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Berlin: Wärmestube für trauernde Herzen

Der Sankt-Matthäus-Kirchhof hat seit kurzem ein Café

„Aufm Friedhof ’ne Tasse Kaffee trinken ist ja schon was Neues“, sagt Ilse Albrecht und bestellt sich erst mal eine. „Aber ich find das ganz toll, dass es hier jetzt so was gibt.“ Den Alten St.-Matthäus-Kirchhof an der Großgörschenstraße kenne sie schon jahrelang, erzählt sie. Früher habe sie immer ihre Mittagspause hier verbracht und jetzt liege halt ihr Mann hier. „Aber es fehlte immer was. Noch nicht mal Blumen konnte man kaufen. Das ist jetzt ein Glück vorbei.“

Seit ein paar Wochen betreibt Bernd Boßmann alias Ichgola Androgyn im ehemaligen Verwalterhäuschen das „Café Finovo“. Boßmann, 46, wurde in den 80er Jahren als politische Trash-Tunte Ichgola Androgyn durch viele Filme von Rosa von Praunheim bekannt. „Wir haben uns damals Tunten genannt, weil das ein Schimpfwort war. Wir wollten das positiv belegen.“ Jetzt steht er abends regelmäßig mit Kleinkunstensembles im „Chamäleon“, „BKA“ oder „Tipi“ auf der Bühne. Oder eben gleich links hinter dem Friedhofstor im „Finovo“. Auch den Blumenladen hat er wieder eröffnet.

Auf den ungewöhnlichen Einfall ist Ichgola Androgyn gleichzeitig mit der Kirchhofsverwaltung gekommen. „Unsere kleine Familie, also Ovo Maltine, Bev Stroganoff, Tima die Göttliche und ich haben hier vor Jahren eine Grabpatenschaft für ein altes Grabmal übernommen.“ Er war regelmäßig zur Grabpflege da und dabei ist ihm das leere Haus aufgefallen. Sein Konzept passte zur Idee der Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde, den denkmalgeschützten Schöneberger Friedhof zum 150-jährigen Bestehen neu zu beleben. Pompöse Mausoleen und an die 60 Gräber bekannter Zeitgenossen, wie die Gebrüder Grimm, Mediziner Rudolf Virchow oder eben des Berliner Tunten-Originals Ovo Maltine schmücken den Alten-St.-Matthäus-Kirchhof.

Kirchhofsverwalter Lutz Mertens ist zufrieden mit seinem Pächter. Wenn sich das Café trage, wäre auch ein Anbau denkbar, sagt er. „Herr Boßmann ist kommunikativ und macht das sehr herzlich und pietätvoll. Das ist schon ein richtiger Treffpunkt bei ihm geworden. Da sitzen auch alte Herrschaften mit Gießkanne und Harke. Und ich berate dort Angehörige.“ Sie hätten durchaus auch mit negativen Reaktionen gerechnet, aber bislang sind keine gekommen.

„Ich will immer etwas vormachen“, sagt Ichgola Androgyn und lacht. Das ewige Gejammer, es gebe keine Arbeit und alles sei so teuer, das wolle er widerlegen. „Meine Café-Einrichtung hat unter 1000 Euro gekostet und ich will hier nach und nach drei Arbeitsplätze schaffen.“ Kellnerin Nicole ist die erste Angestellte. Sie backt die üppigen Torten: den mit Baiser überbackenen Tränchen-Kuchen und die Ichgola-Mandola-Torte mit Marzipan und selbstgemachtem Aprikosenlikör. Den täglichen Eintopf mögen auch die Friedhofsgärtner. „Das soll hier ein Ort der Begegnung für alle sein. Wie aufm Dorf“, sagt Ichgola Androgyn mit viel Herzblut in der Stimme. Tatsächlich ist das lauschige Café mit seinen zusammengewürfelten Möbeln, 20 Plätzen drinnen und einigen mehr draußen nichts für Leute, die zum Kaffee einsam auf ihr Laptop eindreschen. Im Café Finovo ist Plaudern angesagt.

Café Finovo, Alter St.-Matthäus-Kirchhof, Großgörschenstr. 12–14, Schöneberg, täglich 9-17 Uhr

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