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An der Charité soll sich ein Pfleger mehrfach an Kindern vergangen haben.

© dapd

Update

Von einer Krise zur nächsten: Missbrauch in der Charité: Verdächtiger ist bereits aktenkundig

Es sind viele Fragen offen beim Missbrauchsfall in der Charité. So soll es schon vor Jahren sexuelle Übergriffe durch den Pfleger gegeben haben, und nun wurde auch bekannt: Der Verdächtige ist wegen eines mutmaßlichen Falles bereits aktenkundig.

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Nach dem Übergriff auf eine 16-Jährige durch einen Krankenpfleger ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft, und die Politik prüft Konsequenzen. Am Donnerstag wurde zudem bekannt, dass der Mann – anders als die Ermittlungsbehörden zuerst angaben – schon aktenkundig gewesen war. Er soll sich im vergangenen Jahr der Mutter eines Patienten „distanzlos“ genähert haben, woraufhin diese die Polizei rief. Ein Verfahren wurde aber eingestellt. Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD), zu deren Ressort die Charité als Uniklinik gehört, will bei der nächsten Aufsichtsratssitzung über Konsequenzen reden – auch personelle. Das kündigte Scheeres am Donnerstag im Abgeordnetenhaus an. Sie habe der Charité auch vorgeschlagen, zur Aufarbeitung externe Experten hinzuzuziehen, etwa einen erfahrenen Jugendhilfeträger. Klar sei: In Sachen Verantwortlichkeit und Kommunikation „funktioniert da etwas nicht“. Scheeres nannte es „unerklärlich, dass jemand, der mehrfach aufgefallen ist, im Kinderbereich weiterarbeiten durfte“. Warum dies geschah, war am Donnerstag weiter offen. Die Charité hat für den späten Nachmittag eine Pressekonferenz angekündigt; die erhofften Antworten liegen bisher noch nicht vor. Als Reaktion auf die Vorfälle richtete das Klinikum am Donnerstag unter der Nummer 4505 50500 eine Hotline ein. Dort können Eltern und Angehörige sowie Mitarbeiter mit psychologischen Fachkräften sprechen. Auch die Charité will jetzt eine Expertenkommission unter Leitung der ehemaligen Justizministerin Brigitte Zypries einsetzen, die die Vorgänge im Klinikum untersuchen soll.

Die Staatsanwaltschaft hat unterdessen wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen Ermittlungen aufgenommen, wie ihr Sprecher Martin Steltner bestätigte. Die Ermittlungen seien nicht einfach, da der Übergriff mehr als eine Woche zurückliege. „Beweismittel wie DNA-Spuren gibt es leider nicht mehr“, so Steltner. „Es kommt jetzt vor allem darauf an, die Geschädigte zu vernehmen.“ Die 16 Jahre alte Patientin war nach Angaben der Charité am Mittwoch vergangener Woche von einem 58 Jahre alten Krankenpfleger, der schon seit 40 Jahren an der Charité arbeitet, missbraucht worden, als er zwei bis drei Minuten mit ihr allein war. Im aktuellen Fall habe der Mann die Jugendliche, die unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln stand, beim Entkleiden im Intimbereich angefasst und sich an ihr vergriffen, sagte Helmut Schiffer, der Vize-Pflegedirektor, am Mittwoch. Die Jugendliche hatte sich dann ihrem Vater anvertraut. Der Pfleger wurde noch am selben Tag suspendiert. Die Patientin und ihre Familie entschieden daraufhin, eine weitere Nacht in der Klinik zu bleiben. Nun wurde bekannt, dass es wohl schon früher sexuelle Übergriffe durch denselben Pfleger gegeben hatte, die jedoch niemand benannte. Auch durfte er weiter auf Kinderstationen arbeiten. Der Klinikleitung wird vorgeworfen, fast eine Woche gewartet zu haben, bis sie unter öffentlichem Druck über den Fall informierte. Erstmals war er durch einen Zeitungsbericht bekannt geworden. „Wir wurden am Mittwoch von dem Rechtsvertreter der Charité über den Fall unterrichtet“, sagt Steltner. Dem sei ein Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaft vorausgegangen – die Charité ging also nicht von sich aus auf die Ermittler zu. Dazu war sie auch nicht verpflichtet, auch wenn dies für die öffentliche Wahrnehmung sicher günstiger gewesen wäre.

Rechtlich ist das Vorgehen in Ordnung, denn als mögliches Vergehen in Betracht käme nur Strafvereitelung. Dafür ist aber ein aktives Handeln erforderlich, also etwa eine Behinderung der Justiz. Aktiv gehandelt hat die Charité aber gerade nicht - sie hat gar nichts gemacht. Anders ist die Lage beispielsweise bei Polizisten, die eine so genannte Garantenstellung innehaben, also verpflichtet sind, die Rechtsordnung zu schützen. Die Polizei müsste in einem vergleichbaren Fall tätig werden, um keine Strafvereitelung durch Unterlassen zu begehen. Für eine Klinik oder auch Privatpersonen hingegen gibt es keine Pflicht, Straftaten zu melden - selbst bei schwersten Taten wie Mord. "Anders sieht es nur aus, wenn jemand von einem geplanten Verbrechen weiß und das nicht anzeigt", sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Martin Steltner.

Dass die Klinik nicht sofort Anzeige erstattet hat, hält ein hochrangiger Ermittler allerdings für sehr problematisch. "Je länger eine Tat her ist, desto schwieriger wird es für Zeugen, sich zu erinnern. Auch Spuren können teilweise nicht mehr gesichert werden, und das betrifft nicht nur die am Opfer. Auch mögliche Videoaufnahmen aus dem Gebäude sind nach spätestens 48 Stunden überspielt", sagte der Ermittler. "Interne Ermittlungen", von denen Charité-Vorstandschef Karl Max Einhäupl gesprochen hatte, stünden einer Klinik zudem nicht zu. "Dazu gibt es die Strafverfolgungsbehörden. Statt sich Gedanken zu machen, ob solche Anschuldigungen für den mutmaßlichen Täter problematisch sein könnten, sollte lieber sofort die Polizei geholt werden, um das anhand der Ermittlungen zu klären", sagte der Beamte. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft wies auf daraufhin, dass man aus den bislang kursierenden Gerüchten keine voreiligen Schlüsse ziehen solle. Es wäre aber "schlauer gewesen", gleich die Behörden zu informieren.

Rechtlich aber hat sich die Charité nichts vorzuwerfen, auch eine Anzeige der Eltern der 16-Jährigen liegt der Staatsanwaltschaft nicht vor. „Wir haben von Amtswegen ein Verfahren eingeleitet“, sagt Steltner.

Der Berliner CDU-Generalsekretär Kai Wegner kritisierte die Informationspolitik der Klinik unterdessen scharf. „Gerade nach dem letzten Kommunikationsdesaster an der Charité ist es unbegreiflich und inakzeptabel, dass die Charité diese Missbrauchsvorfälle jahrelang verschwieg“, sagte Wegner. Der „exzellente Ruf“ des Universitätsklinikums drohe nachhaltig Schaden zu nehmen. Auch die Opferschutzorganisation Weißer Ring warf der Klinik schwere Fehler vor. Sie habe Probleme bei der Personalauswahl gehabt und es jahrelang versäumt, Vorfälle aktenkundig zu machen, sagte ihr Sprecher Veit Schiemann.

Ärztekammerpräsident Günter Jonitz forderte generell bessere Kommunikationsstrukturen an Krankenhäusern. Mitarbeiter dürften keine Angst haben, über Vorfälle oder Missstände zu berichten.

Für Opfer wurde eine Hotline geschaltet: Sie ist erreichbar unter Telefon 030 - 4505 50500.

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