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Von Tag zu Tag: Nun mal langsam

Andreas Conrad traut sich schon lange nicht mehr, zu rasen

Kunst hat mitunter prophetischen Charakter, das galt auch für die Couplets von Otto Reutter. „Ick lass’ euch fahren – lasst mer jeh’n – / Ick kann det Tempo nich vertragen!“ – so dichtete er vor fast 80 Jahren, am Ende der sogenannten Goldenen Zwanziger, was damals sehr mutig war. „Tempo, Tempo!“, so hieß zu der Zeit das Motto dieser Stadt. Die Entdeckung der Langsamkeit durch den Wahl-Berliner, der mit Vorliebe im „Wintergarten“ an der Friedrichstraße auftrat, lag also alles andere als im Trend. Heute sieht das schon ganz anders aus. Zwar rühmt sich die Stadt erneut ihrer Rasanz, was manch einer zum hemmungslosen Tritt aufs Gaspedal missversteht – angesichts immer höherer PS-Werte ist das fatal. Und so wird nun eben der Flaneur neuerdings wieder zum amtlich verordneten Vorbild, dem Ampeln mit gemächlich verstreichenden Grünphasen erst wahren Lebensgenuss bescheren. Der ohne Weiteres in Sechserreihen die verbreiterten Gehwege entlangmarschieren könnte, dabei freilich riskiert, mitten auf dem Trottoir einzuschlafen. Die mit Tempo 30 vorbeischnurrenden Kraftwagen stören ihn dabei jedenfalls nicht.

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