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Von Tag zu Tag: Schöne Toleranz

Gerd Nowakowski möchte, dass wir Berliner wieder mehr Ansprüche stellen

Was Ihr Berliner Euch gefallen lasst, wundert sich der Gast aus New York. Nein, er meint nicht einmal die Chaos-Tage bei der S-Bahn, sondern die alltäglichen Ärgernisse. Beispiel eins: die Griller. In New York käme niemand auf den Gedanken, er habe ein Recht, im Park zu grillen, während in Berlin nicht einmal feste Plätze die Menschen davon abhalten, überall zu grillen und dann noch den Müll liegen zu lassen, als sei das ein zentrales Menschenrecht. Ihr lasst Eure Stadt und die tollen Parks verkommen und die Landesregierung damit davonkommen, dass sie nichts dagegen tut, sagt der Gast.

Beispiel zwei: Gewalt im öffentlichen Nahverkehr. In Berlin werden alle paar Tage Busfahrer angegriffen und Beschäftigte der S-Bahn oder BVG beleidigt oder verprügelt. Dafür gibt es oft Bewährungsstrafen. In New York hängen überall Schilder, dass jeder Angriff auf das Personal im Nahverkehr mit Haftstrafen nicht unter sieben Jahren geahndet wird. Eine extrem harte Ansage, die auch umgesetzt wird. Ergebnis: tätliche Angriffe sind selten. Und das in einer Stadt, die dreimal so viele Einwohner hat wie Berlin.

Beispiel drei: Wer sich bedroht oder angegriffen fühlt, kann sich in New York darauf verlassen, dass die gerufene Polizei in wenigen Minuten da ist; auch wenn man sich nur von einem pöbelnden Mann im Café belästigt fühlt. Die Polizei hat zwar den Ruf, ziemlich ruppig zu sein, doch New York gehört heute zu den sichersten Metropolen der Welt. Sicherheit gehört nach der Philosophie von Bürgermeister Bloomberg zu den selbstverständlichen Dienstleistungen der Verwaltung, auf deren einwandfreie Erledigung alle Bürger ein Recht haben.

Das hätten wir in Berlin auch gerne. Hier landet man bei der Polizei entweder in der telefonischen Warteschleife oder wird gefragt, ob denn schon was vorgefallen sei. Anders als in New York muss man sich hier nahezu rechtfertigen, wenn man die Polizei ruft. Bis die Streife da ist, vergeht dann in der Regel eine Ewigkeit – bis die Beamten kommen, ist alles vorbei, so oder so.

Da stutzt der Berliner, der seine Stadt bislang immer als besonders liberal und bunt gelobt hat. Aber vielleicht, fragt er sich, haben wir uns wirklich so lange an Missstände gewöhnt, dass wir als besondere Qualität der Stadt glorifizieren, was anderswo ein eklatantes Versagen des Senats genannt würde: zuviel Laisser-faire, zu wenig Einsatz – und die Toleranz nur die janusgesichtige Kehrseite des Versagens? Stellen wir zu wenig Ansprüche an unsere Stadtführung? Sind die Berliner zu bescheiden, das eigentlich Selbstverständliche zu fordern? Hier arrangiert man sich, wo protestiert werden müsste und wer es nicht mehr erträgt, der zieht weg. Schöne Toleranz.

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