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Unser Berlin nicht schlechtreden! Klaus Wowereit steht zur Stadt und zum Flughafen – mit oder ohne Dach. Selbst der Zusammenbruch des BER-Terminals bringt den Regierenden nicht aus der Ruhe. Seitenhiebe eines Nobelpreisträgers aber sind „wenig hilfreich“. Foto: dpa

© dpa

Vorgezogener Rückblick: Das war das Jahr 2013 in Berlin

Buschkowsky tanzt Rollberg-Style, Grass dichtet über den Berliner Flughafen, Wowereit schreibt eine Erfolgsgeschichte fort: Ein vorgezogener Rückblick auf das kommende Jahr in Berlin.

JANUAR

„Flughafen oben ohne?“ lautet die Schlagzeile einer Tagesspiegel-Exklusivmeldung. Es ist durchgesickert, dass die ewigen Brandschutzprobleme durch ein revolutionäres Konzept gelöst werden sollen: Das Dach des Terminals wird entfernt. Experten bestätigen, dass dann eventuelle Brandgase jederzeit ganz automatisch in den Himmel abziehen. Dass die Fluggäste dann dem Wetter ausgesetzt seien, nehme man in Kauf, sagt Flughafen-Chef Rainer Schwarz, der von einer „kostenneutralen Lösung“ spricht. Dies sei „nicht mein Traum“ und nur eine Übergangslösung, aber Fluggäste seien in der Regel wetterfest gekleidet und körperlich belastbar.

FEBRUAR

Heinz Buschkowsky macht wieder Schlagzeilen. Zur Vorstellung seines neuen Buchs „Überall ist Neukölln“ lässt er ein Video drehen, in dem er seltsame Tanzbewegungen ausführt. Unter dem Namen „Rollberg Style“ wird es zu einem Hit in Youtube. Prophezeiungen unter Bloggern besagen, dass beim einmilliardsten Klick auf Buschkowskys Gehopse entweder die Welt untergeht oder der Flughafen BER eröffnet wird, eventuell auch beides.

MÄRZ

Beim Feuilleton einer bekannten süddeutschen Zeitung klingelt das Telefon: „Grass, hier, der Nobelpreisträger, Sie wissen schon. Ich hab da ein Gedicht geschrieben zum Berliner Flughafen.“ Die Zeitung druckt es und löst damit eine Welle der Zustimmung aus. Marcel Reich-Ranicki spricht von einem „grässlichen Gedicht, das uns aber die Wahrheit sagt“. Auszüge: Es ist das behauptete Recht auf den Flughafen / der die von einem Maulhelden unterjochte / und zum organisierten Jubel gelenkte / Berliner Bevölkerung zum Bankrott führen könnte / weil in dessen Machtbereich / der Nutzen einer Brandschutzanlage vermutet wird / Warum sage ich jetzt erst / gealtert und mit allerletzter Tinte / Der Flughafen BER gefährdet / den ohnehin brüchigen Landeshaushalt?... Allerdings gibt sich die SPD missmutig über den Seitenhieb des früheren Sympathisanten. In einer Wowereit-Erklärung heißt es: „Ich werde mich nicht davon ablenken lassen, die Erfolgsgeschichte Berlins fortzuschreiben. Lassen wir uns unser Berlin nicht schlechtreden, sondern bündeln die Kräfte, um das Projekt Flughafen Berlin-Brandenburg Willy Brandt zu einem guten Abschluss zu bringen!“

APRIL

Der Flughafen-Aufsichtsrat tagt, billigt den Dach-ab-Plan und nennt das Grass- Gedicht „wenig hilfreich“. Klaus Wowereit und Matthias Platzeck bekunden ihr Vertrauen in die Arbeit von Rainer Schwarz und die Überzeugung, dass der Flughafen am 27. Oktober 2013 in Betrieb genommen werde. Bundesverkehrsminister Ramsauer sagt der „Tagesschau“, wenn es nach ihm ginge, wäre Schwarz längst gefeuert.

MAI

Die Piraten-Fraktion im Abgeordnetenhaus legt ein Arbeitspapier zum Thema „Berlin – virtuelle Hauptstadt“ vor, ein Konzept, wie die Metropole auch ohne Flughafen und öffentlichen Nahverkehr lebensfähig sei, nämlich durch konsequente Nutzung von leistungsfähigen Breitbandnetzen über Notebooks und Smartphones. Eine Umfrage bei der ständigen Mitgliederversammlung im Netz habe ergeben, dass die meisten Menschen überhaupt keine Lust hätten, sich ständig von A nach B und zurück zu bewegen, twittert Piraten-Fraktionschef Christopher Lauer.

Im Juni erreicht die S-Bahn einen neuen Negativrekord. Und dann?

Unser Berlin nicht schlechtreden! Klaus Wowereit steht zur Stadt und zum Flughafen – mit oder ohne Dach. Selbst der Zusammenbruch des BER-Terminals bringt den Regierenden nicht aus der Ruhe. Seitenhiebe eines Nobelpreisträgers aber sind „wenig hilfreich“. Foto: dpa

© dpa

JUNI

Die S-Bahn erreicht mit 45 Prozent einen neuen negativen Pünktlichkeitsrekord, obwohl das Wetter heiter und trocken ist. Als erste Gegenmaßnahme wird die Pünktlichkeitsstatistik eingestellt, wie es heißt, weil nicht mehr mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden könne, ob die eintreffenden Züge zu früh oder zu spät ankämen. Selbst wenn ein Zug auf den ersten Blick pünktlich sei, könne er durchaus schon eine Stunde Verspätung haben, sagt S-Bahn-Chef Peter Buchner. Er fordert den Senat auf, sich mit der Transportbehörde Neu-Delhi in Verbindung zu setzen. Dort werde eine ältere Zugreihe gerade ausgemustert, die mit kleineren Modifikationen übergangsweise auch für Berlin geeignet sei.

JULI

Die Klickzahlen für Buschkowskys Tanz erreichen die 100-Millionen-Grenze. Der Berliner Verfassungsschutz kündigt an, er werde ab sofort die Pünktlichkeit der S-Bahn kontrollieren. Die Abbrucharbeiten am Dach des Flughafen-Terminals beginnen; aus brandenburgischen Regierungskreisen sickert durch, dass die notwendigen Stabilisierungsmaßnahmen die Baukosten um weitere 450 Millionen Euro erhöhen werden. Bundesverkehrsminister Ramsauer sagt den „Heute-Nachrichten“ des ZDF, wenn es nach ihm ginge, wäre Schwarz längst gefeuert.

AUGUST

Der erste Probezug aus Neu-Delhi ist eingetroffen. Bahntechniker ziehen alle losen Schrauben fest und schicken ihn auf die Strecke. Bei der ersten Fahrt entgleist er zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor und blockiert den kompletten Verkehr in Nord-Süd-Richtung. „Hab ich doch gesagt“, twittert Lauer. Der Umbau am Flughafen schreitet unterdessen zügig voran. Dennoch sagt Bundesverkehrsminister Ramsauer der FAZ, wenn es nach ihm ginge, wäre Geschäftsführer Schwarz längst gefeuert. Und auch bei der S-Bahn sehe er Handlungsbedarf.

SEPTEMBER

Schon 400 Millionen Menschen haben „Rollberg Style“ angeklickt. Auch Thilo Sarrazin lässt ein Video ins Netz stellen, das ihn und seine Frau beim langsamen Walzer („also, ich sag mal, Thilo Style“) zeigt, doch der Erfolg bleibt aus: Langweiliger Kram sei das, befindet die Netzgemeinde. In Schönefeld laufen die Vorbereitungen für die Flughafeneröffnung auf Hochtouren. Wowereit und Platzeck legen ein Gutachten vor, nach dem das nach oben offene Terminal jährlich 45 Millionen Euro für Heizung und Klimatisierung einspart – „ein maßgeblicher Schritt auf dem Weg zur Klima-Hauptstadt“, wie Wowereit sagt.

OKTOBER

Am 26. Oktober, einen Tag vor der Eröffnungsfeier, bricht das BER-Terminal in sich zusammen. Experten vermuten, dass die Statik durch die Entfernung des Dachs nicht mehr beherrschbar gewesen sei. Klaus Wowereit teilt mit, er freue sich auf den Neubeginn: „Lassen wir uns unser Berlin nicht schlechtreden, sondern bündeln die Kräfte, um das Projekt Flughafen Berlin-Brandenburg Willy Brandt zu einem guten Abschluss zu bringen!“ Als möglicher Eröffnungstermin wird der 1. Oktober 2027 ins Auge gefasst.

NOVEMBER

Der Verfassungsschutz legt dem Parlament ein Geheimpapier vor, das zu dem Ergebnis kommt, ursächlich für das Chaos bei der S-Bahn seien Managementfehler sowie Materialermüdung der altersschwachen Züge. Empfehlung der Geheimdienstler: Der Senat müsse dringend neue bestellen, Züge und Manager. Sensation: Schon 800 Millionen Klicks werden für Buschkowskys Tanz-Video gezählt.

DEZEMBER

Frühzeitig bricht der Winter ein, und es zeigt sich, dass die indischen Züge für dieses Wetter nicht geeignet sind und reihenweise ausfallen. „Können wir jetzt mal über unser Konzept reden?“ twittert Oberpirat Lauer. Am 30. Dezember sagt Bundesverkehrsminister Ramsauer der Tagesschau, wenn es nach ihm ginge, wäre Flughafen-Chef Schwarz längst gefeuert. Gleichzeitig klickt ein ARD-Redakteur „Rollberg Style“ an – er ist zufällig der einmilliardste Nutzer. Langsam beginnt die Erde zu beben, und innerhalb weniger Minuten sind Berlins Probleme endgültig gelöst. Am 31. Dezember ruft Günter Grass eine bekannte süddeutsche Zeitung an, um ein Gedicht zum Weltuntergang anzubieten. Niemand hebt ab.

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