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Berlin: Völlig abgebrannt

Alex J. wohnte in der Cuvrystraße 9. Dann brach das Feuer aus. Alles, was ihm blieb, passt in ein paar Tüten

Den Fan-Schal von Arsenal London hat er sich noch von der Polizei herausholen lassen. Und das Foto von seiner Ex. Die mit den roten Haaren. Was aus der Rasta-Locke seiner Ex-Ex geworden ist, weiß er nicht. Vielleicht verbrannt. Vielleicht vom Löschwasser davongespült. Alex J. steht vor seinem Haus und kann nicht rein, weil es versiegelt ist. Er hat eine Rewe-Plastiktüte mit Zeitungen in der Hand und eine Umhängetasche mit Wolldecke über der Schulter. Darin schleppt er herum, was ihm geblieben ist. Jetzt will er seine Freundin suchen, seine aktuelle. Die war mit ihm aus dem Fenster im ersten Stock gesprungen. Wo sie danach hin ist, weiß er nicht.

Alex, 36, lebte seit drei Jahren in dem Haus Cuvrystraße 9. Er bezieht zurzeit Arbeitslosenhilfe. Auf Stütze seien fast alle Mieter hier, sagen die Nachbarn. Dem Haus gehe ein Ruf voraus, heißt es. Kein guter Ruf ist das. Ein Bewohner soll im Knast sitzen, ein anderer wurde mal in die Nervenheilanstalt eingewiesen. Viel Trödel soll sich angesammelt haben, in einigen Wohnungen, aber auch ein paar wertvolle Sachen. Alex fragt sich vor allem, was aus seinen Lautsprecher-Boxen geworden ist. Gerade erst gekauft. Noch nicht mal ausprobiert. Und die Bilder von seinen Eltern. Hochzeitsfotos. Kinderfotos. Gerade erst aus Karlsruhe, wo die Eltern wohnen, nach Berlin geschafft. Alex erzählt das in einem merkwürdig gleichgültigen Ton. Er habe wohl noch nicht realisiert, dass vielleicht alles kaputt ist, verkohlt oder aufgeweicht. Alex vermutet, er stehe noch ein wenig unter Schock.

Als er am Montagvormittag bemerkte, dass das Haus brennt, sei er ganz ruhig geworden. Habe aus dem Fenster geschaut, zu den Nachbarfenstern, aus denen die Flammen schlugen. Habe seine Tasche genommen, auf die Feuerwehr gewartet und sei dann auf diese Sprungmatte gesprungen. Ziemlich hart müsse man sich so eine Matte vorstellen. Weil ständig Scherben aus den Fenstern fielen, schnitt er sich die Stirn auf. Seinen Kumpel Chris aus dem 4. Stock hat es übler erwischt. Der liegt mit Rauchvergiftung im Urban-Krankenhaus.

Die Umhängetasche, die er aus der Wohnung gerettet hat, ist seine „Nottasche“. Die hat er schon seit Jahren, für den Fall der Fälle. Mit allen Papieren drin. Und einem Radio zum Kurbeln, wenn der Strom ausfällt. Das hat ihm seine Mutter mal geschenkt. So eine Nottasche kann er jedem nur empfehlen. Jetzt muss er zwar eine neue Wohnung suchen, aber keine neue Identität.

Geschlafen hat Alex die vergangene Nacht in einer Notunterkunft, vom Sozialamt vermittelt. Wirklich guter Service, lobt Alex. Kurz nach dem Brand war gleich eine Dame vom Sozialamt da. Die werde sich wohl auch um neue Wohnungen bemühen, hofft er.

Das Wertvollste in seiner Ein-Zimmer- Wohnung war der Fernseher, sagt Alex. Dann die Stereoanlage, die CDs, viele davon selbst gebrannt. Und seine Bücher. Dass jetzt alles weg ist, sei schon ein „Scheißgefühl“. Zumal ohne Hausratversicherung. Irgendwie hat die Leere in seiner Wohnung auch eine Leere in seinem Kopf bewirkt, sagt Alex.

Ein Nachbar legt einen kleinen Blumenstrauß am Haus nieder. Nein, er kenne hier keinen. „Kann ja jedem passieren.“

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