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Von Tag zu Tag: Abgefahren

Ralf Schönball über Stöcke, die manchmal auch Beine machen

Dass der Mensch ein Prothesengott ist, das wissen wir, seit Sigmund Freud vom Königsweg der Seelenschau abkam und in Siebenmeilenstiefeln die Kulturgeschichte durchmaß. Geraten nun auch die Kuratoren des Kreuzberger Technikmuseums auf Abwege? Für eine „Mobilitätsausstellung“ suchen sie Spazierstöcke – und rufen alle Berliner dazu auf, ihre schönsten Stücke in der Zentrale an der Trebbiner Straße 9 abzugeben. Gesucht werden Gehstöcke, rustikale Wanderstöcke, Stöcke mit verchromten Griffen oder Faltstöcke. Stöcke aus Bambus, Stahl und Eisen sind genauso willkommen wie solche aus Kunststoff. Achtung, von Walking-Stöcken ist keine Rede, der Rollator nicht gefragt und ebenso wenig Segways. Dabei soll die Ausstellung doch vom „Menschen in Fahrt“ handeln, und wer schreitet schon noch in Stock und Hut durch Berlin – von Johannes Heesters mal abgesehen. Ja, ja – die Zeiten ändern sich. Dabei kann man mit einem Stock auch Beine machen. Und angesichts der Jugend von heute wünscht sich mancher in einer schwachen Stunde den Rohrstock zurück, als stumme Drohung im Arbeitszimmer des Familienvorstands. Erziehung ist eben ein schwieriges Geschäft. Bevor wir nun aber gänzlich auf Abwege geraten, wünschen wir dem Technikmuseum viel Erfolg – und den Berlinern eine abgefahrene Schau.

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