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Berlin: Von der Urne an den Tresen

Die „Rehberge-Klause“ in der Afrikanischen Straße dient seit 50 Jahren als Wahllokal

Von Jörg-Peter Rau

„Früher“, sagt Bernhard Brenning ein wenig wehmütig, „da war das noch anders“. Da traf man sich am Wahltag in der „Rehberge-Klause“ zum Sonntags-Frühschoppen, „und dann ging es nach nebenan, einer nach dem anderen. Und vorher haben alle durcheinander geredet, wo man sein Kreuz machen soll.“ Von der Wahl-Lokal-Atmosphäre ist in der Weddinger Kneipe in der Afrikanischen Straße, Ecke Otawistraße, nicht viel übrig geblieben. „Aber irgendwie gehört es doch dazu“, meint der Wirt.

Immerhin wird hier seit 50 Jahren gewählt: „Alle Wahlen haben wir hier gemacht, seit 1952.“ Zum Jubiläum hat sich am Sonntag sogar der Landeswahlleiter angekündigt. Der Raum, in dem am Sonntag gewählt wird, liegt hinter einer Faltschiebetür und ist an der Stirnseite noch mit einer Flaggengirlande vom Fasching dekoriert. Aber am Sonnabend werden die Leute vom Wahlamt anrücken und eine Berlin- und eine Deutschlandflagge hissen, „Berlin links, die andere rechts“ – Bernhard Brenning kennt sich aus. Immerhin führt er die Kneipe schon seit 1968 und hat damit wohl schon fast so viele Wahlen erlebt wie die durchschnittlichen Gäste, die an einem Wochentag nachmittags hinter dem Tresen und unter der hohen Decke aus Holz-Imitat sitzen.

Brenning muss seine Kneipe nicht als Wahllokal zur Verfügung stellen, bekommt aber auch keine Entschädigung. Früher war es ein gutes Geschäft, heute trinken die Wähler höchstens noch einen kurzen Kaffee. Und nicht einmal mehr auf die Wahlhelfer ist Verlass: Während des Auszählens wird nicht gepichelt, und bei der Berlin-Wahl vor einem Jahr suchten sie so lange nach einer verlorenen Stimme, dass es schließlich elf Uhr nachts wurde und ihnen sogar die Lust aufs Feierabend-Bier vergangen war.

Und doch: Brenning genießt es auch irgendwie, wenn die „Rehberge-Klause“ für einen Tag zu einem echten öffentlichen Ort wird. Wenn die Polizisten am Morgen vor der Wahl das Plakat des CDU-Bewerbers umkippen werden, das noch vor der Kneipe steht - in der Nähe von Wahllokalen ist derlei Werbung nicht erlaubt. Es wird ohne große Konsequenzen bleiben: Vor vier Jahren holte die SPD dort ohnehin 48,1 Prozent der Zweitstimmen, die CDU musste sich mit 18,4 Prozent begnügen. Und er wird sich wieder eins grinsen, wenn ein eifriger Wahlhelfer ihn auffordert, die farbigen Tischdecken aus dem Wahlraum zu entfernen, weil das die Wähler beeinflussen könnte. „Allerdings habe ich die weinroten gar nicht mehr, sondern blaue; mal sehen, was sie dazu sagen.“ Und auch Probleme mit der Zierfisch-Börse, die vor einem Jahr parallel in der „Rehberge-Klause“ abgehalten wurde, wird es in diesem Jahr nicht geben.

Immerhin 884 Wähler kamen vor vier Jahren in die Eckkneipe in einem zwanziger-Jahre-Bau, den die BVG einst für ihre Mitarbeiter gebaut hatte. Aber die Zeiten, in denen es nach der Wahl direkt an den Tresen ging, sind vorbei. Und doch: Für einen Tag wird in der „Rehberge-Klause“ Politik gemacht. So richtig und nicht nur mit Stammtischreden. Und das, sagt Bernhard Brenning, dessen Vater schon die Kneipe zur Verfügung gestellt hatte, „ist schon auch schön.“

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