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Berlin: Von Tisch zu Tisch: Alte Schule in Reichenwalde

Das Landgasthaus, Kapitel 1054. Warum es keins geben kann, jedenfalls nicht in Brandenburg.

Das Landgasthaus, Kapitel 1054. Warum es keins geben kann, jedenfalls nicht in Brandenburg. Weil nämlich kein guter Koch auf dem Land um Gäste ringen mag, die sich vor allem billig den Bauch vollschlagen wollen, und weil ... Ach, egal. Das hat ja alles sowieso keinen Sinn mehr! Was ist das da? Das Backsteinhaus da an der Ecke?

Na, nun haben wir es doch, das richtige Landgasthaus. Die "Alte Schule" im hübschen Dorf Reichenwalde ist tatsächlich eine, und die äußerst karge Inneneinrichtung mit poliertem Betonboden spielt ein wenig mit Motiven aus der lateinischen Ausgangsschrift. Ein Backsteinbau also, davor eine knappe Terrasse, nur einen Steinwurf von der Kirche und dem Dorfanger entfernt. Zwischendrin die Straße, auf der es zumindest am Wochenende ganz munter zugeht, denn dies ist eine der beiden Möglichkeiten, von Berlin aus Bad Saarow und den dortigen Sporting Club zu erreichen. Vermutlich war diese Einflugschneise für Laufkundschaft auch eine Voraussetzung für die Besitzer, ein so verwegenes Projekt anzupacken.

Die Speisekarte: Knapp. Das Essen: Billig. Doch es gibt ein paar Indizien, die mehr als Hoffnung machen. Denn der gesamte Schnickschnack der so genannten internationalen Küche, der die Restaurants der Region verseucht, fehlt hier. Statt dessen wird als Vorspeise zum Beispiel ein Forellenfilet mit Pesto, Tomaten und Oliven angeboten, für exakt 15 Mark. Da liegt es, sanft braun gebraten, daneben die Tomaten, ein paar Salatblätter - und alles stimmt. Und alles schmeckt. Tafelspitzsülze für 12 Mark: würzig, leicht, angenehm.

Und immer so weiter. Geschmorte Kaninchenkeule, als "Sauerbraten" angerichtet, knackiger Spitzkohl mit ein paar Möhrenwürfelchen, gebratene (etwas zu fette) Kartoffelplätzchen: 20 Mark. Zanderfilet auf Schmorgurken in Dillsauce mit Bandnudeln: exakt das, was all die bombastischen Spreewaldgasthöfe mit ihren Mehlpampen nie hinbekommen, 24 Mark. Geschmorte Lammkeule mit weißen Bohnen und Gnocchi: 27 Mark. Die Bohnen vielleicht ein wenig zu hart, aber durchaus ein bündiges Essvergnügen.

Desserts? Werden nicht auf der Karte, sondern auf einem bonbongefüllten Weckglas offeriert. Gratiniertes Vanilleparfait mit Erdbeeren, wunderbar aromatisch, für 11 Mark. Creme brulée mit Kirschragout, ebenso gelungen, für den gleichen Preis; das Schokoladeneis auf den Kirschen, offenbar industrieller Herkunft, hätten wir nicht gebraucht. Aber soll man für diesen Preis meckern? Schließlich gehobelter Tete-de-Moine-Käse mit Feigen und Haselnüssen, mit Sinn für Details hübsch angerichtet: 14 Mark.

Na, das ist es doch. In der Küche, so hören wir, steht einer aus dem hervorragenden "Vau" in Berlin, und das erklärt die handwerkliche und stilistische Sicherheit, mit der hier vom Start weg gearbeitet wird. Man könnte sich das Essen sicher ein wenig origineller vorstellen, regional etwas stärker profiliert, doch das kommt vermutlich mit der Zeit. Hervorzuheben ist schließlich noch die knappe, wohlsortierte und preisgünstig kalkulierte Weinkarte, die ebenso gut zum Konzept passt wie der schnelle, freundliche Service. Nichts Großes - aber doch eine absolute Rarität in unserer Gegend.

Eine Rarität ist auch, bekanntermaßen, was Kurt Jäger auf Schloss Hubertushöhe macht, nur ein paar Kilometer südlich von Storkow. Wer ein paar Monate nicht dort war, erkennt nichts auf der Speisekarte wieder, wird aber vom unwiderstehlichen Drang gepeinigt, alles zu probieren, was draufsteht. Jäger entwickelt seinen ganz persönlichen Stil unermüdlich voran, unterstützt vom neuen Sous-Chef Jens Wegner; er hüllt Fisch und Gemüse in ein Gelee mit intensiv schmeckenden Petersiliensamen, würzt mit raren österreichischen Essigsorten, arbeitet mit Roggennudeln und Topinambur, lässt verspielte Dessert-Panoramen auffahren - und verblüffte uns am meisten mit denkwürdigen Kalbskutteln in Tomatenessig. Das beste Restaurant in Brandenburg, natürlich, und das teuerste. Aber in dieser Form ist Jäger selbst der Berliner Spitze noch ein Stück voraus, ein Kandidat für den zweiten Michelin-Stern. Telefon: (033678) 43-0, montags geschlossen.

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