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Berlin: Von Berlin kommt er nicht los

Der neue britische Botschafter kam als Blockade-Kind in Spandau zur Welt. Sein Vater war Offizier, die Mutter hatte vor dem Krieg Deutsch in Dresden studiert. Die erwachsenen Kinder holen viele ihrer Freunde nach Berlin. Alles, damit der Kontakt nicht verloren geht

In den Wochen seit seinem Amtsantritt hat der britische Botschafter so ziemlich alle Bundesländer bereist: Am schönsten aber war der Trip nach Dresden. Dorthin fuhr Sir Peter Torry mit seiner 82-jährigen Mutter. Zu seinem Geburtstag war sie Anfang des Monats für ein paar Tage in die Stadt gekommen, in der sie vor ziemlich genau 55 Jahren ihren Sohn bekam. Das war in Spandau während der Blockade. Vater Torry, der ebenfalls vor dem Krieg in Deutschland die Sprache studiert hatte, war Offizier in der britischen Armee, genauer: im Intelligence Corps, also bei der Aufklärung.

Auf seinem neuen Posten hat Sir Peter Torry schon sichtbare Spuren hinterlassen. Mit dem frischen Blick des Neu-Berliners fragte er sich zu Beginn seiner Amtszeit, ob man dem modernen Botschaftsgebäude nicht eine offenere, einladendere Note geben könne. Also ließ er bei der Polizei nachfragen, ob die Sicherheitslage es erlaube, die Absperrgitter erstmal zu entfernen. Inzwischen sind die Gitter weg.

Deutsch spricht der Botschafter fließend, obwohl das, was er in den ersten vier Jahren vom Kindermädchen gelernt hat, schnell vergessen war. In der Schule lernte er die Sprache noch einmal. Seine Mutter hatte vor dem Krieg ihre Deutschkenntnisse in Dresden aufpoliert. Dort verbrachte sie ein Studienjahr bei einer deutschen Familie. Bei der Rückkehr nach 63 Jahren war sie entsetzt, wie viel von dem, was sie in Erinnerung hatte, zerstört worden war. Nach der Berliner Zeit blieb die Familie bis 1952 in Hamburg. Während seiner Schuljahre kam Peter Torry immer wieder nach Deutschland, lebte unter anderem in Stuttgart und München. Ursprünglich wollte er in Oxford Sprachen studieren, stattdessen entschied er sich für Geschichte und trat schließlich in den diplomatischen Dienst ein. Natürlich zog es ihn wieder nach Deutschland. Zwischen 1981 und 1985 war er in Bonn damit betraut, die politische Szene zu beobachten. Die Kontakte, die er knüpfte, zum Beispiel mit dem jungen Joschka Fischer, nützen ihm heute noch.

In der Bonner Zeit wurden zwei der drei Töchter geboren, die heute 23-jährige Emma und die drei Jahre jüngere Harriet. Später kam Katherine hinzu. Bei ihren häufigen Besuchen in der Grunewalder Residenz organisieren die Mädchen, die alle in England leben, rege Austauschprogramme für den Freundeskreis. So etwas müsste man auf größerer Ebene intensivieren. Junge Engländer zieht es nicht mehr in gleicher Weise nach Deutschland, und der Botschafter beklagt das, weil es natürlich auch Missverständnisse schafft. Heute lernen die englischen Schüler lieber Spanisch als Deutsch, und Sir Peter sieht die Gefahr, „dass wir den Kontakt verlieren“. Dafür sind die Kontakte auf politischer Ebene exzellent. Obwohl Tony Blair an der Seite der Amerikaner gegen den Irak kämpfte, brachte er Verständnis für die Position des Bundeskanzlers auf.

Künftig werde es viel mehr als früher darum gehen, voneinander zu lernen, glaubt Torry. Die Engländer sind bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit inzwischen deutlich weiter. Umgekehrt könnten sie von den Deutschen lernen, wo es um die Steigerung der Produktivität geht. Deutschland bleibt für die Engländer die wichtigste politische Beziehung in Europa und der zweitgrößte Handelspartner nach den USA.

„Als ich vor zwanzig Jahren hier war, merkte man deutlich, dass Deutschland einen viel höheren Lebensstandard hat“, erinnert sich der Botschafter. Inzwischen hätten sich die Verhältnisse deutlich angeglichen. Schließlich sei die britische Wirtschaft in den letzten zehn Jahren um 25 Prozent gewachsen, die deutsche dagegen nur um neun Prozent. Noch etwas hat sich verändert: Man hat in Berlin inzwischen das Gefühl, wirklich mitten in Europa zu sein. Den Kalten Krieg hat er aus verschiedenen Perspektiven erlebt. In den Jahren in Havanna hat er seine spätere Ehefrau Angela kennen gelernt. Außerdem war er noch in Jakarta, Bern und, während des ersten Golfkriegs, in Washington und zuletzt in Madrid aktiv.

Dass er seiner Berliner Amtszeit mit großem Optimismus entgegensieht, hat verschiedene Gründe. Er liebt es, durch das Land zu reisen, in das er lange schon zurückkehren wollte. Die Sprache spricht er wirklich gern und bleibt während des ganzen Interviews dabei. Als er kurz nach der Ankunft mit Frau Angela und dem schwarzen Labrador Barney zum allerersten Spaziergang durch die Nachbarschaft aufbrach, trafen die beiden zufällig eine alte Bekannte aus Bonn wieder: Christina Rau, bekennende Anglophile seit ihrem Studium in England. Das nahm er mal als gutes Omen.

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