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Tiergarten: Viktorias neue Kleider

Kein Kommerz, dafür „Be Berlin“: Bei der Sanierung der Siegessäule will der Senat die neue Bauordnung vorbildhaft umsetzen. Die Siegesgöttin bleibt auch während der Arbeiten weithin sichtbar.

Distanzierte Betrachter sehen nur eine Figur, Restauratoren dagegen eine Herausforderung. Gewaltige 8,30 Meter hoch ist die Viktoria, die die Siegessäule krönt. Das bedeutet allein 200 Quadratmeter, die es neu zu vergolden gilt – eine Oberfläche vom Ausmaß eines kleinen Baugrundstücks. Infolge von mehr als 20 Jahren Wind und Wetter seit dem letzten Kleiderwechsel ist längst nicht mehr alles Gold, was der Volksmund Else nennt. 1,2 Kilogramm des Edelmetalls sollen der Bronzeplastik neuen Glanz verleihen. Sobald es milder wird, beginnt die Grundsanierung der gesamten Siegessäule – und das auf vorbildliche Art und Weise, wie der Senat betont.

„Keine kommerzielle Verhängung“, bedeutet das nach den Worten von Senatssprecher Richard Meng. Das Gerüst um die Säule wird also nicht mit Colaflasche oder Telefonmodell verhängt, sondern mit einer kulturell unbedenklichen Kombination aus dem Abbild der Säulenfassade und einer „Röntgen-Aufnahme“, die Arbeiter im Inneren des Bauwerks zeigt. Die leicht durchscheinende Bespannung soll im März angebracht werden. Sie reicht so hoch wie der Säulenschaft; die Viktoria bleibt auch während der Arbeiten frei. Ergänzt wird die Hülle mit deutschen und englischen Sprüchen aus der Be-Berlin-Kampagne. „Sei frei, sei offen, sei Berlin“, macht den Anfang. Im Sommer soll ein fußballgemäßer Slogan folgen, anschließen irgendetwas, das über eine noch geheim gehaltene Mitmach-Aktion auserkoren werden soll. Nur auf dem Bauzaun am Sockel seien dezente Hinweise auf Sponsoren denkbar.

Mit seiner Entscheidung gegen den Kommerz will der Senat vorbildhaft die Bauordnung einhalten, deren Novelle er vor einer Woche beschlossen hat. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge- Reyer (SPD) verweist auf die „herausragende touristische Bedeutung“ des Ortes, der den Vorrang der Ästhetik gebiete. Auf welche Werbeeinnahmen das Land möglicherweise verzichtet, lässt sich nach Auskunft von Meng nicht beziffern, weil man gar keine Angebote eingeholt habe. Zum Ärger der FDP, deren Fraktionschef Christoph Meyer am Montag die Parole ausgab: „Bürgerbeteiligung und Einnahmetransparenz statt rot-roter Geschmackspolizei“. Er forderte vom Senat ein anderes Verfahren als die „freihändige Vergabe von Werbeflächen an sich selbst“. Meyers Vorschlag: Eine Internet- abstimmung, bei der die Bürger ihr Veto einlegen können – und je nach Beteiligung erhört oder ignoriert werden.

Die mit 4,3 Millionen Euro avisierte Komplettsanierung soll bis zum Frühjahr 2011 dauern, aber bereits Ende dieses Jahres soll die Aussichtsplattform wieder zugänglich sein. Die Sanierung wird von Land, Bund und aus EU-Töpfen bezahlt. Die Spuren der Geschichte wie die Einschusslöcher werden nicht getilgt, aber an historisch weniger bedeutsamen Stellen wird modernisiert: Die Ausstellungsräume im fensterlosen Sockel bekommen eine Lüftungsanlage, die Zugangstunnel werden besser beleuchtet und gegen Graffiti geschützt. Die Kanonenrohre der oberen (französischen) und mittleren (österreichischen) Reihe sind gut erhalten, die unteren (dänischen) stark korrodiert. Und bei Viktoria sind abgesehen vom verschlissenen Make-up nur ein paar Schrauben locker. Stefan Jacobs 

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