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Für Leib und Seele. Sir Simon Rattle dirigierte am Sonnabend erneut das traditionsreiche Waldbühnen-Konzert; Mendelssohn-Bartholdy und Beethoven standen auf dem Programm.

© dpa

Waldbühnen-Konzert der Philharmoniker: Da liegt was in der Luft, Luft, Luft

Kein Champagner, keine Oliven: Viele Einschränkungen haben das Waldbühnen-Konzert der Philharmoniker verändert. Dennoch wurden die Musiker gefeiert.

In der Theorie war die Vorstellung eher erschreckend. Würde die Tochter aus Elysium nicht schnurstracks in Ohnmacht fallen, wenn sie ohne Übergang die Berliner Luft inhalieren müsste? Solche Gedanken konnten Stammgästen schon mal kommen beim Konzert der Berliner Philharmoniker, das unter der Leitung von Sir Simon Rattle am Samstagabend 22 000 Zuhörer in der Waldbühne zu Begeisterungsstürmen hinriss.

Beethovens 9. Symphonie im zweiten Teil war vielleicht nicht die originellste Wahl für ein Konzert, das an sich schon Kult ist. Aber kann man einen nahezu perfekten Sommerabend – nicht zu warm, nicht zu kalt, makelloser Abendhimmel – schöner feiern? Wie oft schon hören sich normale Menschen die ganze Symphonie an? Es saßen bei diesem Ereignis ja nicht nur die Dauerbewohner der Konzertsäle auf den Bänken, sondern viele Menschen auf Schnuppertour, für die der Genuss klassischer Musik längst nicht selbstverständlich ist. War die Wahl der 9. Symphonie, was eingeweihte Freunde des Orchesters wussten, auch der Tatsache geschuldet, dass die Philharmoniker sie in dieser Woche an zwei aufeinander- folgenden Abenden im Teatro Real in Madrid geben, es war auch für Berlin eine würdige Wahl.

Rattle hat es nicht im „Cool Britannia“-Stil interpretiert, sondern holte aus der Tiefe des Orchesters nicht unbedingt pathetisch, aber doch unmissverständlich die mitreißende Botschaft heraus. Vielleicht sollten sie damit auch noch nach Athen und Lissabon gehen und an all die anderen Orte, an denen der Glanz der Europa-Hymne gerade dringend gebraucht wird. Nur die Gesangssolisten hatten es etwas schwer, sich in dem weiten Rund durchzusetzen.

Dabei ging es viel disziplinierter zu als sonst. Die Waldbühnenatmosphäre nähert sich tatsächlich immer mehr dem originalen Konzertsaal. Die Zeit der bacchantischen Picknicks ist vorbei, der Anblick von ausladenden Kandelabern und weißen Tischtüchern auf Mauervorsprüngen nur noch die Ausnahme. Champagner und Flaschen mit gutem Rotwein sind ja sowieso verbannt. Sogar am VIP-Eingang mussten Gäste im besten Honoratioren-Alter mitgebrachte kleine Büchsen oder Olivengläschen gnadenlos abgeben. Heute ist jeder ein potenzieller Hooligan. Das ist schade, aber wohl nicht mehr zu ändern. Dafür gibt es neben den Schlangen und Menschenpulks am Haupteingang neuerdings eine Überholspur für Besucher ohne Taschen und Picknickkörbe. Da ging es dann wirklich flott hinein, denn noch hält sich deren Zahl in engen Grenzen. Allerdings scheinen mehr und mehr Besucher die Lust auf warmen Wein aus den noch erlaubten Halbliter-Plastikflaschen langsam zu verlieren. Vielleicht müssen sich die Philharmoniker-Fans künftig mit einer Diät aus Wasser und Müsliriegel bescheiden.

Anders als in den Vorjahren machte diesmal auch das Wetter mit. Die Zuschauer erlebten einen perfekten Sommerabend.
Anders als in den Vorjahren machte diesmal auch das Wetter mit. Die Zuschauer erlebten einen perfekten Sommerabend.

© dpa

Das ist bedauerlich, stärkt aber andererseits die Disziplin, was sich schon im ersten Teil bemerkbar machte. Christian Tetzlaff ist ein herausragender Violinvirtuose, berühmt dafür, seinem Instrument eine ungeheure Nuancenvielfalt hauchzarter Töne zu entlocken. Dass so einer in freier Luft mit dem Violinkonzert in e-Moll von Felix Mendelssohn-Bartholdy auftritt, ist ein schönes Zeichen für das Ende der Arroganz in der Hochkultur. Es war tatsächlich kein Babyschreien, kein Flugzeuggrollen, kein platzender Luftballon zu hören. In gebannter Stille lauschten die begeisterten Zuhörer und wurden am Ende noch mit einer Zugabe belohnt, der Solosonate für Violine in C-Dur von Johann Sebastian Bach.

Dafür gab es nach Abschluss der Neunten wirklich nur noch die „Berliner Luft“. Die schepperte nach „Freude schöner Götterfunken“ aber kein bisschen, dazu waren einfach zu viele Wiederholungstäter da, die das Ritual lieben. Und Simon Rattle („The Same Procedure As Every Year“) zog sich, wie immer, wenn er in der Waldbühne dirigiert, hierbei vom Pult zurück. Diesmal fügte er dem Kultstück seinen ganz persönlichen Paukenschlag hinzu.

Der runde Mond klebte am Ende so still und schön am Abendhimmel, als wünsche er sich auch mal eine Liedernacht zu seinen Ehren.

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