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Berlin: Von falschen Freunden nichts gewusst

Der Junge, der fast zu Tode gefoltert wurde, hatte in verschiedenen Heimen gelebt, bevor er in die Hände seiner Peiniger geriet

Die Jugendlichen der Kriseneinrichtung in der Nossener Straße in Hellersdorf haben gestern eine Genesungskarte geschrieben. Sie wollen dem fast zu Tode gequälten Sandro L. (Name geändert) alles Gute wünschen und ihm zeigen, wie geschockt sie sind. Dies erzählt der Leiter der Kriseneinrichtung der „Evangelischen Jugendhilfe Berlin Marzahn-Hellersdorf“, Volker Lohde. Auch Sandro war hier untergebracht. Seit Mittwochabend liegt der 14-Jährige auf der Intensivstation. Er war seit Dienstag in einer Hochhauswohnung in Marzahn von vier Männern und Jugendlichen festgehalten und gefoltert worden. Drei der vier Peiniger sind in Haft. Der Jüngste, ein 16-jähriger Realschüler, kam frei: Bei ihm reichten die Beweise nicht, um ihn zu verhaften.

Der Leiter der Krisenunterkunft sagt, dass Sandro seit dem 15. Juni dort gewohnt hat. Somit lebte er nicht – wie es ursprünglich hieß – in einer betreuten Wohneinrichtung. „Das ist ein Unterschied“, sagt Lohde. Eine Kriseneinrichtung sei eine „vorübergehende Unterkunft“ für Jugendliche und Kinder, die Schwierigkeiten mit ihren Eltern haben. Hier kommen sie für ein paar Tage oder mehrere Wochen unter. Zusammen mit den Sorgeberechtigten, sofern es die gibt, und Sozialarbeitern wird dann in einer „Klärungsphase“ besprochen, wie es mit dem Jugendlichen weitergeht: Welche ist die beste Unterkunft für den Jugendlichen? Eine Pflegefamilie, ein Jugendheim oder aber ein so genanntes „betreutes Wohnen“. Letzteres ist für ältere Jugendliche gedacht, die in einer eigenen Wohnung oder in einer Wohngemeinschaft leben. Sie werden dann von Mitarbeitern des Jugendamtes betreut. Wie regelmäßig, das sei vom Einzelfall abhängig.

Für „betreutes Wohnen“ sei Sandro zu jung gewesen, sagt eine Mitarbeiterin des Jugendamtes. Die Mutter des Jungen habe sich schon vor längerer Zeit beim Jugendamt gemeldet, weil sie mit der Erziehung von Sandro nicht klar kam. Sandro hat dann in verschiedenen Heimen gelebt. Doch wie die Polizei sagt, ist der Junge öfter ausgebüxt und wurde als vermisst gemeldet. Die Kriseneinrichtung wollte eine neue Unterkunft für ihn finden. „Man kann einen Jugendlichen nicht festbinden“, sagt die Mitarbeiterin des Jugendamtes. Sie dürften, wie andere Jugendliche auch, in ihrer Freizeit nach draußen gehen. Dennoch gelten bestimmte Regeln: 14-Jährige müssen um 20.30 Uhr zurück sein. Wenn die Jugendlichen den Betreuern nicht erzählen, was sie am Tage gemacht haben, „können die Betreuer auch keinen Einfluss nehmen“. Die Mitarbeiter der Kriseneinrichtung hätten nicht gewusst, dass Sandro sich im Trinkermilieu in der Rabensteiner Straße aufhält, wo er auch seine Peiniger getroffen hat. Er sei vorher nie länger als erlaubt weggeblieben, auch sonst sei ihnen nichts an dem Jungen aufgefallen. Bis Dienstagabend. „Wir haben eine Vermisstenanzeige aufgegeben, als er abends nicht zurückkam.“

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