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Volksentscheid: Das Kreuz mit dem Kreuz

Wahltag in Prenzlauer Berg: Auch viele Christen und Gottesdienstbesucher taten sich schwer mit Pro Reli

Es ist kurz vor elf, die Glocken läuten ohrenbetäubend, und in der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg schieben sich schnell noch dutzende Gottesdienstbesucher durch die Eingangstür – neben der zwei Kinderwagen parken. Mehr als hundert Menschen sitzen in der Kirche, darunter viele Familien mit Kindern.

Religion ist ein wichtiges Thema in diesem Kiez. Trotzdem finden viele, die ein paar Meter weiter in der Thomas- Mann- Grundschule über den Volksentscheid von Pro Reli abstimmen, dass Religion Privatsache bleiben und in der Schule kein Wahlpflichtfach werden sollte. „Ich habe mit Nein gestimmt“, sagt die Anwohnerin Swantje Harmsen, die gerade aus ihrem Wahllokal kommt. Denn Religion sei für sie ein überflüssiges Fach. Der junge Familienvater, der aus dem dunklen Backsteingebäude zurück auf die sonnige Straße tritt, will zwar nicht sagen, wie er abgestimmt hat. Es sei ihm aber wichtig gewesen, sich am Volksentscheid zu beteiligen.

„Denn das ist direkte Demokratie, damit konnte ich Klaus Wowereit und dem Senat eins auswischen“, erklärt er. Dass Pro Reli Erfolg haben könnte, befürchtet die Mutter, die gerade vor der Schule ihr Fahrrad abschließt. „Ich hoffe es nicht, vermute es aber“, sagt sie. Die Argumente von Pro Reli hätten sie nicht überzeugt.

Für den Familienvater Reiner Gabriel ist die Kampagne „reine Geldverschwendung“. Und auch die Slogans von Pro Reli und der Gegenseite seien uneindeutig und deshalb schwer zu verstehen gewesen.

Ein anderer Wähler formuliert es noch deutlicher: „Die Kampagne von Pro Reli hat uns eigentlich zu unmündigen Bürgern erklärt, denen man genau vorschreiben muss, was sie zu wählen haben.“ Deshalb habe er nicht lange überlegen müssen – und Nein angekreuzt.

Um kurz vor zwölf haben im Wahllokal 611 in der Thomas-Mann-Grundschule 157 Wähler für oder gegen Pro Reli abgestimmt. „Viele der Wähler waren junge Familien mit Kindern“, sagt Abstimmungsvorsteher Christian Koch. Und bei einigen habe er den Eindruck gehabt, dass sie sonst eher nicht wählen gehen.

Der Gottesdienst in der Gethsemanekirche ist fast zu Ende, und am Ausgang wartet eine Mutter auf ihre Tochter. Und auch sie, die regelmäßig in die Kirche geht, hat gegen Pro Reli gestimmt: „Für mich ist Religion einfach Privatsache.“

Die Studentin Julia Wiesner, die gerade aus der Kirche kommt, hat dagegen mit Ja gestimmt. „Ich selbst hatte in der Schule guten Religionsunterricht, in dem wir auch kontrovers über den Glauben diskutiert haben.“

Gar nicht wählen wird dagegen der Netzwerkadministrator Marcus Goethe, der ebenfalls gerade den Gottesdienst besucht hat und jetzt mit anderen Gemeindemitgliedern vor der Kirche noch einen Kaffee trinkt. „Ich habe zwar selbst Theologie studiert, würde heute aber mit Nein stimmen“, sagt er.

Ihn störe, dass die Schüler in verschiedene Gruppen aufgeteilt werden müssten, wenn Pro Reli sich durchsetzen würde. Im Idealfall solle das Fach Ethik die Schüler dazu anregen, einen „Blick in die Tiefe“ zu werfen, und sich im Privatleben mit Religion zu beschäftigen.

Pfarrer Christian Zeiske will später, nach Feierabend, für Pro Reli stimmen. Obwohl auch er die Kampagnen von Pro Reli und der Gegenseite kritisch sieht: „Beide Seiten konnten ihre Position nicht richtig rüberbringen.“ Die Kampagne habe ihm in den vergangenen Monaten allerdings auch ungewöhnliche Besucher beschert: „Ich habe in meiner Sprechstunde häufig Besuch von ausgekochten Atheisten bekommen, die von mir eine Beratung wollten“, sagt er. Dem Ausgang des Volksentscheids sieht Christian Zeiske gelassen entgegen: „So wie es kommt, soll es sein.“

Um die Ecke, in einem Wahllokal in der Pappelallee, trägt Cecilia Müller ihren Sohn Cosmo ins Wahllokal. Sie wird Ja ankreuzen. „Ich finde es wichtig, dass die Schüler frei wählen können“, sagt die junge Mutter. Ein paar Kilometer weiter, in der Wollankstraße in Pankow, spielt Robert Schneider mit seinen Töchtern Greta und Ava auf dem Spielplatz vor dem Wahllokal. Wie er gestimmt hat, will er nicht verraten. Dafür aber, was ihn gestört hat an Pro Reli, und eigentlich auch an der Abstimmung zu Tempelhof: „Ich finde es schade, dass beide Parteien glauben, man kann die Menschen nur mit unsachlichen und populistischen Kampagnen ins Abstimmungslokal locken.“

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