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Rechtsstreit: Vivantes will Frieden – und bietet 70 000 Euro

Der Klinikkonzern hofft auf eine außergerichtliche Einigung mit der Ex-Pflegerin, die nach jahrelangem Streit in Straßburg Recht bekam.

Es geht um die Ehre einer kämpferischen Altenpflegerin, den Ruf einer renommierten Klinikkette und um viel Geld: Der landeseigene Konzern Vivantes, der stadtweit 14 Pflegeheime betreibt, will den Fall um die gekündigte Pflegerin Brigitte Heinisch zwar „in Frieden“ abschließen, sagte Vorstandschef Joachim Bovelet am Dienstag. Deshalb habe man der 49-jährigen Berlinerin nach eigenen Angaben auch 70 000 Euro brutto angeboten. Doch es gilt als unwahrscheinlich, dass Heinisch die Summe akzeptieren wird.

Die Klinikkette hatte Heinisch 2005 fristlos entlassen, nachdem sie ihren Arbeitgeber wegen Pflegemängeln kritisiert und schließlich wegen Betruges angezeigt hatte. Der Anwalt der Ex-Pflegerin, Benedikt Hopmann, war am Dienstag wegen Urlaubs zwar nicht zu erreichen. Bisherige Aussagen Hopmanns und Heinischs deuten aber darauf hin, dass sich die Ex-Vivantes-Frau nicht mit 70 000 Euro zufriedenstellen lassen wird. Unbestätigten Angaben zufolge soll sie vielmehr rund 350 000 Euro brutto gefordert haben. Bei Vivantes wollte man diese Forderung nicht bestätigen, signalisierte aber, dass eine solche Summe im Vergleich mit anderen Abfindungen unangemessen hoch sei.

Die Pflegerin hatte gegen ihren Rauswurf erfolglos vor allen Instanzen geklagt. Andere etwaige Entlassungsgründe, etwa wegen krankheitsbedingten Dauerfehlens, hatten die Gerichte nicht beurteilt. Erst im französischen Straßburg bekam Heinisch vor einigen Wochen Recht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach in einem wegweisenden Urteil davon, dass Heinisch durch die Bundesrepublik in ihrem Recht auf Meinungsfreiheit beschnitten worden sei – und zwar weil deutsche Gerichte zugunsten ihres Ex-Arbeitgebers geurteilt hatten, nachdem sie Vivantes angezeigt hatte. Das öffentliche Interesse an mangelhafter Altenpflege wiege höher, urteilte Straßburg, als die Sorge des Arbeitgebers vor Rufschädigung.

Ob Gerichte der Ex-Pflegerin nun aber mehr als 70 000 Euro zusprechen würden, ist ungewiss: Heinisch hatte in den fast sieben Jahren seit 2005 andere Jobs und bezieht inzwischen Frührente – dies wird üblicherweise von etwaigen Verdienstausfällen abgezogen. Für die Ex-Mitarbeiterin bestünde jedoch die aussichtsreiche Möglichkeit, eine Wiedereinstellung zu erwirken: Zuletzt hatte es geheißen, Anwalt Hopmann wolle am 22. Oktober dieses Jahres, wenn das Straßburger Urteil rechtskräftig ist, ein Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg starten. Wahrscheinlich müsste Heinisch unter Berücksichtigung des Straßburger Urteils entsprechend ihren derzeitigen Fähigkeiten eine neue Stelle bekommen. Man sei darauf vorbereitet, hieß es bei Vivantes. Der Konzern beschäftigt 13 300 Mitarbeiter.

Heinisch hatte sich vor ihrer Entlassung bei der Heimleitung über vernachlässigte Bewohner und überforderte Kollegen beschwert – und Vivantes schließlich wegen Betruges an den Krankenkassen angezeigt, die für die Patienten zahlen. Der Zustand in den Vivantes-Heimen hat sich seitdem verbessert. Außerdem haben die Verantwortlichen gewechselt, auch Bovelet war 2005 nicht Vorstandsvorsitzender. Das Reinickendorfer Haus, in dem Heinisch tätig war, ist 2011 vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen, dem nichtstaatlichen Kontrollorgan der Versicherungen, überprüft worden. Es hat besser abgeschnitten als die meisten Berliner Heime.

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