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Währungsunion: Vor 20 Jahren standen die Ostberliner Schlange

Mit der Währungsunion kam vor 20 Jahren die D-Mark. Viele empfanden das als Ende der Demütigung, auch wenn sich manche Bürgerrechtler um die "eigentlichen Ideale" der friedlichen Revolution betrogen fühlten.

Von Sandra Dassler

„Dass ich das noch erleben durfte“ – diesen Satz bekam Anneliese Erdmann in den ersten Julitagen des Jahres 1990 häufig zu hören. Da war die heute 53-Jährige für den Zahlungsverkehr in der Stadtbezirksleitung Lichtenberg der Ostberliner Sparkasse zuständig. Acht Filialen mit Tausenden von Kunden gehörten dazu.

„Seit die Konditionen der Währungsunion klar waren, standen die Menschen endlos Schlange“, erzählt Anneliese Erdmann: „Das Geld konnte ja nur auf einem Girokonto oder Sparbuch umgetauscht werden, sogar die Kinder benötigten ein eigenes. Wir haben Überstunden gemacht, Tausende neue Konten angelegt, aber das Leuchten in den Augen vieler älterer Leute werde ich nie vergessen.“

Schon bei den Montagsdemonstrationen hatten es die DDR-Bürger gerufen: „Kommt die D-Mark, bleiben wir – kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr.“ Das war keine leere Drohung. Zu tief waren die Kränkungen, wenn das eigene Geld beim Bulgarienurlaub nichts wert war, wenn es in Ungarn nicht einmal den Zutritt zu vielen Hotels ermöglichte.

Die Währungsunion hob die Zweiklassen-Nation auf, auch wenn sich manche Bürgerrechtler angesichts der Vergötterung der D-Mark um die „eigentlichen Ideale“ der friedlichen Revolution betrogen fühlten. Stephan Hilsberg, Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei der DDR, ist anderer Ansicht: „Für mich war das Verlangen nach der D-Mark absolut nachvollziehbar“, sagt er: „Auch wenn wir darauf drangen, sie angesichts der zu erwartenden und leider auch eingetretenen Folgen für die DDR-Betriebe um eine Wirtschafts- und Sozialunion zu erweitern.“

Peter L., ein heute 55-jähriger Eisenbahner aus Marzahn, empfand den 1. Juli 1990 als Ende der Demütigung. „Wir hatten drei kleine Kinder“, erzählt er: „Wenn die einen wunden Po hatten, half nichts so gut wie Penatencreme. Die gab es nur im Intershop für Westgeld. Da hab’ ich immer einen Kollegen bitten müssen, der Verwandte in Westberlin hatte. Oder sieben DDR-Mark für eine D-Mark tauschen.“

Für Rainer Goschin von der Deutschen Bank, der damals die Filiale am Checkpoint Charlie leitete, bedeutete der 1. Juli 1990 vor allem das Ende der Spekulationen: „Vor dem Mauerfall stand die DDR- zur D-Mark im Verhältnis von 4:1“, sagt er: „Im Februar 1990 hatte sich das Verhältnis auf 10:1 verschoben. Als es erste Gerüchte über eine Währungsunion gab, pegelte es sich bei 3:1 ein. Aber auch da tauschte mancher unerfahrene Ostberliner die 10 000 DDR-Mark, für die er Jahrzehnte gespart hatte, in 3300 D-Mark um, um sich davon sofort einen überteuerten gebrauchten Ford zu kaufen.“

Im westlichen Teil der Friedrichstraße gab es damals einen Gebrauchtwagenhandel, erzählt Goschin, und einen An- und Verkauf für Elektronikgeräte. „Die haben den Umsatz ihres Lebens gemacht.“ Aber auch die Deutsche Bank konnte nicht klagen: „Wir haben im ersten halben Jahr in der Filiale am Checkpoint Charlie 1500 neue Kunden gewonnen“, erinnert sich Rainer Goschin: „Darunter waren auch viele Betriebe der DDR. Wenn die dann Schecks mit siebenstelligen Summen bei uns einreichten, haben mir bei der Unterschrift manchmal die Hände gezittert.“

Um solche Summen ging es bei der Masse der Ostler nicht, obwohl auch sie viel zu rechnen hatten. Denn mit der Währungsunion wurden zwar Löhne, Gehälter, Renten und Mieten 1:1 umgestellt, nicht aber Bargeld und Bankguthaben. Für diese galt, dass Kinder bis zu 14 Jahren 2000, Erwachsene 4000 und über 60-Jährige 6000 Ost-Mark im Verhältnis 1:1 eintauschen konnten. Höhere Sparguthaben wurden 2:1 umgestellt.

„Wir hatten drei Kinder und nichts gespart“, gibt Eisenbahner Peter L. verlegen zu: „Meine Eltern hatten mehr auf dem Konto, konnten aber nur 6000 Mark pro Person 1:1 tauschen. So verfügten wir im Juni ’90 plötzlich doch über ein Guthaben von 14 000 DDR-Mark. Die gingen dann etwas später natürlich an meine Eltern zurück – als D-Mark“.Sandra Dassler

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