden, denn: "Unsere Sprache hat sich auf allen Ebenen verändert."

Der Wilmersdorfer Linguist Norbert Dittmar von der Freien Universität spricht von einer "weitreichenden und subtilen Entfremdung in der Sprache". Die Unterschiede zwischen Ost und West seien - im Gegensatz zur abgerissenen Betonmauer - weiterhin in Berlin präsent. So sei auffällig, dass ehemalige DDR-Bürger ihre Sätze häufig umständlicher und formaler formulieren. Eigene Erlebnisse schildern sie mit dem Pronomen "man", während Westler öfter das Wort "ich" verwenden. Gleichzeitig sei im Osten ein lockererer Umgang mit Dialekten zu beobachten.

"Ich gehe nach wie vor mit dem Plastebeutel in die Kaufhalle", gesteht Linguist Klaus-Dieter Ludwig aus Prenzlauer Berg, der Veränderungen in gesamtdeutschen Wörterbüchern untersucht. Dagegen sei das in Ostdeutschland häufig benutzte Wort "Zielstellung" fast gänzlich vom Begriff "Zielsetzung" abgelöst worden. Insgesamt konstatieren alle Wissenschaftler einen starken Anpassungsdruck für die Ostdeutschen hinsichtlich der Sprache. Die Übernahme westlicher Sprachmuster wird etwa im zunehmenden Austausch des Modalpartikels "eben" durch den Begriff "halt" deutlich. Von ostdeutschen Worten bleibt nach einhelliger Einschätzung der Kongressteilnehmer höchstens eine Handvoll übrig. Bereits nahezu verschwunden sind die Ost-Worte "ablichten" (West: kopieren), "Kollektiv" (West: Team), "Nikki" (T-Shirt), "Polylux" (Overheadprojektor), "Popgymnastik" (Aerobic) oder "Zweiraumwohnung" (Zweizimmerwohnung). Die rasche Umstellung auf die westliche Ausdrucksweise sei für viele Ossis eine "Überlebensfrage", schätzt Ruth Reiher ein. Erhalten haben sich aber - bislang - die Begriffe "Broiler" für das westliche Brathähnchen, die "Datsche" (West: Wochenendhaus), "Feierabendheim" (Seniorenheim), "Kaufhalle" (Supermarkt), "Kindergarten" (Kita), "Kosmonaut" (Astronaut) oder "Lehrling" statt dem Azubi.Kongress heute und morgen an der Humboldt-Universität, Unter den Linden 6, (20 196 640). Beginn: jeweils 9 Uhr 15 Uhr.

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